K A P I T E L 1

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Ich bin es gewohnt Schläge einzustecken. Das war mein ganzes Leben lang schon so. Ob es sich jemals ändern wird? Ich hoffe es. Aber die Chance, dass es passiert ist ziemlich gering. Ich möchte endlich von meiner Familie wegkommen. Der Gedanke, eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen, macht mich glücklich. »Du willst also studieren gehen? An einer Universität?«, fragt mein Cousin Lejandro. Ich fange an auf meiner Unterlippe zu kauen, und knete meine Finger, die ich in meinem Schoss liegen habe. Grübelnd blicke ich auf und sehe in die Gesichter der vier Männer, die vor mir sitzen.

Mein ältester Bruder Alessandro, mein Onkel Alvaro, mein Cousin Lejo und der Teufel. Mein Vater Mattheo. Der Mann, der für alles Schlechte in meinem Leben verantwortlich ist. Mit einem gleichgültigen Blick und seinem Whiskeyglas in der Hand schaut er mich an. Zögernd nicke ich, um die Frage meines Cousins zu beantworten. Es ist scheußlich, dass ich betteln muss, um studieren zu können. Ich kann von Glück reden, das ich überhaupt die High School beenden durfte.

Ein amüsiertes Grinsen zieht sich über das Gesicht meines Vaters. Mit seinem Ring streicht er über den Rand des Glases, bevor er es an seine Lippen setzt und in einem Zug die braune, brennende Flüssigkeit austrinkt. »Okay«, antwortet er schließlich. Hat er gerade Okay gesagt? Verwundert schaue ich ihn an. »Was möchtest du studieren?«, fragt er, während er aufsteht und sich an der Kommode einen neuen Drink einschenkt.

Er hat etwas vor. Er wird mir erlauben studieren zu gehen, aber im Gegenzug wird er etwas von mir verlangen. »Ich möchte im Hauptfach Jura studieren. Und wenn es dir recht ist, Padre, würde ich auch wirklich gerne englische Literatur studieren.« Ein metallischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Vor lauter Nervosität habe ich zu fest auf meiner Lippe gekaut. Studieren würde bedeuten endlich etwas Freiheit zu haben. »Jura? Du möchtest Anwältin werden?« Verdutzt schaut er mich an. Ich höre meinen Bruder stark die Luft zwischen den Zähne einziehen.

»Aber das könnte doch von Vorteil sein Padre. Wenn ich Anwältin bin, könnte ich Onkel Alvaro eines Tages ablösen. Somit müsstest du dir keinen neuen Anwalt suchen, sondern hättest mich, die die Familie verteidigt.« Leicht panisch schaue ich zu meinem Onkel, doch entspanne mich sofort, als er mir aufmunternd zu zwinkert und mich anlächelt.

Mein Vater scheint ernsthaft zu überlegen, als er sich wieder neben meinen Bruder auf die Couch setzt. Nur meine regelmäßige Atmung und das knistern des Kamins ist zu hören. Je mehr Zeit vergeht, desto nervöser werde ich. »Okay, Figlia. Du darfst studieren gehen. An welche Universität möchtest du?«, fragt mein Vater und lächelt mich warm an. In seinen Augen kann ich Stolz erkennen. Oder täusche ich mich? Lange Zeit hat mich mein Vater nicht mehr voller Stolz angeblickt und liebevoll angelächelt. Was plant er?

»Ich wurde an verschieden Universitäten angenommen. Es tut mir leid Padre. Ich hätte dich vorher um Erlaubnis fragen sollen, bevor ich mich bewerbe.« Mit einem Nicken verdeutlich er mir, dass ich weiterreden soll. »Ich wurde in Harvard, der NYU und von der Columbia University angenommen. Es ist mir egal, wo ich studiere, allerdings fände ich es schön, in Boston an die Uni zu gehen.« Ein erstauntes Raunen geht durch das Büro meines Vaters. Mein Onkel steht auf und schenkt sich ein neues Glas Whiskey ein. Mit einem zweiten Glas kommt er auf mich zu und drückt es mir in die Hand. Stolz klopft er mir auf die Schulter und setzt sich wieder.

Mit großen Augen schaue ich ihn an. Was. Ist. Hier. Los? Normalerweise wurde ich immer halb totgeschlagen, wenn ich mit einem Anliegen zu meiner Familie komme. Sie haben mich immer so geschlagen, dass andere meine blauen Flecken nicht sehen. Und jetzt? Jetzt sehen mich mein Onkel und mein Vater voller Stolz an. Ungewohnt. »Okay, dann wirst du nach Harvard gehen. Dort studieren Cousins von dir, die ein Auge auf dich haben werden. Du kannst ein Apartment haben, aber kein großes. Es wird eines sein das den Sicherheitsstandarts entspricht und alles hat, was du benötigst. Ich werde einmal im Monat vorbeischauen, um zu sehen, ob du klarkommst. Allerdings wirst du im Bostoner Büro helfen und dir deinen Platz verdienen. Du bekommst ein monatliches Taschengeld von 2000 Dollar bekommen, damit du dir alles notwendige für die Uni und zum Leben kaufen kannst. Miete wirst du keine zahlen müssen, ich werde eine Wohnung dort kaufen und dich dort leben lassen. Wann beginnt die Uni?«

Ungläubig schaue ich meinen Vater an. Er meint das ernst. Ich sehe es in seinen Augen. Mehrere Sekunden schaue ich ihn einfach an, bevor ich antworte. »Bereits nächste Woche. Es gibt Ferienkurse für die erst Semester. So wäre ich schon vorbereitet.« Nickend sieht mein Vater mich an und nippt an seinem Glas. Er schaut zu meinem Bruder und meinem Cousin und schaut sie fragend an. So wird das in meiner Familie geregelt. Mein Vater und mein Onkel sind die Oberhäupter der Familie, und mein Bruder und mein Cousin, sind die Nachfolger.

Deswegen dürfen sie in Familienangelegenheiten miteinbezogen werden. Das Verhältnis zu meinem Bruder ist sehr gut. Die meiste Zeit versucht er mich zu beschützen, doch auch ihm sind manchmal die Hände gebunden. An meinem 14. Geburtstag wurde ich von meinem Großcousin Gezüchtigt, so nennt man die Prügel in meiner Familie. Wieso ich gezüchtigt worden bin? Ich habe ihn ohne seine Erlaubnis angesprochen. Christiano, mein Großcousin, findet immer einen Grund jemanden zu verprügeln. Mein Bruder Alessandro hat versucht ihn von mir wegzubekommen, als ich angefangen habe Blut zu spucken. Allerdings haben Christianos Brüder, Manuel und Sergio, ihn festgehalten, während er gebrüllt hat, er soll mich in Ruhe lassen.

Aufgewacht bin ich damals im Krankenhaus mit drei Rippenbrüchen, gebrochenem Handgelenk und unzähligen Frakturen. Meinen Vater hat es nicht interessiert, es sagte nur, dass ich aus meinem Fehler lernen soll. Mein Vater war nicht immer so. Als ich klein war, war er ein liebevoller und fürsorglicher Mensch, doch seit meine Mutter vor 14 Jahren abgehauen ist, interessiert er sich nicht mehr für mich. Zu groß ist meine Ähnlichkeit mit ihr.

Mein braunes, langes Haar, meine braunen Augen und die Wangenknochen habe ich von ihr geerbt. Im Grunde bin ich wie ihr Spiegelbild. »Ich finde es eine gute Idee«, meldet sich Lejo zu Wort, »So haben wir immer eine Anwältin zu Hand.« »Ich finde es auch eine gute Idee. Das Bostoner Büro braucht dringend Hilfe bei ein paar Aufträgen«, Schmunzelt mein Bruder.

Dankbar lächle ich meine Familie an. Ich kann nicht fassen, dass ich tatsächlich nach Boston ziehen darf um zu studieren. Einer meiner größten Träume wird gerade wahr. »Lejo und Alessandro werden dich in zwei Tagen nach Boston bringen. Bist du dir sicher, dass du das möchtest? Denn wenn du in Boston studierst, bist du endgültig ein Teil der Familie. Mit allem drum und dran. Dir wird unser Familienzeichen tätowiert und du wirst deinen Eid leisten müssen. Bist du bereit dafür?«, fragt mein Vater ernst. Ich schaue zu dem Glas Whiskey in meiner Hand, und trinke es in einem Schluck aus. Die Flüssigkeit brennt sich einen Weg in mein innerstes.

Tief atme ich ein. Das könnte der Weg sein, endlich mehr Freiheiten zu haben. Wenn ich ein ernsthaftes Mitglied der Familie bin. Selbstbewusst schaue ich meinen Vater und meinen Onkel an.

»Ja, ich bin bereit«, antworte ich mit fester Stimme, und bringe meine Familie Stolz zum Lächeln.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 20 ⏰

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