Prolog

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5.04.1890

"Junge, hörst du mir überhaupt zu?!", hörte ich die empörte Stimme meines Vaters rufen. Schlagartig konzentrierte ich mich wieder auf die Gegenwart und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was mein Vater eben gerade noch zu mir gesagt hatte. Doch es wollte mir einfach nicht einfallen. Mal wieder war ich mit meinen Gedanken abgedriftet.

Dies sah man mir anscheinend an, denn mein Vater seufzte schwer.

"Wie willst du denn so jemals mein Geschäft übernehmen, geschweige denn eine Frau haben?",fragte er mich resigniert.

Ich zuckte mit meinen Achseln. Er tat mir zwar schon ein wenig leid. Schließlich war ich sein ältester Sohn und er hatte alle Hoffnungen in mich gesetzt. Doch ich wollte nunmal nicht die langweiligen Geschäfte meines Vaters übernehmen, sondern lieber Musik spielen und komponieren. Noch wollte ich irgendeine Frau heiraten, die ich mir höchstwahrscheinlich nicht einmal selber aussuchen durfte. Lieber wollte ich durch die Welt reisen und alle Länder sehen.

Mein Vater ließ sich auf einen Stuhl sinken: "Geh hinaus. Und wenn du wiederkommst möchte ich, dass du mir zur Abwechslung mal zuhörst, wenn ich dir etwas sage."

Ich nickte nur und verließ schweigend das Haus, um ihn nicht noch mehr aufzuregen.

Unser Haus war eines der vielen großen Häuser im Viertel Knightsbridge. Das Wetter war für einen Frühlingstag angenehm warm und überall konnte ich Bäume sehen, die anfingen zu blühen. Ich entschloss ein Stück durch den Hyde Park in Richtung Buckingham Palace zu gehen. Denn dieses Schloss war immer wieder zu bewundern.

Ich spazierte durch den Park, beobachtete Familien, wie sie einen gepflegten Mittagsspaziergang unternahmen, sah Kutschen, die an mir vorbeirollten und genoss den typischen Geruch nach Frühling.

Doch bis zum Palast kam ich nicht.

Als ich gerade über die Serpentine Bridge ging, überkam mich ein seltsames Schwindelgefühl, sodass ich mich an dem steinernen Rand der Brücke festklammern musste, um nicht hinzufallen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Neulich erst war einer unserer Nachbarn an Herzversagen gestorben. Würde ich jetzt etwa sterben?!

Schnell schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel.

Und dann war es, wie als ob ich in einen Strudel geraten wäre. Alles um mich herum begann sich zu drehen und ich sah nur noch verschwommene Konturen. Und plötzlich wurde es dunkel um mich herum und ich fühlte mich ganz leicht.

So musste sich sterben anfühlen.

The time that brought us togetherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt