1. Rebecca

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31.07.2022

Es blitzte.

"Meine Gütte Becca! Guck doch nicht so, als ob du in einen sauren Apfel gebissen hättest!", empörte sich meine Mutter, nachdem sie das Bild gemacht hatte.
"Es war ja nicht meine Idee, dass ich mich neben Donald Trump stellen soll!", verteidigte ich mich, "Ich meine, dieser Typ hat nichts anderes als einen säuerlichen Blick verdient."
"Auch wieder wahr", sie grinste. Meine Mutter konnte mir nie lange böse sein. Ebensowenig wie mein Vater, der gerade irgendwo in Deutschland rumsaß und arbeitete. Meine Mutter kam aus England, weshalb wir auch eigentlich jede Sommerferien hier verbrachten und meine Großeltern besuchten. Doch tatsächlich wohnen taten wir in Deutschland, da mein Vater dort herkam. Von ihm hatte ich die meerblauen Augen geerbt. Von meiner Mutter die roten, lockigen Haare.
"Ich gehe mal in den nächsten Raum, Mama. Da soll eine Wachsfigur von Jonny Depp stehen!", informierte ich sie.
"Okay Schatz. Dann bis gleich!"
Die letzten Worte meiner Mutter hörte ich schon fast gar nicht mehr, da ich schon längst auf dem Weg zum nächsten Raum war.
Das erste, was ich sah, als ich den Raum betrat, war ein Junge um die 17 Jahre. Er trug einen dreiteiligen Anzug und hatte braune Haare, die ihm bis fast zum Kinn reichten. Er war in etwa 2 Köpfe größer als ich, was auch nicht besonders schwierig war, da ich nur 1,60 m groß war. Mehr konnte ich auch nicht sehen, da er mit dem Rücken zu mir stand und sich mit der Wachsfigur von Jonny Depp zu unterhalten schien.
Als ich näher kam hörte ich auch, was er sagt: "Entschuldigen sie der Herr, aber ich würde gerne wissen, wo ich hier bin. Könnten sie mir das freundlicherweise sagen?"
Was hatte der Typ denn für eine Macke?! Wieso wusste er nicht, wo er war und warum sprach er mit einer WACHSFIGUR?!
"Sir?", fragte er gerade nochmal. Er schien tatsächlich zu glauben, dass die Wachsfigur ein Mensch war.
"Ähm...entschuldige. Kann ich dir weiterhelfen?", fragte ich ihn, während ich auf ihn zuging. Er drehte sich zu mir um und lächelte mich an. Sein lächeln war wunderschön. Allgemein war er sehr hübsch. Noch hübscher als er von hinten ausgesehen hatte.
"Ja bitte. Dieser Mann da hält sich anscheinend für etwas besseres", er warf der Wachsfigur Jonny einen bösen Blick zu. "Ich wüsste nämlich wirklich gerne, wo ich hier bin!"
Geistesgestörter. Ich wusste es doch.
"Wie bist du denn hier hereingekommen?", stellte ich also die Gegenfrage.
"Ich...ich...weiß es nicht.", ich blickte ihn skeptisch an,"Naja also ich war im Hyde Park spazieren und ging gerade über die Serpentine Bridge, als mich ein heftiger Schwindel erfasste. Alles wurde um mich herum schwarz und dann bin ich hier wieder aufgewacht."
"Wir sind hier bei Madame Tussauds. Nur so zur Info."

"Wo?". er starrte mich verwirrt an.
"Na Madam Tussauds. Du weißt schon. Größtes Wachsfigurenmuseum der Welt seit 1884. Niedergebrannt und neu aufgebaut im Jahre 1925. Sonst noch irgendwelche Fragen?", erwiederte ich.
Während meines kleinen Vorttrags war der Junge immer blasser geworden. Schließlich fragte er mich mit großen Augen: "Sag mal, welches Datum ist heute genau?"
"Heute ist der 31.07.2022. Außerdem hast du doch auch ein Handy, wo du das nachgucken könntest", meinte ich verwundert. Der Junge wurde noch bleicher und sah so aus, als ob er sich gleich übergeben müsste.
"Bitte was soll ich besitzen?", fragte er verwirrt.
"Na ein Handy!", ich zog mein Iphone aus der Jackentasche, "Dieses Ding hier."
"Nein...so etwas besitze ich nicht....", sagte er und lies sich auf die nächstbeste Treppenstufe fallen. Mittlerweile sah er aus wie ein Gespenst und alles andere als gesund.
"Hey, gehts dir gut? Ist dir wieder schwindelig? Brauchst du ein Glas Wasser? Oder sonst irgendwas?", fragte ich besorgt.
"Du lügst", behauptete er leise.
Verwirrt starrte ich ihn an. Ich? Lügen? Warum sollte ich lügen?
"Ich lüge nicht", meinte ich deshalb nur.
"Doch! Denn heute ist der 5.04.1890", erwiederte er.
Dieser Typ hatte echt einen Knall. Vielleicht war er ja der Klapse entwischt oder so?
"Sicher, dass es dir gut geht? Soll ich vielleicht ein Arzt rufen?", fragte ich ihn ruhig.
Er blickte hoch und sah mir direkt in die Augen. Er besaß klare, grüne Augen, die mich anfunkelten. In ihnen konnte ich kein kleines Fitzelchen Wahnsinn entdecken. "Nein", sagte er schlicht. "Zeitreisen sind doch gar nicht möglich...oder doch?", er sprach mit sich selbst.
"Du...ich glaube, was du brauchst, ist ein Besuch in der Psychatrie", sagte ich fest, als ich seine Worte vernahm. Der hatte doch echt nicht mehr alle Latten am Zaun. Zeitreisen! Wo gabs denn sowas?!
Ich holte mein Handy wieder aus der Jackentasche, doch als ich es gerade entsperren wollte, nahm ich eine schnelle Bewegung in meinem Sichtfeld war.Jemand packte mich am Arm und riss mir das Handy aus der Hand. Ich schaute hoch und sah wieder in diese faszienierenden grünen Augen, die diesmal von Angst erfüllt waren.
"Ich weiß zwar nicht, was du mit diesem Ding hier vorgehabt hast", er hielt mein Handy in die Höhe, als ob es ein Parasit wäre," Aber bitte, BITTE, verständige nicht die Psychatrie. Weißt du, was die da mit einem machen? Die sperren dich weg. Die tun so, als ob du ein Mörder wärst. Brechen deinen Willen." Seine Stimme klang angsterfüllt.
"Vielleicht vor hundert Jahren. Aber jetzt doch nicht mehr!", erwiederte ich und musste fast lachen.
Er schaute mich vielsagend an.
"Ach du glaubst wirklich, dass du aus dem Jahr 1890 stammst?", fragte ich plötzlich wieder ernst.
"Das glaube ich nicht nur, das WEIß ich!", knurrte er.
"Oh", war alles, was mir dazu einfiel.
Er hielt noch immer meinen Arm umklammert, was mich ganz hibbelig machte.
"Ich wünschte, ich könnte es dir beweisen....Ah! Ich habs!", rief er und zog eine vergoldete Taschenuhr aus seiner Jacketinnentasche, "Die ist aus diesem Jahr. Ganz neu. Pardon. Aus dem Jahr 1890. Mein Vater hat sie mir zum Geburtstag geschenkt. Schau!"
Und tatsächlich. Die Uhr sah aus, wie neu. Alle anderen Taschenuhren, die ich bisher gesehen hatte, waren mindestens 90 Jahre alt gewesen und hatten auch dementsprechend ausgesehen. Doch diese hier wirkte ganz neu. Auf der Rückseite stand eingraviert : 1890, alles Gute zum Geburtstag, mein Sohn.

The time that brought us togetherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt