Kᴀᴘɪᴛᴇʟ 1

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"Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich die Liebe meines Lebens durch so einen Fehler verlieren würde, wäre ich...", sprach ich gedankenverloren und ließ den Satz unbeendet in der Luft schweben, während sich mein Blick auf einem unbestimmten Punkt in diesem so stickigen Raum richtete.

Es kam keine Antwort.

Natürlich nicht, denn sie wartete, bis ich fertig war. Das war ich noch lange nicht. Würde ich auch niemals werden. Nein, das war erst der Anfang. Und ich war mir nicht sicher, ob ich ihr wirklich vertrauen sollte. Aber... was hatte ich denn schon zu verlieren? Es gab keinen Jake mehr, den sie jetzt an das FBI ausliefern konnte.

"Ich wusste in dem Moment nicht, dass er etwas Besonderes für mich sein würde. Ich habe es einfach nicht erkannt. Ich habe gedacht, dass wir, wenn das alles vorbei ist, getrennte Wege gehen würden. Ich hätte nicht gedacht, dass... dass es so ausgehen würde."

Frustriert fuhr ich mir mit meinen zittrigen Händen durch meine schwarzen, leicht fettigen Haare. Ich hatte seit einer Woche nicht mehr geduscht. Mir fehlte einfach die Kraft dazu. Ich fühlte mich ausgelaugt. Wenn ich könnte, würde ich einfach verschwinden.

Da war so ein unerträglicher Druck in mir, den ich mit bloßen Worten niemandem erklären konnte. Wie sollte ich meiner Therapeutin berichten, wie es mir ging, wenn ich selbst nicht wusste, was für ein Chaos in mir herrscht?

Es fühlte sich so an, als würde ich nur leben, um sehnsüchtig auf den Tod zu warten.

Eine ganze Weile schwieg ich. Mir war nicht mehr danach zu reden. Ich wollte jetzt nach Hause. Wollte hier einfach raus. Raus an die frische Luft.

Irgendwo hin, wo mich niemand kannte.

Irgendwo hin, wo mich keine Kälte umhüllte.

Irgendwo hin, wo ich mich wie Zuhause fühlte. Lebendig. Denn das tat ich schon lange nicht mehr.

Es war so, als wäre mein Innerstes leer, als wären meine Sinne betäubt. Wie wenn ich nur noch leben würde, um auf etwas zu warten, was nicht mehr wieder kommen würde. Nie mehr. Er wird nie wieder zurückkehren.

"Jane, wollen Sie mir nicht von Anfang an erzählen, was passiert ist?" Ich hob zum ersten Mal, seitdem ich hier eingetroffen war, den Blick und sah in ihre freundlichen, himmelblauen Augen. Meine Gedanken drifteten zu den Donforts ab.

Lilly und Hannah hatten beide auch blaue Augen. Wie hatten wohl Jakes Augen ausgesehen? Hatte er dieselben hellblauen Augen, welche auch Hannah und Lilly hatten, oder doch braune, grüne oder graue?

Um nicht weiter darüber nachzudenken, wandte ich wieder meinen Blick ab und starrte stattdessen auf meine Finger, mit denen ich nervös an den Fransen meiner schwarzen Jeans mit Löchern spielte. Es war schrecklich, dass mich fast alles in meinem Alltag an Jake erinnerte. Sei es auch nur die Augenfarbe meiner Psychiaterin.

Meine Gedanken wanderten zu der eigentlichen Frage zurück, weshalb ich anfing zu zittern. Die Wände des Raumes bewegten sich immer weiter auf mich zu, meine Augen weiteten sich. Der Raum wurde Sekunde zu Sekunde enger. Oh nein...

"V-von Anfang an?", stotterte ich unsicher. Mein Brustkorb senkte und hob sich hektisch, die Luft kam mir noch stickiger als am Anfang unserer Sitzung vor und erschwerte mir unnötig das Atmen.

So gut es ging versuchte ich den Blick auf die weißen Wände zu vermeiden, die mir immer näher kamen. Obwohl ich genau wusste, dass ich mir das nur einbildete, verringerte sich meine Panik nicht. Eher im Gegenteil.

Ich wollte nicht über damals nachdenken. Ich konnte nicht daran denken. Und konnte erst recht nicht darüber reden, geschweige denn wollte ich darüber reden. Es würde mich in eine Situation bringen, in der ich die Fassung verlieren würde und das durfte auf gar keinen Fall passieren. Es durfte einfach nicht wieder eskalieren.

Dᴜsᴋᴡᴏᴏᴅ - Dᴇsᴘᴇʀᴀᴛᴇ HᴏᴘᴇWo Geschichten leben. Entdecke jetzt