III

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ILYA

Als Ilya die Augen aufschlug stand er vor einem Haus mit ordentlicher weißer Fassade. Frei von Graffiti.
Vor ihm kam gerade eine junge Frau zum Stehen. Sie war außer Atem, so als wäre sie gerade gerannt. Sie fiel ihm in die Arme und murmelte „Wir wollten uns doch heute früh nochmal treffen."
Wer war wir? Und wer war sie? Ihr Gesicht kam ihm in keiner Weise bekannt vor. Sie war eine völlig Fremde, die ihn einfach umarmte und etwas von einem Treffen sprach. War sie einer dieser Verrückten, die anderen Menschen zufällig mehrmals begegneten und sofort dachten, sie wären Freunde?
Er löste ihre Arme von seinem Rücken und trat einen Schritt zurück.
Ihr schulterlangen braunen Haare sahen weich aus. Wahrscheinlich waren sie es auch. Ihre braunen Augen, die die Farbe von flüssiger Schokolade hatten, strahlten. Sie war ausgesprochen hübsch. Wenn er sie kennen würde, würde er sich an sie erinnern.

„'Tschuldige, aber kennen wir uns? Warum umarmst du mich denn einfach?" Sein Ton war vorwurfsvoll. Entsetzt blickte sie ihn an.
„Matteo? Ist alles okay bei dir? Ich bin's, Elea. Du weißt schon, deine beste Freundin seit dem Kindergarten und so? Wir treffen uns jeden Freitag vor der Arbeit, um Kaffee zu trinken?"
„Wer ist Matteo? Mein Name ist Ilya und ich habe weder eine beste Freundin namens Elea, noch trinke ich Kaffee. Ich gehe noch nicht arbeiten, sondern studiere Architektur und außerdem trinke ich keinen Kaffee. Ach halt, das hatte ich schon erwähnt."
„Aber du wohnst doch hier, oder?"
„Ja, das tue ich."

Überlegend blickte sie ihn an. Wahrscheinlich versuchte sie in Gedanken die Teile eines Puzzles zusammenzufügen, das er nicht kannte.
„Okay, falls du also mal jemanden sehen solltest, der im selben Haus wohnt wie du und genau so aussieht wie du, dann sag ihm bitte Bescheid, dass er sich bei mir melden soll, ja?"
Machte sie sich über ihn lustig? Ihre Stimme klang nicht so, doch anhand ihres Gesagten könnte man das meinen. Er brummte nur noch etwas Zustimmendes, ehe er sich an ihr vorbei drängte und zügigen Schrittes in Richtung Innenstadt lief. Sein Ziel war die Falkenschwinge, eine Bar auf dem gleichnamigen Platz. Auf dem Weg dorthin begegneten ihm immer mehr angetrunkene Menschen. Für einen Freitagabend nichts ungewöhnliches, schließlich war bald Wochenende.
Als er das Lokal betrat schlug ihm sofort der unverkennbare Geruch von Alkohol entgegen. Das laute Lachen einiger Männer tönte durch den ganzen Raum. Er fühlte die Wärme, die er jedes mal verspürte, wenn er herkam und die für ihn wie eine Sucht geworden war. Er schritt zur Bar, an der noch ein Platz unbesetzt war.
„Whiskey", rief er dem Barkeeper zu, als dieser ihm einen fragenden Blick schenkte.

Kurz darauf stand ein Glas mit dem goldfarbenen Getränk vor seinen Armen, die er auf der Theke abgestützt hatte. Genussvoll nahm er den ersten Schluck, spürte das wohltuende Brennen in seiner Kehle, als der Alkohol in seinen Rachen rann.
Bereits nach einem weiteren Schluck war das Glas leer und er bestellte ein Neues, das wenig später ebenfalls vor ihm landete. Während er gerade einen Schluck nehmen wollte, rammte sich ein Arm in seine Rippe, das Glas in seiner Hand kippte und der kostbare Inhalt des Glases bildete einen Fleck auf seinem weißen T-Shirt.
Den Übeltäter konnte er nicht mehr entdecken, die Laune war ihm vergangen und so zahlte er und verließ eilig das Gebäude. Er wollte nur noch nach Hause und diesen Fleck auf seinem Shirt loswerden. So konnte man sich ja nicht zeigen!
Zwischenzeitlich hatte der Himmel seine Tore geöffnet und Regentropfen fielen auf die Erde. Von der Nässe geplagt machte er sich auf den Nachhauseweg. Er wollte jetzt nur noch schlafen, der Alkohol zeigte seine angenehme, einschläfernde Wirkung.

Ein Regentropfen landete direkt auf seiner Nase, bahnte sich langsam einen Weg hinunter, ehe er auf seinen Mundwinkel tropfte. Das kühle Nass auf seinen Lippen weckte eine Erinnerung in ihm, die tief in den hintersten Ecken seines Kopfes versteckt war. Sein Sichtfeld färbte sich an den Seiten in einem erschreckenden Tempo schwarz, ehe er die Augen schließen musste.

S.M.I.L.EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt