Fast hätte der junge Hauptmann das kleine, aus Holz geschnitzte, Pferdchen übersehen. Es lag in der Asche, wie erst kürzlich dort hineingeworfen. Schnell griff er in seinen ledernen Handschuhen in die noch warme Asche und bewahrte es vor weiteren Versengungen. Die dunkle Asche wegwischend, betrachtete er seinen Fund. Das Pferdchen war abgegriffen, dem Hinterlauf fehlte das halbe Bein. Es wirkte so klein in seinen groben Händen, denen nur noch das Kriegshandwerk vertraut war. Für einen Moment verstummten die schmerzerfüllten Schreie von aussen. Die wütenden Flammen in der Nacht bändigten sich; sie schwanden zu einem kleinen Herdfeuer. Helles Kinderlachen erfüllte den Raum und wie Geister hüpften zwei der Lachenden in ihrem Spiel um den Krieger herum. Ihre Gesichter konnte er im Fackelschein nicht erkennen, nur das lange goldenen Haar des Mädchens erinnerte ihn an seine Schwester. Der Junge aber war ihm fremd. Er hielt in seiner Hand das Holzpferdchen, das er in einer auf und ab Bewegung zum Galoppieren zu bringen versuchte. Seine Augen strahlten. Das Lachen war unbeschwert, bis er verstummte und den hochgewachsenen Krieger gewahr wurde. Auch der Junge schien für sein Alter grossgewachsen zu sein, in einer stolzen und ungebändigten Haltung hielt er sich aufrecht. Bei näherem Betrachten sprühten die klaren Augen vor Lebensfreude. Mit Neugier, aber auch Furcht blickte er zum jungen Hauptmann auf. Kurz, so schien es ihm, flammte ebenfalls etwas wie Traurigkeit in den klaren, unschuldigen Augen auf. Traurigkeit über was? Der Junge unterbrach den Blickkontakt und schaute stattdessen auf die Hand des Hauptmanns, in der noch das gerettete Holzpferdchen aus dem Feuer lag. Der Krieger blickte auf das grob bearbeitete Holztierchen in seiner Hand. Dem Pferdchen fehlte keines der Glieder. Mit einem kalten Schauer wurde ihm bewusst, dass ihm eine tief verborgene Erinnerung einen Trick gespielt haben musste. Mit Entsetzen starrte er den Jungen an. Was war aus ihm geworden?
Es war ihm, als spielte sich seine ganze Kindheit vor ihm ab, wie er vom unwissenden Jungen zum Mann, zum erfahrenen Krieger wurde.
Wie schwer ihm der Schild erschienen war, als man ihm diesen zu Beginn seiner Ausbildung in die Hand gedrückt hatte. Seine Schultern erinnerten sich wieder, wie schwer die verlinkten Kettenglieder des Harnisches ihn als Jungen niedergedrückt hatten. Nichtsdestotrotz war seine Brust vor Stolz gewellt gewesen, ein Schwert an der Seite tragen zu dürfen. Wäre ihm damals nur bewusst gewesen, was es hiess eine Waffe zu tragen, die nur einem alleinigen Zweck dienen konnte – dem Morden von Menschen.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf, wie töricht er doch gewesen war. Der Traum, Ruhm und Ehre in einer Schlacht zu gewinnen, war in Wahrheit ein Akt der Grausamkeit. Aber er hatte es nicht bemerkt, wie jeder Schwung des Schwertes, Heben des Schildes und Vorstoss eines Speeres ihm einen Teil der Seele, seines wahren Ichs genommen hatte. Ihn weiter wegtrieben hatte von seinem Selbst.
Heiss kullerte eine Träne über die verschmutze, blutbesprenkelte Wange. Er wischte sie nicht weg, genauso hätte sie vom beissenden Rauch kommen können, der ab und an seine Richtung wechselte. Die lauten wehklagenden Schreie von aussen drangen wieder zu seinen Ohren vor. Sie klangen schrill, ja, unmenschlich, geradezu entsetzlich. Noch nie waren sie ihm so schauernd durch Mark und Bein gefahren wie jetzt, als er das Geschehen durch Augen des Jungen wieder wahrnahm.
Das Gewicht der Rüstung zwangen ihn in die Knie. Verzweifelt schlug er sich die Hände vors Gesicht und hoffte, der beissende Gestank, die Schreie, würden ein Ende nehmen. Weinend warf er sich zu Boden und drückte das kleine Holzpferdchen fest an seine Brust. Würde denn niemals Frieden kommen?
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Sammlung von nichtigem Zeugs
Non-FictionVersuche an Gedichten, Drabbles und Antworten auf getaggte Fragen. Ab und zu auch Kurzgeschichten.