Juli 1307
Das große Herrenhaus stand still auf der Anhöhe vor dem Tal. Es war eine warme Sommernacht, die Grillen zirpten und die Apfelbäume, die die Allee zum Haus säumten, warfen im Mondlicht lange Schatten. Der sanfte Wind fuhr durch ihre Blätter und ließ sie sich säuselnd miteinander unterhalten. Der leise Ruf einer Eule hallte über die Ebene.
In den Schatten schlich eine Gestalt heran. Geduckt, darauf bedacht kein noch so leises Geräusch von sich zu geben, kam sie dem riesigen Gebäude langsam näher. Niemand, der aus dem Fenster gesehen hätte, hätte sie dort im Garten bemerkt. Sie verstand sich darauf für die Augen anderer unsichtbar zu bleiben. Doch in dieser Nacht hätte sie sich die Mühe sparen können. Keiner sah aus dem Fenster. Die Bewohner des Hauses lagen längst in ihren Betten, versunken in ihre Träume, schließlich hatten sie noch vor ein paar Stunden ein rauschendes Hochzeitsfest gefeiert. Und ihre Wachen, die eigentlich in Zweiergruppen um das Haus patrouillieren sollten, waren in ein Glücksspiel mit Würfeln vertieft.
Der große, schlanke, fast zierliche Körper blieb kurz im Dunkel eines Balkons stehen. Für mehr Bewegungsfreiheit schob die Gestalt den langen schwarzen Mantel samt Kapuze von den Schultern und offenbarte das längliche Gesicht eines Elfen. Spitze Ohren lugten zwischen den langen blonden Haaren hervor, von denen am Ohr jeweils eine Strähne zu einem kleinen Zopf geflochten war. Eine Narbe zierte die linke Wange, sie verlief entlang des spitzen Wangenknochens vom Ohr in Richtung der filigranen Nase. Der Name des Elfen war Leander Fhaemaris.
Leander sah sich um. Immer noch war alles still. Er drehte sich zur Mauer und machte sich an einer der Holztüren zu schaffen. Sie würde ihn direkt in die Küche des Anwesens führen. Mit einem leisen Knarren ging die Türe auf und der Elf konnte hinein schlüpfen. Er ließ die Schlafräume der Angestellten links liegen und ging direkt hinauf in die zweite Etage, wo sich die Räume des Grafen Duvnur und seiner Familie befanden. Im Flur vergewisserte er sich noch einmal, dass sich nirgends jemand rührte, dann öffnete er die erste Tür.
Mit fünf langen Schritten war er am Himmelbett, indem der betagte Graf und seine Gemahlin friedlich schliefen. Sie spürten nichts von der Gefahr, die so eben in ihr Zimmer gedrungen war. Leander legte die rechte Hand an den Gürtel und zog eine scharfe Klinge hervor, in der sich das weiße Mondlicht brach. Er brauchte zwei Herzschläge um den beiden Schlafenden die Kehle zu durchtrennen. Blut färbte die weißen Laken rot. Sie hatten nicht einmal die Zeit aus ihren Träumen zu erwachen ehe ihr Herz aufhörte zu schlagen. Ein paar Atemzüge wartete der Elf neben ihrem Bett, um sicher zu gehen, das sein Auftrag erfüllt war.
Jetzt waren es noch drei.
Im Zimmer am Ende des Flures fand er die frisch Vermählten. Das Brautkleid des jungen Mädchens lag sorgsam über einem Stuhl. Nackt und eng umschlungen schlief das Paar. Ihre erste gemeinsame Nacht endete jäh, als Leander ihnen mit der Präzision eines Chirurgen den Dolch in die Herzen stach und sie so von ihrem Eheversprechen entband. Er glaubte nicht an eine lebenslange Liebe.
Jetzt fehlte nur noch die Schwester des Grafen, dann würde auch die letzte Adelsfamilie der Drachen der Vergangenheit angehören.
Die letzte Türe brachte ihn schließlich zu seinem Ziel. Das Zimmer war im Vergleich zu den protzigen Gemächern des Grafenpaares und ihrer Tochter recht spartanisch eingerichtet. Doch der Elf sah keinen Grund, sich darüber zu wundern. Er war hier, um seine Mission zu Ende zu bringen, damit sein König niemals wieder einen Gegenschlag des Drachenadels befürchten musste. Vor ein paar Tagen hatte er den König der Drachen vergiftet. Nach heute Nacht, wenn die letzte Adelsfamilie des Drachenrates den Tod gefunden hatte, würden die Drachen führerlos und der Krieg zwischen den beiden Völkern beendet sein. Die einzige, die diesem Ziel noch im Weg stand lag in ihrem Bett in eine dicke Decke gehüllt. Nur ihre Nasenspitze lugte daraus hervor.
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Der Prinz der Drachen
FantasyJuli 1307 Zwischen den Elfen und Drachen herrscht Krieg. Einer der wichtigsten Akteure ist der Elf Leander, der im Auftrag seines Königs mordet. Nach der Vergiftung des Drachenkönigs steht nur noch eine letzte Adelsfamilie des Drachenrates zwischen...