Oktober 1328
Das Leben auf der kleinen Lichtung im Wald war friedlich. Wie unter einer großen Blase, in die nichts von der Welt dort draußen hinein drang. Und doch war Kilian in seinen Gedanken weit fort. Denn so sehr ihm das Leben mit Rhaella in ihrem Haus am See auch gefiel, so sehr vermisste er sein früheres Leben. Vor allem seine Mutter.
Doch mit der Zeit gewöhnte er sich daran. Er fand in Rhaella eine gute Freundin und lernte die Abgeschiedenheit des Hauses lieben. Aber wirklich glücklich war er nie. Jeden Morgen nach dem Aufstehen und jeden Abend, bevor er sich schlafen legte, setzte er sich fünf Minuten auf die Bank, die auf der Terrasse des Hauses stand. Dann starrte er in den Wald und strengte all seine Sinne an, um die Geräusche dort wahrzunehmen. Er lauschte auf Schritte, auf unnatürliches Rascheln. Irgendetwas das ihn vermuten lassen könnte, dort in den Schatten wären nicht nur Rehe, Hasen und Vögel unterwegs.
Etwas, dass zeigen würde, das Leander sein Versprechen doch noch einhielt.
Er war nie zurück gekommen.
Und obwohl Kilian jeden Tag darauf hoffte, wurde er jeden Tag enttäuscht.
Auch Rhaella, die Leander in Schutz nahm und versuchte, Kilian zu erklären, dass Zeit für Elfen anders verging, war ihm keine Hilfe. Der junge Drache fühlte sich verlassen, weggestoßen. Er konnte es sich selbst nicht erklären, wieso es ihn so mitnahm. Und warum er nach all der Zeit trotzdem nicht aufhören konnte zu hoffen.
Es dauerte sechs Jahre bis Kilian es nicht mehr aushielt. Also bettelte er bei Rhaella, sie möge nach dem Elfen suchen. Die einzigartige Frau besaß die Gabe, in ihren Träumen ihr gut bekannte Personen finden zu können. Allerdings nutzte sie dies nur selten, da es sie sehr schwächte und mit schrecklichen Schmerzen verbunden war.
Kilian hasste sich dafür, sie um dieses Opfer zu bitten, doch seine Sehnsucht nach Leander war unerträglich geworden. Er musste wissen, ob es dem Elfen gut ging. Als Rhaella ihm ins Gesicht sah erkannte sie seine Verzweiflung und stimmte schließlich zu. Sie legte sich aufs Sofa und schloss die Augen. Gespannt beobachtete Kilian, wie sie ins Reich der Träume abdriftete. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann begann sie am ganzen Körper zu zucken und zu schwitzen. Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme seltsam hohl, als wäre sie weit weg.
„Mein König, ich schwöre, ich hatte damit nichts zu tun ... Ich glaube dir kein Wort, Leander. Als wir die Frau gefunden hatten, haben meine Wachen sie gefoltert. Sie hat eine ganze Weile durchgehalten, doch bevor sie starb hat sie es zugegeben. Den Jungen, den sie großgezogen hat, hast du zu ihr gebracht ... Ihr habt sie getötet? ... Du hast dich meinen direkten Befehlen widersetzt. Und vermutlich nicht nur dieses eine Mal. Das der Junge verschwunden ist, sobald ich mit der Suche nach ihm begonnen habe, ist wohl kein Zufall. Ich bin sicher, da hattest du auch deine Finger im Spiel ... Mein König, ich flehe Euch an ... Flehe so viel du willst. An meiner Entscheidung ändert das nichts. Du wirst dein Leben im Kerker fristen, bis der Rat über deine Strafe entschieden hat. Führt ihn ab ..."
Mit einem lauten Keuchen fuhr Rhaella hoch. Das Gesicht vor Schmerz verzogen ließ sie sich von Kilian in eine aufrechte Position helfen, sodass sie schließlich auf dem Sofa saß. Der junge Drache hockte vor ihr auf dem Boden, die Hände auf ihren zitternden Knien. Schuldbewusst wollte er unbedingt alles tun um ihr zu helfen. Doch Rhaella winkte ab.
„Es geht schon."
Kilian nickte und setzte sich neben sie.
„Was hast du gesehen?"
Rhaella schloss sie Augen und ließ den Kopf erschöpft gegen die Lehne des Sofas sinken.
„Ein Gespräch zwischen Leander und dem Elfenkönig. Leander kniete vor ihm auf dem Boden, der König hat ihm vorgeworfen, dich damals zu deiner Ziehmutter gebracht und ihr schließlich auch wieder weggenommen zu haben. Er hat Ormoa wohl gefunden und befragt, bis sie deine Herkunft verraten hat. Und wegen dieses Verrates wurde Leander verhaftet und wartet nun im Kerker auf seinen Prozess."
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Der Prinz der Drachen
FantasyJuli 1307 Zwischen den Elfen und Drachen herrscht Krieg. Einer der wichtigsten Akteure ist der Elf Leander, der im Auftrag seines Königs mordet. Nach der Vergiftung des Drachenkönigs steht nur noch eine letzte Adelsfamilie des Drachenrates zwischen...