Die Gang - Teil 2

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Abdo war erst vor wenigen Tagen in die Klasse gekommen, nachdem er mit seiner Familie nach Uelzen, die kleine Stadt in Norddeutschland, in der sie alle wohnten, gezogen war.

Er stand ein wenig verloren im Klassenzimmer, als Frau Krause ihn zur ersten Stunde mitbrachte und ihn aufforderte, sich vorzustellen.

„Ich heiße Abdo und komme aus dem Sudan", sagte der Junge und schwieg wieder.

„Erzähl doch ein bisschen mehr, Abdo", forderte die Lehrerin ihn auf. „Wo ist denn der Sudan und wie kommst du vom Sudan hierher zu uns?"

Sie hatte wohl nicht ihren besten Tag, stellte Slash für sich fest. Sonst wäre ihr doch aufgefallen, in was für eine blöde Situation sie den Neuen brachte. Alle starrten ihn an und er schien sich gar nicht gut zu fühlen.

„Also, ich heiße Abdo und komme aus Afrika", sagte Abdo und schwieg wieder.

„Das sieht man", rief Marek und alle lachten.

„Marek, was redest du für Unsinn." Frau Krause schien verärgert.

Vielleicht hat sie heute verschlafen und wacht jetzt erst langsam auf?, überlegte Slash.

„An was siehst du denn, dass Abdo aus Afrika kommt?"

„Ist doch klar, er ist schwarz, also kommt er aus Afrika."

„Das ist doch Quatsch." Frau Krause räusperte sich. „Es gibt überall schwarze Menschen. Auch bei uns in Deutschland sind nicht alle Menschen weiß. Denk erst mal nach, bevor du Unsinn redest. Und überhaupt: Hier wird nicht einfach losgeschrien. Wann kapierst du endlich, dass du dich melden musst, wenn du etwas zu sagen hast?"

Marek sagte nichts und grinste ein wenig unsicher.

„Also Abdo, versuch's nochmal."

„Ich heiße Abdo und komme aus dem Sudan. Der Sudan ist ein Land in Afrika. Ich bin mit meinen Eltern, meinem großen Bruder und meiner kleinen Schwester nach Deutschland gekommen."

Abdo schwieg wieder.

Die Lehrerin hatte endlich ein Einsehen.

„Du kannst uns auch später noch mehr über dich erzählen. Jetzt setzt du dich erst einmal da hinten zu Slash."

Neben Slash befand sich der einzige freie Stuhl in der Klasse.

Abdo setzte sich neben Slash.

„Ich heiße Abdo", sagte er, während er seine Sachen aus dem Schulrucksack holte und auf den Tisch legte.

Slash lachte. „Ich weiß."

Jetzt musste auch Abdo lachen.

„Und ich heiße Slash", sagte Slash.

Abdo sah auf und musterte Slash.

„Bist du ein Junge oder ein Mädchen?", fragte er.

„Ja", antwortete Slash. „Gut erkannt."

Fast hätte Slash allerdings die Frage nicht verstanden, denn Abdo sagte nicht Mädchen, sondern Mädle. Er konnte wohl doch noch nicht so gut Deutsch, wie Slash anfangs gedacht hatte.

„Ihr beiden könnt euch in der Pause unterhalten", sagte Frau Krause, bevor Abdo weiter nachfragen konnte. „Wir machen jetzt Unterricht."

Der Junge schien ganz nett zu sein und es war bestimmt nicht leicht, in eine neue Klasse zu kommen, in der sich alle anderen schon kannten. Deshalb schlug Slash Abdo vor, die Pause gemeinsam zu verbringen.

Manchmal fiel es den Kindern schwer, Abdo zu verstehen. Eigentlich sprach er sehr gut Deutsch, wenn man bedachte, dass er erst seit zwei Jahren in Deutschland lebte. Aber einige seiner Worte erschienen ihnen ziemlich seltsam und manche verstanden sie gar nicht. So sagte er nicht nur „Mädle" statt „Mädchen" oder „Häusle" statt „Haus". Er benutzte auch oft ein „sch" an Stellen, wo eigentlich ein „s" gesprochen wurde. Oder er sagte „Krumbire", und es stellte sich nach langem Hin und her heraus, dass er von Kartoffeln sprach. Einmal hatte er Lena seinen Schulrucksack hingehalten und gesagt: „Heb mal!" Lena hob die Tasche mit beiden Händen über ihren Kopf. Abdo hatte sich vor lauter Lachen fast nicht mehr eingekriegt. Sie hatten eine ganze Weile gebraucht, bis sie verstanden hatten, dass Abdo „festhalten" meinte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 22, 2022 ⏰

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