Kapitel 2

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»Fahren Sie weiter, wir kommen klar!«, sagte Rafael gereizt. »Ich wollte Sie wirklich nicht stören, jedoch würde mich die Meinung der Frau in Ihrem Kreis interessieren.«, erneut glitt der Blick des Fremden zu mir, »Scheint mir nicht so, als sei sie bei Ihnen in besten Händen.« Er strahlte eine Erschlossenheit sondergleichen aus, was mich zutiefst beeindruckte. Wenn man bedenkt, dass gerade mehrere böse Männer mit Waffen sein Leben bedrohten, fand ich es wirklich mutig von ihm, mir helfen zu wollen. Hilfe. Etwas, dass ich bisher immer nur von Josephine erwarten konnte. Sollte ich dem Fremden erzählen, dass ich von Zuhause abgehauen war, mir ein neues Leben aufbauen wollte? Angst hatte, zurückzukehren. Meine Atmung schien immer lauter zu werden, denn nun drehte sich Rafael wieder zu mir und sah mir mit finsterer Miene in die Augen. Sein warnender Blick verriet alles. Er wandte sich wieder dem Fahrer des Pick-up-Trucks zu, »Ich sagte doch, dass bei uns alles in Ordnung ist. Besser, Sie verschwinden jetzt, bevor ich meinen Freunden den Befehl zum Schießen gebe, haben Sie das verstanden?« Der Fremde schluckte sichtlich und sprach plötzlich mit einer seltsamen Stimmlage, »Ja, ich verstehe. Ich werde mich wieder in meinen Truck setzen und habe dies hier nie gesehen.« Zufrieden nickte Rafael und sagte zu dem Mann, der gerade seine Autotür geöffnet hatte, »Na also, ich wusste, Sie sind ein vernünftiger Mann.« Aus einem unbekannten Grund kam mir das plötzlich veränderte Verhalten des Pick-up-Fahrers seltsam vor. Zuerst war er so selbstsicher, obwohl die Waffen bereits auf ihn zielten und dann knickte er plötzlich ein? Die Männer meines Onkels steckten Ihre Waffen wieder zurück ins Holster und auch Rafael wendete sich mir wieder vollends zu. Ein Fehler, wie sich im nächsten Moment herausstellte. Ich hatte mich in dem Fahrer des heruntergekommenen Wagens nicht getäuscht, ich wusste, hier stimmte etwas nicht. Er stieg nicht wie erwartet in sein Auto und fuhr davon. Stattdessen hatte er etwas aus dem Auto geholt. Mit einem Jagdgewehr zielte er nun direkt auf Rafaels Rücken. Das Laden des Gewehrs war so laut, dass alle dieses Geräusch zuordnen konnten. »Keiner von Ihnen bewegt sich, außer die junge Frau, diese wird zu mir rüberkommen und in meinen Truck steigen!«, sprach er wenig verhandlungsbereit. Oh, was tat er da bloß. Rafaels Kinn bebte, seine Mundwinkel verzogen sich zu einer schaurigen Grimasse. »Na geh schon, kleine Timea!«, wies er mich an. Mit geweiteten Augen starrte ich in sein Gesicht. Ich konnte nicht glauben, was gerade passierte, begann jedoch, langsam an Rafael herumzugehen. Unsicher tapste ich auf meinen Retter zu. Dieser sah mich mit einem warmen Blick an. Ich bemerkte einige Bewegungen. Der Mann hatte sich uneingeschränkt auf mich konzentriert und die Männer meines Onkels nicht mehr im Blick behalten, was ihm nun zum Verhängnis wurde. Noch bevor ich ihn erreicht hatte, ertönte ein Schuss und der Fremde viel erst auf die Knie und mir dann direkt vor die Füße. Ich schrie laut auf, ließ mich auf meine Knie fallen und rief, »Nein! Was habt ihr getan! Er war doch unschuldig.«

Tränen verschleierten meine Sicht und liefen mir die Wangen herunter. Mein lautes Schluchzen musste noch hunderte Meter weiter hörbar sein. Mit einem Mal spürte ich eine Hand an meiner Schulter. Es war Rafaels, er stand direkt hinter mir, »Komm jetzt, wir müssen los.« Er zerrte mich am Arm auf meine Füße und zog mich hinter sich her zu dem zweiten Geländewagen. Er öffnete mir die Tür zur Rücksitzbank, schob mich auf den Sitz und knallte die Autotür wieder zu. Rafael selbst setzte sich auf den Fahrersitz. Auf dem Beifahrersitz und dem Sitz neben mir auf der Rückbank machten es sich jetzt auch zwei Mitarbeiter meines Onkels gemütlich. Durch die getönten Scheiben konnte ich sehen, wie der erste schwarze Geländewagen wendete und die Leiche des Mannes einfach auf der asphaltierten Straßen liegen gelassen wurde. Sie fuhren an uns vorbei und auch Rafael startete den Motor. Nach dem Vorfall war ich völlig aufgelöst. Ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war und dass der Fremde, der versucht hatte, mir zu helfen, nun tot war. Mein Kopf dröhnte und ich spürte ein unangenehmes Kribbeln im Magen. Ich wimmerte leise vor mich hin und versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Rafael raste mit voller Geschwindigkeit über die kurvigen Landstraßen. Zu Fuß durch den dichten Wald kam es mir vor, als sei ich am Ende ziemlich weit weg vom Anwesen meines Onkels gewesen. Doch inzwischen, wo wir auf der Straße den Weg zurückfuhren und natürlich deutlich schneller unterwegs waren als ich letzte Nacht zu Fuß, merkte ich, wie kurz die Strecke doch in Wirklichkeit gewesen war. Nach einer Weile beruhigte ich mich etwas und sah aus dem Fenster. Die Landschaft zog an mir vorbei und ich konnte die Bäume draußen erkennen. Rafael und die anderen Männer sprachen kein Wort und ich konnte ihre Anspannung förmlich spüren. Ich wusste nicht, was als Nächstes passieren würde. Würden sie mich auch töten, würde mein Onkel mir vergeben? Fragen über Fragen. Bereits nach zwanzig Minuten Autofahrt fuhren wir durch das große bewachte Tor und hielten direkt auf dem Vorplatz des Haupthauses. Die Auffahrt wurde bereits von der hellen, aufgehenden Sonne beleuchtet. 

TimeaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt