- 2 -

12 2 1
                                    

Melina

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Hatte ich mich etwas verhört oder hatte Feya mir gerade erzählt, dass der Lichtbringer ins Schattenland kommen würde?

Der Elf, der die Dunkelheit verscheucht und dem Land neue Hoffnung gebracht hatte - zumindest für die Lichtelfen. Er würde nach Gorso kommen? Aus welchem Anlass?

Wenn Feya so aufgeregt war, musste es doch eigentlich etwas Gutes zu bedeuten haben. 

Meine Freundin lachte. "Schau doch nicht so verdattert, Melina." Benommen schüttelte ich den Kopf, versuchte ein Lächeln. Dennoch verstand ich nicht. "Bist du dir wirklich sicher?", fragte ich ungläubig. Feya verdrehte die Augen. "Natürlich. Vater sitzt doch im Rat." Ich nickte, immer noch nicht sicher, ob es wirklich wahr sein konnte.

Die Legende des Lichtbringers galt in unserem Land als eine Art Totem, welche wir verehrten.

Der Tag wird kommen, an dem der Lichtbringer uns von der Dunkelheit befreit. Licht und Schatten leben auf Ewig zu zweit.

Nur eine kurze Prophezeiung, dafür eine, die in Erfüllung gegangen war. Carlos Maltara brachte uns das Licht zurück und ab diesem Zeitpunkt lebten beide Spezies wieder im Einklang. Die Lichtelfen bei Tag und die Schattenelfen bei Nacht.

Doch nach ein paar Jahren glitt das Gleichgewicht aus den Fugen, die Lichtelfen wollten das was ihnen zustand und zwar das ganze Land. Sie konnten nicht damit leben, dass die Schattenelfen einen Teil für sich beanspruchten. Sie trugen die Furcht in sich, dass die Nähe zu dem Bösen sie verändern könnte. Somit wurden wir in den nördlichsten Teil des Landes verdrängt.

Und dort lebte ich seit meiner Geburt. Ebenso wie Feya und die anderen Jungelfen in meinem Jahrgang.

Ehe ich noch länger darüber nachdenken konnte, erschien Idor, der Älteste, im Raum. Idor hielt sich für sein Alter noch ganz gut. Er musste weit über hundert Jahre alt sein, sah dabei aber aus wie ein Elf im mittleren Alter. Sein Haar war - ebenso wie bei den meisten Schattenelfen - schwarz und lang. Die einzelnen Strähnen hatte er hinter seine spitzen Ohren gestrichen. Seine Erscheinung wirkte eindrucksvoll und mächtig. er war damals einer der ersten Schattenelfen gewesen.

"Bitte nehmt Platz", wies er uns an, als er sich in der Mitte des Raums stellte und zur Pflicht überging. Die Jungelfen um uns herum begrüßte ihn, setzten sich auf ihre Stühle und blieben still. Auch Feya und ich hatten das Flüstern eingestellt und warteten auf weitere Anweisungen.

Normalerweise begannen wir vor dem Ausüben unserer Gabe mit Meditation, um einst mit der Magie zu werden, sie zu lenken und unter Kontrolle zu halten. Doch heute gab es andere Pläne.

Idor räusperte sich, verschränkte die Hände miteinander und wies uns an die Augen zu schließen und zu beten. "Beten wir für den Gott der Vernunft, der uns zeigen wird, welcher Weg der Richtige ist", begann er kurz nachdem wir die Augen geschlossen und die Hände verschränkt hatten. "Wir bitte dich, erhöre uns", erwiderte wir im Einklang.

"Beten wir für den Gott der Gerechtigkeit, der uns zurück in den Einklang des Leben führen wird." Verwirrt kniff ich die Augen zusammen. Was sollte das?

Wir sprachen kaum Gebete zu den Göttern und wenn wir es doch taten, dann handelte es sich nicht so wie wir es in diesem Moment taten. Er sprach von Gerechtigkeit und Vernunft. Da musste etwas vorgefallen sein. Hatte es mit dem Erscheinen des Lichtbringers zu tun oder beteten wir im Allgemeinen für eine bessere Zukunft?

Weiter Bitten folgten bis er die Gebetsrunde auflöste, in dem er einen Windhauch durch den Raum fegen ließ. Wir fuhren zusammen. Er war eiskalt.

Fragend sah Feya mich an. Unwissend zuckte ich mit den Schultern. Es war mir schleierhaft, was vor sich ging.

Idor erhob die Stimme und klärte uns auf:" Ihr wundert euch sicherlich, warum wir heute nicht wie gewohnt vorgehen. Doch ich habe wichtige Neuigkeiten für euch." Sein Gesicht wurde ernst und er rümpfte kaum merklich die Nase, als würde er sich sträuben, mit der Sprache herauszurücken.

Serafine und Luine, weitere Jungelfen, sahen fragend in die Runde. Sie hatten also auch keinen blassen Schimmer was vor sich ging. Warum machte heute jeder ein Geheimnis aus den Neuigkeiten. 

"Was sind das für Neuigkeiten?", fragte Robyn interessiert. Mein Kopf fuhr herum. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er anwesend war. Er sah gut aus mit dem neuen Haarschnitt, es betonte sein hübsches Gesicht. Seufzend schaute ich weg als unsere Blicke sich trafen.

Ich sollte aufhören, ihn so unverhohlen anzustarren, schließlich hatten wir uns vor einer Weile getrennt und jeder führte wieder sein eigenes Leben. Das war auch gut so. Aber ich konnte nicht anders und schaute nochmal zu ihm rüber. Seine nackten Arme wirkten noch kräftiger als zuvor. Ob er regelmäßig harte Arbeit verrichtete und beim Holzfällen mithalf?

Gott, ich musste es sein lassen! Augen zu Idor!

Somit starrte ich den Ältesten an und wartete auf seine Antwort.

"Die Lichtelfen haben ein neues Experiment gestartet", begann er ernst und musterte uns einen nach dem andere. Wir stöhnten auf. Das durfte doch nicht wahr sein. Ein neues Experiment. Das Letzte ging doch schon gewaltig schief.

"Hört doch erst einmal zu, bevor ihr vorschnell urteilt", brachte er mit scharfer Stimme hervor, ehe er fortfuhr. "Es besteht die Möglichkeit, die Schattenelfen wieder zurück in Lichtelfen zu verwandeln."

Meine Augen wurden groß und mein Kinnlade klappte auf. Hatte ich mich verhört?

Fassungslos begegnete ich Feyas Blick. Sie schien ebenso überrascht wie die Übrigen. Von diesen Nachrichten hatte sie wohl vorher noch nicht gehört. Ihre Augen schienen eine Spur dunkler zu werden und sie wandte den Blick ab.

Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte? Wollten die Lichtelfen uns also wirklich wieder in Ihresgleichen verwandeln? Wie soll das denn bitte gehen?

Aufgeregtes Geplauder rauschte durch den Raum. Niemand wusste genau, wie sie das verdauen sollten oder was sie mit dieser Information anfangen sollten.

"Ich verstehe nicht", kam es verblüfft von mir.

Idor sah beunruhigt aus, doch er versuchte wirklich, die Fassung zu wahren. Jedoch konnte er seine wahren Gedanken vor mir nicht verbergen. Er hatte Angst, dass man uns ausrottete.

"Beruhigt euch, bitte.", versuchte er das Gemurmel zu unterbrechen. Angespannt fuhr er sich mit der Hand durch das Haar. Erst da bemerkte ich einen Ring an seinem Finger, der meinem ziemlich ähnlich sah.

Es war ein Erbstück meiner Mutter gewesen. Ein Silberring mit einem Quarz. Sein Stein jedoch war rot. Vielleicht ein Rubin. Ob sie alle damals so einen Ring gehabt hatten? Als Zeichen für ihren Übergang in die Dunkelheit? Oder stammte er aus Zeiten, in denen sie noch Lichtelfen gewesen waren.

"Es handelt sich um eine Methode, um uns wieder zurück in ein gemeinsames Leben zu bringen. Wir würden alle eins sein, keiner würde mehr verdrängt oder ausgeschlossen werden. Das Leben, was eure Eltern, Großeltern und ich noch kannten, könnte wieder zu unserem Alltag werden. Freude, Spaß und Licht könnten wieder ein Teil von uns sein. ", erklärte er ausschweifend, während er tief in die Erinnerungen versank. Sein Blick wurde glasig und irgendwie tat er mir leid. 

Ich konnte mir nur vorstellen, wie schön das Leben damals noch gewesen war, doch erleben durfte ich diese Zeit nicht. Vielleicht würde sich nun die Möglichkeit ergeben.

Idor räusperte sich, kehrte zurück in die Realität und berichtete uns mehr. "Zunächst werden nur einige von euch Jungelfen auserwählt, da ihr noch jung und somit empfänglicher für die Lichtgabe seid. " Er machte eine kurze Pause. "Wir werden eure Gabe heute nicht auslösen. Morgenabend bei Dämmerung werden wir uns genau hier versammeln und eure Gaben auslösen. Danach wird euch Carlos Maltara höchstpersönlich testen. Wer den Test besteht, der wird mit nach Lumerus gehen. Dort erfahrt ihr alles weitere."

Meine Hand ging in die Höhe. Idor nickte mir zu. "Was wird das für eine Art Test sein?", fragte ich neugierig. Hatte es mit unserer Gabe zu tun?

Der Älteste zuckte mit den Schultern. "Darüber wurde ich leider nicht informiert. Aber ihr könnt davon ausgehen, das es nichts Schlimmes sein wird. Nur eine Überprüfung, ob ihr geeignet seid oder nicht."

Also stellte ich mir nun die einzige Frage, die mich in diesem Moment interessierte: War ich geeignet oder nicht?

Im Schatten des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt