Melina
Ein Kind von Licht und Schatten geküsst, bleibt lange Zeit verborgen, sodass keiner es vermisst. Doch tritt es aus der Dunkelheit, ist das Licht nicht mehr weit.
Bis zur Abenddämmerung waren es nur noch wenige Augenblicke. Dann war es soweit. Der Lichtbringer würde uns einem Test unterziehen. Ruhelos lungerte ich im Inneren unseres Hause, wartete darauf, dass es dunkler wurde.
Nicht, dass das schwache Licht mich direkt töten würde, doch es würde mir wahrscheinlich schwere Verbrennungen hinzufügen. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden, weshalb ich warten musste bis die Sonne hinter den Bergen verschwand und den Himmel in ein dunkles Orange tauchte.
"Sitz still", ermahnte mich meine Großmutter, die gerade dabei war, Perlen in mein Haar zu flechten. Heute wollte ich besonders hübsch aussehen. Vielleicht beurteilte Carlos Maltara uns ebenfalls nach unserem Aussehen. Da wollte ich natürlich auffallen, obwohl ich das mit meinen hellbraunen Haaren sowieso schon tat.
Niemand im Schattenland hatte so helles Haar wie ich, es sei denn, es wurde grau. Und niemand wusste, woran woran es lag. Meine Eltern hatten mich bekommen, als sie sich schon längst der Dunkelheit angeschlossen hatte. Ihre Haare waren also ebenso dunkel, wie einst die meiner Großmutter - schwarz wie die Nacht.
Auch meine Augenfarbe stellte sich als äußerst ungewöhnlich heraus. Violett. Meine Augen hatten diesen schönen dunklen Violettton. Ich mochte die Farbe wirklich sehr.
Und es war mir gleich, dass die anderen mich als ungewöhnliche Schattenelfe ansahen. Vielleicht war ich einfach besonders. Oder vollkommen überheblich.
"Ich hoffe, ich werde erwählt", teilte ich meinen Großeltern aufgeregt mit. "Wenn das Experiment gelingt, dann würden wir alle wieder freier Leben können." Hoffnung schwang in meinen Worten mit. Diese Art von Hoffnung, die ich selten verspürte.
Mein Großvater murmelte etwas Unverständliches. Es klang nach wenig Begeisterung. Das kannte ich allerdings auch nicht anders von ihm. Er war nie der Elf gewesen, der sich mit der Lebenssituation abgefunden hatte. Er verachtete die Lichtelfen dafür, dass sie uns Schattenelfen als das Böse darstellten.
Meine Großmutter jedoch, tätschelte meinen Arm und wünschte mir, dass ich mein Glück eines Tages finden würde. Sie wusste, dass ich hier nicht glücklich war und es auch nie werden würde. Die Dunkelheit war mein Element, doch ich sehnte mich nach der aufgehenden Sonne, wollte die Lichtstrahlen in meinem Gesicht spüren - ohne Angst davor zu haben, in Gefahr zu geraten.
Und dann endlich war es soweit.
Gemeinsam standen wir Jungelfen in der obersten Ebene des Zentrums und warteten auf Carlos Maltara. Ich hatten den Lichtbringer zuvor noch nie zu Gesicht, sowie die meisten Schattenelfen. War ja auch irgendwie verständlich, wenn wir nur bei Nacht und die Lichtelfen nur bei Tag herauskamen. Nur in der Abenddämmerung war es uns möglich zeitgleich zu leben.
Idor flößte uns ein, uns bloß von unsere besten Seite zu zeigen, höflich zu sein und dem Lichtbringer, auch wenn er keiner von uns war, den größte Respekt entgegen zu bringen.
Artig nickten wir. Feya und ich verkniffen uns ein Kichern. Wir beide waren wirklich aufgeregt. Immer wieder fragte ich mich, welche Art von Test er mit uns vollführen wollte, nachdem wir unsere Gabe ausgelöst hatten. Und was würde passieren, wenn ich den Test bestand und er mich erwählte?
Definitiv müsste ich mein Zuhause für eine Weile verlassen.
"Wie schön, dass ihr alle pünktlich erschienen seid", erklang plötzlich eine tiefe Stimme am Treppenaufgang. Neugierig sah ich dem Elf entgegen, der mit langen geschmeidigen Schritten in den Raum trat.
Seine Erscheinung wirkte eindrucksvoll. Ebenso wie die anderen Lichtelfen hatte er blondes langes Haar, doch seines schimmerte so hell, dass er in dem wenig beleuchteten Raum, herausstach. Sein Gesicht wirkte höflich, aber es lag eine Spur Schalk darin. Eisblaue Augen musterte uns einen nach dem anderen. Er war groß und trug ein helles Gewand.
"Seid gegrüßt, Lichtbringer", begrüßte wir Carlos Maltara höflich und vielelicht auch ein klein wenig eingeschüchtert. Der Lichtbringer lächelte, sodass er eine Reihe schöner Zähne entblößte.
Dann neigte er den Kopf und erwiderte:" Seid gegrüßt, Jungelfen des Schattens" Dann wandte er den Kopf zu Idor, begrüßte auch ihn angemessen und tauschte sich mit ihm über ein paar Dinge aus.
"Nun gut", sagte Carlos lauter, drehte sich der Klasse zu und fuhr fort:" Wir haben wenig Zeit, weshalb ich gleich zu Punkt komme." Gebannt hingen wir an seinen Lippen. Ich konnte gar nicht anders, als jedes Wort in mir aufzusaugen. Er strahlte eine Präsens aus wie niemand anderes.
"Ich werde euch einem Test unterziehen, der in zwei Teile gegliedert ist. Ich möchte, dass ihr mir ganz genau zuhört und tut, was ich euch sage. Habt ihr das Verstanden?" Sein Blick ging durch die Runde, als sein Blick auf mir lag, nickte ich ganz von allein. "Gut", seufzte Carlos.
"Zunächst möchte ich, dass jeder von euch eine kleines Gewitter heraufbeschwört. Und zwar hier im Raum. Die Wolke soll etwa handgroß sein, nicht mehr.", erklärte er und zeigte uns mit seinen Händen, welche Größe er haben wollte.
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Es war nicht leicht etwas allein zu beschwören und dann auch noch so klein. Carlos Maltara wollte also wirklich nur die Besten der Besten.
Gemurmel brach aus. Feya tippte mich an. Besorgt zog sie die Augenbrauen zusammen. Ihre roten Augen wurden schmal. "Das haben wir noch nie gemacht", flüsterte sie scheu. Ich nickte zerknirscht. "Wir schaffen das schon irgendwie. Konzentrier dich einfach auf deine Macht", flüsterte ich zurück und wartete auf ihr zögerliches Nicken, ehe ich mich wieder zu dem Lichtbringer wandte.
Er beantwortete gerade Corsos Frage:" Ja, ich möchte, dass ihr allein eure Gabe auslöst. Damit ich sehen kann wie stark sie bei jedem einzelnen ausgeprägt ist. Also fangen wir doch mit dem ersten an."
Serafine war die Erste von uns, die die erste Aufgabe ausführen sollte. Nervös strich sie sich durch das schwarze Haar, sah immer wieder unsicher zu Carlos und schwenkte ab, anstatt sich zu konzentrieren.
So wurde das ganz bestimmt nichts.
Mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen versuchte sie, die kleine Gewitterwolke zu erzeugen. Es bildete sich langsam eine graue Wolke, die aber nach kurzer Zeit zerplatzte und Serafine zusammenschrecken ließ. Carlos schüttelte mitleidig den Kopf und ging zum nächsten über.
Robyn war an der Reihe. Er nickte Carlos ernst zu, schloss dann die Augen versuchte mit den Händen erst eine Art Kugel zu formen, woraus dann eine kleine Wolke entstand. Lächelnd öffnete mein ehemaliger Freund die Augen, starrte sein Kunstwerk mit Stolz an und ließ es leicht regnen. Kleine Blitze zuckten durch den Raum.
Beeindruckt von seinem Talent lächelte ich ihn an, als seinen Blick den meinen für einen Moment streifte, ehe er dann die Wolke mit einem Mal verschwinden ließ. Carlos nickte lächelnd und sagte:" Den ersten Test hast du bestanden" Begeistert klatschten wir.
Was Robyn schaffte, würde ich auch schaffen. Da war ich mir sicher. Weiter ging es mit Lynn, dann mit Corso und immer der Reihe nach. einige schafften es, einige nicht. Und dann schließlich landete Carlos bei mir.
Mit großen Augen starrte ich ihn an. Sein Blick begegnete dem meinen. Ich erkannte Zuversicht darin, ein wenig Neugier und noch etwas anderes, was ich nicht richtig deuten konnte. Es schien mir düster zu sein. Er musste etwas zu verbergen haben.
Doch damit hielt ich mich nicht lange auf, da ich all meine Gedanken beiseite schob, meine Augen schloss und in mich hineinhorchte. Ähnlich wie Robyn versuchte ich mit den Händen eine Kugel zu formen.
Mein Herz klopfte wie verrückt, da ich es unbedingt schaffen wollte. Je mehr ich es wollte, umso mehr Kraft schien durch mich hindurch zu fließen. Ich spürte förmlich wie die Dunkelheit von mir Besitz nahm. Völlig in meinem Element versunken merkte ich erst als die Klasse klatschte, dass ich es geschafft hatte.
Lächelnd sah ich auf meine kleine Gewitterwolke, die zwischen meinen Händen zuckte. Donner ertönte und Blitze erhellten den Raum. "Bemerkenswert", hörte ich Carlos Maltara flüstern. Grinsend ließ ich die Wolke verschwinden. Ich hatte es geschafft.
DU LIEST GERADE
Im Schatten des Lichts
Fantasy• Ein Kind, welches beide Gaben in sich vereint, bringt Licht in die Dunkelheit. Doch achte, der Schatten wacht über ihr. • Als Schattenelfe hat es Melina nicht gerade leicht im Land des Lichts zu leben, zumal sich die Lichtelfen vor ihr fürchten. S...