~2. Kapitel~

89 11 7
                                    

Drei Monate früher.

Für unser erstes Treffen hatte Valle den Biergarten am Seehaus vorgeschlagen. Obwohl wir uns mitten in der Woche um drei Uhr nachmittags verabredet hatten, war der Biergarten voller Menschen, die nach einer Woche kalten Regens jetzt die letzten warmen Septembersonnenstrahlen genossen. Ich war so aufgeregt, dass mich das aggressive Summen der Wespen, die kreischenden Kinder, das Gelächter und Gekrabbel all der Leute im Biergarten nur noch kribbeliger machten. Selbst der vertraute Geruch nach frischen Brezeln und Zwetschgendatschi, brackigem Seewasser und Softeis konnte mich nicht beruhigen. Wie würde er reagieren, was würde er sagen? Ich hatte keine Ahnung. Bei unserer allerersten Begegnung hatten wir nämlich nicht gerade viel miteinander geredet. Es war auf einem Abi-Fest gewesen, bei dem meine Band, die Grunks, einen Auftritt gehabt hatten. Kurz nachdem ich völlig erledigt von der Bühne runterkam und mich durch die tanzenden Menschen schob, sprang er mir plötzlich ins Auge. Ein schlaksiger großer Typ, seine Haare leuchteten rot-braun wie nasse Kiefernbaumstämme. Er bewegte sich wie ein schwarzer Panther unter lauter harmlosen Kätzchen. Geschmeidig und kraftvoll tanzte er und gleichzeitig entging ihm nichts, als ob er auf der Lauer nach Beute wäre. Und dann begegneten sich unsere Augen mitten in dieser rhytmisch zuckenden Menge von Tanzenden. Er grinste mich an und kam näher. Und als er direkt vor mir stand, wurde plötzlich alles anders, unser Zusammentreffen war wie eine Naturkatastrophe. Als ob ich bis dahin in völliger Sonnenfinsternis gelebt hätte und jetzt endlich das Licht angehen würde. Dabei hatte er sich nur zu mir heruntergebeugt und mich angeschaut. Mich. Angeschaut. Mit diesen Augen. Ein weiter blauer Himmel, der sich auf einem grünen See spiegelt. Diese blaugrün schillernden Seehimmel verwandelten meinen Bauch in ein Bündel Wunderkerzen, deren Funkenregen mein altes Ego komplett auslöschte und eine völlig andere Toni hervorbrachte, eine schwindlige, atemlose Toni, deren Haut bei der kleinsten Berührung Blitze abgesondert hätte. Und mitten in mein Gefühlschaos hinein fragte er mich, wieso ich in derart lächerlicher Montur herumlaufen würde, ob das irgendjemandem Angst machen solle. Wagre Rebellen würde man an ihrem Sein erkennen, nicht an ihrer Frisur. Das war wie ein Schlag ins Gesicht und ich, Toni Freitag, war nach seinem Kommentar sprachlos. Lächerlich hatte mich noch keiner genannt. Abgefahren: Robert, mein damals Noch-Freund.
Bescheuert: meine Klassenlehrerin.
Schmuddelig: meine Mutter.
Typisch pubertär: Ralfi, Mamas unsäglich toleranter Lebensgefährte, den Kati und ich hinter seinem Rücken immer nur Schwallfi nennen. Ich werde nur sehr selten rot, aber nach Valles Kommentar war mir das Blut ins Gesicht geschossen. Das konnte ich natürlich so nicht auf mir sitzen lassen. Deshalb hakte ich nach, was er denn mit dem Gerede von 'wahren Rebellen' meinen würde. Aber er hat nur den Kopf geschüttelt, gelacht und mir dann kryptisch geantwortet:"Das erkläre ich dir gerne ausführlicher. Aber nicht hier. Und nicht jetzt." Und bevor ich wieder klar denken konnte, hatte ich Valles Handynummer eingespeichert und stand wieder allein auf der Tanzfläche. Ich erwischte gerade noch einen misstrauischen Blick von Robert, der mich dazu brachte, mein Handy ganz schnell verschwinden zu lassen. Zwei Wochen später war es dann so weit: das erste richtige Date mit dem geheimnisvollen Valle. Ich war froh, dass wir uns am Bootsverleih verabredet hatten, weil wir uns hier nicht verfehlen konnten. Auf dem See waren schon viele kleine Tret- und Ruderboote unterwegs. Fast so viele Enten und Schwäne. Knapp über der Wasseroberfläche schwebten kleine duftige Knäuel, die aussahen wie Flaumfedern. In Wirklichkeit waren es Blüten, die von den Bäumen im Englischen Garten angeweht worden waren. Als ich ankam, sah ich ihn sofort. Er war schon unten am Steg, wieder in schwarzen Jeans und einem schwarzen T-shirt, in der Hand eine Tasche und einen langen schwarzen Umhang. Gerade beugte er sich zu einem Ruderboot, um die Taue zu lockern. Dabei verrutschte sein T-shirt und ich konnte einen Blick auf sein Schlüsselbein werfen. Weiß und irgendwie schüchtern ragte es aus dem Ausschnitt und ich spürte ein merkwürdiges Ziehen im Bauch und wollte es sofort anfassen, dieses bekloppte Schlüsselbein. Doch stattdessen kam ich näher und brachte immerhin ein "Hallo" heraus. Er drehte sich zu mir und deutete dann auf das kleine weiß-blaue Ruderboot. "Hi, ist das okay für dich?", fragte er und lachte mich an, mit diesen Augen. Und alles, was ich dachte, war: Ich muss mich dringend setzen. Mein Puls trommelte härter und schneller als jedes Solo, das Robert mir jemals vorgespielt hatte. Ich ging also zu Valle, kletterte über den Bootsrand, stieg in das schaukelnde Boot und ließ mich sofort auf eines der harten Holzbretter fallen. In meinen Ohren summte es komisch. Er stieg dazu, warf den Umhang neben sich, danach die Tasche. Dabei schwankte das Boot so unruhig hin und her, dass ich mich an den Seiten festklammern musste, um nicht von meinem Holzsitz zu kippen. Valle lachte mich an. "Macht Spaß, oder?" "Klar!", versicherte ich, und weil ich ihn dabei ganz ungeniert betrachten konnte, meinte ich es auch so. "Und du willst rudern?", fragte Valle und zog eine seiner schwarzen Augenbrauen in die Höhe. Ich blickte ihn verständnislos an, woraufhin er auf die beiden Ruder zeigte, die tatsächlich rechts und links neben meinem Sitz an der Bootswand befestigt waren. Ich wurde rot. Hoffentlich blamierte ich mich jetzt nicht gewaltig. "Oder bist du etwa zu schwach?" Er grinste, was mich natürlich schleunigst dazu brachte, ihm zu versichern, dass ich quasi die Ruderqueen Münchens wäre. "Gut, dann packe ich mal unser Picknick aus." "Picknick?" "Ich dachte, das würde dir Spaß machen." Jetzt verwandelte sich sein Grinsen in ein Lächeln. Ich starrte auf den  glitzernden See, damit Valle nicht gleich sehen konnte, wie gerührt ich war. So etwas hatte sich noch nie jemand für mich ausgedacht. Robert jedenfalls wäre das im Traum nicht eingefallen- Seepicknick, ds hätte er lächerlich spießig gefunden. "Wie wär's erstmal mit Kaffee?" Valle beugte sich etwas vor, das brachte einen Duftschwall von Zigaretten, Kaffee und etwas anderem zu mir, das mich an Kirche erinnerte. Nein, nicht Kirche, Weihrauch. Und ich sah wieder sein Schlüsselbein, unter dem eine blaue Ader pochte. Deutlich langsamer als mein Puls. Ich versuchte, mich abzulenken, und legte mich gewaltig ins Zeug, leider platschten die Ruder dabei bloß höchst unprofessionell aufs Wasser, das Boot kam ins Strudeln und bei meinem Versuch, den Kurs zu halten, spritzte ich uns voller Wasser. "Hey!" Valle, der gerade zwei Becher "Coffee to go" aus seiner schwarzen Tasche herausgeholt hatte, schwankte gefährlich und  und verschüttete etwas Kaffee auf seiner Hose. "Verdammt heiß!", sagte er mit so einem merkwürdigen Ton, und weil er mir dabei direkt in die Augen sah, wurde mir auf der Stelle noch heißer, als es mir von meinen jämmerlichen Ruderversuchen ohnehin schon war. Er reichte mir den Becher. ich ließ ein Ruder los. "Ich hoffe, du magst Latte Macchiato?", fragte er und nahm einen großen Schluck aus seinem Becher. Ich hötte jetzt sogar Apfelwein getrunken, den ich verabscheue, oder Waschwasser. ich konnte nur nicken. "Und du? Was trinkst du?" "Doppelten Espresso, extra stark." "Ohne Zucker?" Er nickte. Ich stellte meinen Becher vor mir ab und griff nach dem Ruder, das sich gerade aus der Halterung verabschieden wollte. Im letzten Moment erwischte ich es und überlegte immer noch verzweifelt, was ich Lässiges sgen könnte. "Wow, ohne Zucker, dann bist du also ein ganz Harter!" "Klar, nur die Harten kommen in den Garten..." "und die Härteren zur Gärtnerin!", vollendete ich den blöden Spruch und ärgerte mich maßlos, dass mir nur so ein Schwchsinn eingefallen war. "Wer will denn schon zur Gärtnerin?" Er grinste und reichte mir zwei Zuckertütchen und ein Holzstäbchen zum Umrühren. "Was hast du gegen Gärtner?" "Das liegt doch auf der Hand, der Mörder ist schließlich immer der Gärtner." "Nur in schlechten Filmen", konterte ich und schüttete den Zucker in meinen Latte. "Wer entscheidet, was ein schlechter Film ist?", fragte er. "Na ich!" "Kluges Mädchen." Ich stellte den Latte ab und beschäftigte mich wieder mit den Rudern, legte dabei ordentlich an Tempo zu, nur damit Valle nicht merkte, wie sein Kommentar meinen Puls beschleunigt hatte. Komisch, wenn Schwallfi so etwas sagen würde, müsste ich kotzen. "Das gefällt mir übrigens." "Was?" "Dass du nicht blöd bist. Dummheit langweilt mich. Viele Mädchen sind dumm, soll heißen, die meisten Mädchen langweilen mich." "Arrogant bist du ja gar nicht!" Er trank seinen Becher aus und schenkte mir dann wieder ein Lächeln. Zuerst dachte ich, er würde mich auslachen, aber dann verzog sich sein Mund, und weil sich seine Lippen dabei öffneten, wirkte er plötzlich sehr verletzlich. Und obwohl ich noch an seinem letzten Spruch zu knabbern hatte, fiel mir doch auf, dass seine Lippen verführerisch wie Granatapfelkerne schimmerten. ich zwang mich, schnell woandershin zu sehen, und doch nach ein paar Sekunden riss ich mich von diesem Anblick los und starrte auf die silbern glitzernden Sonnenreflexe im Wasser, um auf andere Gedanken zu kommen. "Und was machst du so?", fragte er und es klang so, als würde ihn das wirklich interessieren. Ich zuckte mit den Schultern, weil ich keine Ahnung hatte, was genau er gut finden würde. "Na, du hast es ja an dem Abend neulich gesehen. Ich spiele in einer Band." "Übler Punk-Rock. Wer schreibt die Texte?" "Was für Texte?" Ich grinste, als hätte ich einen Witz gemacht, dabei wollte ich nur Zeit gewinnen, denn eigentlich schrieb Robert unsere Texte. Aber ich hatte mir vorgenommen, auf keinen Fall an ihn zu denken und jetzt schon gar nicht. Was mehr als mies war, denn es waren Roberts Texte gewesen , wegen denen ich unbedingt Mitglied der Band hatte werden wollen. "Ich meine, um was geht's bei euch?", fragte Valle. "Um alles Mögliche."Ich verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte. "Wir wollen Leute provozieren, aber es geht um Gefühle wie Versagen, Lieben, Siegen." "Gefühle sind Unsinn." "Klar, ist oft mal so", sagte ich- und dachte, dass eben jetzt genauso ein Moment war-wie ich hier saß und valle gern berührt hätte, aber mich nie im Leben trauen würde. "Du kapierst nicht was ich meine. Gefühle machen dich schwach." Ich wurde rot. Konnte Valle vielleicht Gedanken lesen? "Wenn du Kontrolle über dein Leben haben willst, darfst du dich nicht deinen Gefühlen ausliefern." "Nie?" "Erst einmal musst du herausfinden, ob es Gefühle sind oder Triebe." Mir wurde flau im Magen. "Ach ja?" "Triebe kann man beherrschen, indem man ihnen nachgibt, sie auslebt, denn nur so verlieren sie die Macht über einen. Sex zum Beispiel." Er starrte mir in die Augen , ich hielt das nicht mehr aus, mein Herz, mein Bauch, meine Füße zappelten, es fühlte sich an, als wären sogar meine Haare elektrisch aufgeladen. "Hmm..." Mehr brachte ich nicht raus. Er strich eine Haarsträne hinter sein Ohr, stopfte sein T-Shirt am Bauch fest in seine schwarzen Jeans. Mein Blick folgte seiner Hand. Sein Bauch war glatt und hart wie ein Surfboard. Hatte ich wirklich nur Latte getrunken oder nicht doch irgendwelche Drogen genommen. Er zeigte auf die Ruder. "Komm, lass uns die Plätze tauschen. Ich hab auch etwas zum Essen mitgebracht, solange kann ich ja rudern." Wir standen beide gleichzeitig auf, das Boot wackelte gefährlich, die anderen Leute in den Booten um uns herum lachten und warteten nur darauf, wer zuerst in die grünbraune Brühe fallen würde. "Langsam", sagte er behutsam. Wir setzten uns wieder. "Erst kommst du zu mir, dann gehe ich zu den Rudern, okay?" Er nickte mir zu, ich erhob mich, bewegte mich sachte auf ihn zu, betete, dass das Boot zu meinen Gunsten etwas schwanken würde, half nach und landete dann wirklich unbeholfen auf seinem Schoß.


SO SCHNELL ES GEHT WERDE ICH WEITER SCHREIBEN. ALSO HEUTE ABEND SPÄTESTENS. VIEL SPAß BEIM LESEN DIESES KAPITELS HIER<3 eure xDalilaxChiarax


Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 23, 2016 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Die Hölle trägt ihren Namen zurecht.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt