Eine weitere, schmerzhaft lange Nacht. Major ließ sich langsam auf dem feuchten Gras nieder. Der Himmel war klar, fast schon ein wenig zu klar. Man konnte jeden einzelnen Stern, sowie den vollen Mond erkennen. An Schlaf war in solch einer Nacht nicht zu denken. Aber das hatte der Chupacabra sowieso nicht vor. Solch Nächte waren nicht zum Schlafen geschaffen, sondern zum Denken, zum Reflektieren. Besonders in diesen Zeiten war das wichtig. Major hob den Kopf gen Himmel und jaulte leise, kaum hörbar auf. Im selben Moment rollten Tränen aus den leuchtend roten Augen des Getiers.
Es ist vorbei und alles was bleibt ist ein großes Loch. Dieses Gefühl, als ob einem etwas essentielles brutal herausgerissen worden war, war für Major unerträglich. Die Wunde war noch frisch, das war dem Chupacabra durchaus bewusst, knapp zwei Wochen alt, der Schmerz würde irgendwann vergehen. Die Erinnerungen jedoch, würden immer wieder kleine Wellen des Schmerzes auslösen. Unzufrieden mit sich selbst und allem um sich herum, senkte Major den Kopf, legte sich hin und schloss die immernoch feuchten Augen, um intensiver nachdenken zu können.
Ein wenig mehr als ein Jahr. Länger hat sie nicht angedauert. Die erste Bindung. Major wusste, dass es erbärmlich war, so etwas hinterher zu trauern, doch die Erinnerungen verbunden mit den Gefühlen, machten es dem Chupacabra schwer, auf solch eine Art darüber nachzudenken. Es tat einfach nur weh. Und das war in Ordnung, so ist das nunmal.
Fakt ist, dass es nun vorbei ist. Für immer. Es gibt kein zurück mehr, und das ist auch gut so. Die Liebe ist schon lange erloschen gewesen und das war leicht zu bemerken. Sogar schon bevor dies der Fall war, war alles am Zerfallen. Der Chupacabra hatte das zwar schon oft bemerkt, aber schnell wieder drüber hinweggeschaut und es als eine unbedeutende, einmalige Sache abgetan. Eine Bindung aufrecht zu erhalten erfordert Opfer, jedoch fühlte es sich für den Chupacabra irgendwann so an, als ob die meisten Opfer von ihm kamen. Es wurde irgendwann ermüdend diese Beiträge, die erwartet wurden, zu leisten. Wenn doch wenigstens etwas zurückgekommen wäre, nicht viel, nur ein winziger Akt der Anerkennung. Aber leider nein. Häufig war sogar eher das Gegenteil der Fall. Major hatte gehofft, dass es mit der Zeit besser werden würde, dass irgendwann bemerkt werden muss, wie viel Mühe sich der Chupacabra gab, damit man sich wohl fühlte. Aber es half alles nichts. Es blieb unerkannt.
Major sollte eigentlich glücklich sein, dass es nun vorbei war, doch dieses Gefühl war nicht einmal in der Ferne zu erkennen. Der Chupacabra hatte so viel geteilt, Informationen über sich selbst, die niemand sonst kannte, wichtige Zeiten, Gefühle und Liebe. Es hat sich wirklich wie etwas, besonderes angefühlt, und das war es bestimmt auch. Es fing schon bei so simplen Sachen wie physischen Kontakt an, es war das erste Mal, dass es sich für Major nicht falsch angefühlt hat, sich auf Berührungen einzulassen. Die Bindung hatte einfach zu viel emotionalen Wert um sie vollkommen loszulassen, doch das hieß nicht, dass sie den Chupacabra glücklich gemacht hat.
Also hatte Major keine andere Wahl, als dem Trauerspiel den Gnadenstoß zu verpassen. Es war wirklich schade, da es nicht viel gebraucht hätte um dies zu vermeiden. Der Chupacabra hätte nicht davor zurückgeschreckt noch mehr von der Last dieser Bindung auf sich zu nehmen, wenn nur irgendwas zurückgekommen wäre. Das Warten hatte sich jedoch als vergeblich herausgestellt. Die Bindung tat Major nicht gut, es hätte nicht mehr lange gedauert und sie hätte den Chupacabra von innen heraus zerfressen. Und wie könnte man jemanden glücklich machen, wenn man es selbst nicht einmal war? Es hatte keinen Sinn mehr, es musste ein Schlussstrich gezogen werden, auch wenn dies gegen alles sprach wofür Major dachte gestanden zu haben.
Damals dachte der Chupacabra noch, er könne alles auf sich nehmen, egal wie verletzend es auch sein mag. Doch die Realität sah anders aus: Major ist kein willenloses Spielzeug, mit dem man tun und lassen kann was man will, sondern ein Lebewesen mit Gefühlen und Bedürfnissen. Durch diese Erkenntnis, beschloss Major die sterbende Bindung eigenhändig zu brechen, aber verlor auch gleichzeitig ein wenig des eigenen, ungesunden Selbstbildes. Jahrelang war der Chupacabra davon überzeugt, er könne eine Bindung ganz alleine tragen, doch dies erwies sich als töricht. Vielleicht wollte das Schicksal Major zeigen, wie dumm dieser Gedanke doch war. Das hatte es zwar geschafft, doch trotz allem, fürchtete der Chupacabra, diese Fehler könnten sich wiederholen.
Das nun einsame Fabelwesen wusste zwar, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, doch trotzdem fühlte es sich so falsch an. Major würde dem vergangenen noch lange hinterhertrauern. Der Chupacabra war vorher unzufrieden und ist es nun immernoch. Es fehlte etwas. Jemanden zum Berühren, zum Lieben. Eine Bindung. Das Leben fühlte sich ohne nun so sinnlos an. Doch Major wollte es nicht wagen eine weitere einzugehen. Der Schmerz der ersten Bindung, hielt den Chupacabra an Ort und Stelle.
Major hatte es wirklich versucht, alles gegeben und hätte noch so viel mehr getan, doch die Bindung blieb kalt und verlor jeglichen Sinn. Alles was sich der Chupacabra gewünscht hatte war jemand, für den er wichtig war, der sich für ihn interessierte, seine Sorgen ernst nahm, die Mühen anerkennt und das Fabelwesen so lieben konnte wie es war. Major war nun davon überzeugt, dass auch dies zu viel verlangt war.
Die Zeit verging, es fing schon langsam an zu dämmern. Major richtete sich auf und schleifte sich in den Schutz eines nahegelegenen Waldes. Es war schwer mit all den Gedanken zur Ruhe zu kommen, doch irgendwann gelang es dem Chupacabra dann doch noch einzuschlafen.
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