„Leg es zurück!“, ertönte hinter mir plötzlich eine raue Stimme, die wie Eiswasser meinen Rücken hinabrieselte und das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Ein Arm kam in mein Sichtfeld, stützte sich auf Höhe meines Kopfes am Regal ab und versperrte mir den Weg.
„Scheiße, Bulle! Stalkst du mich?“, stieß ich fluchend aus, kaum, dass mein Herzschlag wieder eingesetzt und meine Nerven sich einigermaßen beruhigt hatten und wandte mich dem unliebsamen Überraschungsgast zu. „Ist das nicht eigentlich strafbar?“
„Strafbar ist das, was du hier gerade abziehst! Also sei ein braver Junge und leg es augenblicklich zurück!“ Das Dröhnen seines Basses verursachte mir immer wieder aufs Neue Gänsehaut und das bei jedem gottverdammten Treffen. Sein Gesicht schwebte nur Zentimeter über dem meinen, automatisch sog ich die Luft ein. Ganz unverkennbar Ben. Seine dunkelbraunen Augen wirkten in dem Licht dieser schäbigen Tankstelle beinahe schwarz. Nur, wenn die Neonröhre einige Regale weiter flackerte, schimmerten sie wie das Holz einer alten Wenge. Schwarz, durchzogen von flüssiger, dunkler Schokolade.„Hör auf zu träumen, Noah!“, riss er mich aus meiner Betrachtung und grinste schief. Ganz unwillkürlich rutschte mein Blick über die gerade, schmale Nase nach unten und blieb an diesen Lippen hängen. Er lächelte immer noch. Wie immer, wenn ich ihn traf und das tat ich sehr oft! Egal wo, egal wann. Er war wie ein Schatten, der mir folgte. Mich verfolgte, um ganz genau zu sein, denn meine Frage nach dem Stalking kam keineswegs unberechtigt.
„Rutsch zur Seite, Bulle!“, forderte ich, weil mich seine extreme Nähe etwas nervös machte. Wenn er, der einen Kopf größer war als ich, direkt vor mir stand und mich mit seinen breiten Schultern und der muskulösen Maße ans Regal nagelte, hatte ich das Gefühl, noch kleiner als meine sonstigen eins achtzig klein zu sein. Als er sich nicht rührte, legte ich ihm meine Handfläche auf die Brust und versuchte ihn mit sanfter Gewalt von mir zu schieben. Am besten so, dass der alte, schmierige Sack am Tresen keinen Verdacht schöpfte. War auch so schon schwer genug, wenn man von einem stämmigen Bullen ans Regal gepinnt wurde. Noch mehr unnötige Aufmerksamkeit brauchte ich wirklich nicht.
Da er immer noch keine Anstalten machte sich zu rühren, schlüpfte ich kurzerhand unter seinem ausgestreckten Arm hindurch und marschierte siegessicher davon. So zumindest war der Plan, doch kaum, dass ich zwei Schritte weit gekommen war, legte sich ein Schraubstock um mein Handgelenk und zog mich zurück. Die zweite Hand verschwand direkt unter dem Saum meines Shirts. Warme, lange Finger streiften den Bund meiner tiefsitzenden Jeans entlang, streichelten über meinen Hüftknochen, verbrannten die Haut. Wie von selbst spannten sich die darunter liegenden Muskeln an. Geschickt schoben sich die forschen Finger voran, bis sie mir in die eng anliegende Boxer griffen und die zuvor dahin gesteckten Kondome herausfischten.„Hey...“, knurrte ich und widerstand dem Drang, die Hitze zu vermissen, die seine Finger hinterlassen hatte. Es war einfach ein zu schönes Gefühl, welches ich aber sofort unterbinden und vergessen sollte. „Nennt man das nicht sexuelle Belästigung?“, versuchte ich mich von ihm loszureißen, doch seine Hand um mein Handgelenk gab keinen Millimeter nach. Hass stieg in mir auf. Dieses Gefühl von Schwäche, von Unterlegenheit konnte ich einfach nicht ab.
„Lass mich los...“, zischte ich also durch die zusammengepressten Zähne und zappelte erneut drauf los.
„Dann zeig mich doch an! Soll ich gleich jetzt und hier ein Anzeige aufnehmen? Und dabei erwähnen, was du gerade hier getrieben hast?“ Sein Grinsen wurde immer schiefer und am liebsten hätte ich es ihm aus dem Gesicht gekratzt.
„Ha... Ha... Sehr lustig!“, presste ich, immer noch mit dem kläglichen Versuch beschäftigt meinen Arm zu befreien, hervor. Und dann ließ er ganz unerwartet los, sodass ich ins Stolpern kam und mein Herz erneut einen Schlag aussetze. Herrgott noch mal! Dieser Kerl würde irgendwann noch für meinen Tod sorgen.
Doch nicht heute. Augenblicklich war da erneut sein Arm, der mich vor einem Sturz bewahrte, indem er nach meinem Shirt griff. Verdammt, sein Beschützerinstinkt stank bis zum Himmel.„Ich kann alleine stehen!“, stieß ich seinen Arm weg und trat einen Schritt zurück. Dieser Schrank von einem Kerl sollte gefälligst mal die Kurve kratzen. Meine Nerven hatte er für heute genug strapaziert. Wobei… Das Vergnügen mich beim Klauen erwischen zu lassen, hatte ich noch nicht gehabt. Ich wurde nachlässig, das sollte ich ganz dringend ändern, um nie wieder in so eine Situation zu geraten.
„Das seh ich!“ Immer noch zierte dieses sexy Lächeln seine Lippen. Konnte der Mann auch etwas anderes? Und damit meinte ich natürlich, außer mir die ganze Zeit über mein Leben zu versalzen.
„Willst du mich verpfeifen und festnehmen, Bulle?“, stellte ich die elementare Frage und verschränkte beide Arme vor der Brust. Sonst würde sicherlich auch noch Körperverletzung zu den aufgezählten Delikten kommen. Denn dazu käme es mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn ich nicht bald von hier verschwinden durfte.
„Nicht, wenn du mir versprichst, solche Sachen zu lassen!“ Endlich verschwand das Lächeln und wandelte sich in ein ernstes Gesicht. So konnte man ihn doch glatt besser ertragen. Ein Problem aus der Welt, ein neues dazu gekommen. Gott, der Tag hätte so schön sein können, wenn ich nicht ständig in Scheiße griffe. Wie zum Teufel konnte ich nur so ein Versprechen geben? Oder besser, wie konnte er so etwas nur verlangen, der kannte mich doch mittlerweile gut genug!„Ich verspreche dir, mich nicht mehr erwischen zu lassen! Okay, Bulle?“ Diesmal war ich es, der mit dem schiefen Grinsen und der Lässigkeit daherkam. Was der konnte, konnte ich schon lange. Ich ließ mich doch hier nicht von so einem Bullen unterkriegen.
Das Blickduell, das wir beide gerade ausfochten, war filmreif. Schurke gegen Superheld, wobei ich mich nicht gerade in der Rolle des Bösewichts sah. Wem tat denn schon ein Päckchen geklauter Gummis weh? Weder ihm, noch mir, noch diesem alten, grimmig dreinschauenden Verkäufer.
„Das reicht mir fürs Erste!“, bekam ich nach einer gefühlten Ewigkeit überraschend zur Antwort und konnte es kaum fassen. Irgendwie hatte ich mich innerlich bereits auf eine fette Diskussion eingestellt, stattdessen trat er einfach an mir vorbei und ging. Nun doch etwas perplex über den schnellen Abgang, eilte ich ihm hinterher. Als ich gerade bei ihm ankam, legte er das Päckchen mit den Kondomen, sowie ein Päckchen Kaugummis und einen Schokoriegel auf den Tresen.„Hey Bill, wie ist das Spiel?“, grüßte er den Verkäufer, der auf einmal gar nicht mehr grimmig dreinschaute, sondern uns – oder besser gesagt Ben – sein teilweise zahnloses Grinsen präsentierte.
„Alles Mist, wie immer!“, antwortete er und tippte eher geistesabwesend die Preise ein.
Immer noch irritiert stand ich nun wie ein treudoofes Hündchen neben Ben und verfolgte schweigend die Situation. Die beiden Herren schienen mich dabei völlig zu ignorieren oder schlicht meine Anwesenheit vergessen zu haben.
„Da hast du recht! Ich hab es gestern gesehen. Jedes Mal derselbe Mist. Ein Wunder, dass sie noch nicht in der Liga abgestiegen sind...“, erwiderte seufzend mein Bulle. „Grüß Maria von mir!“, setzte er hinzu, verabschiedete sich und wandte sich zum Gehen. Erneut lief ich ihm nach. Das sollte aber nicht zur Gewohnheit werden. Wo kam ich denn hin, wenn ich einem Bullen nachlief?
„Hier!“, drückte er mir plötzlich das Päckchen Gummis in die Hand, kaum, dass ich zum Stehen gekommen war und öffnete die Autotür.
„Was soll der Mist?“ Ich hatte es grade so noch geschafft danach zu greifen, bevor es auf den Boden gefallen wäre. Wer war ich denn, wenn ich anfing Almosen von ihm anzunehmen? „Behalt deinen Scheiß selbst, Bulle!“, giftete ich also wütend zurück und streckte ihm nun sein Päckchen, schließlich hatte er es auch bezahlt, entgegen.
Krachend fiel die Autotür hinter ihm ins Schloss und er schnaubte laut und hörbar, trat einen Schritt auf mich zu und ich widerstand dem Verlangen nach hinten auszuweichen. Es war nie gut, solch einen Berg von einem Mann so zu provozieren. Diese Erfahrung hatte ich schon das ein oder andere Mal schmerzhaft am eigenen Leibe durchleben dürfen.
„Steck sie ein und verschwinde!“, knurrte er mir zu, zum ersten Mal seit ich ihn kannte. „Bevor ich mich vergesse und mir das mit der Anzeige doch noch anders überlege!“
DU LIEST GERADE
Leck mich, Bulle [Leseprobe]
ActionMein bescheidenes Leben hätte so toll sein können, wenn da nicht dieser selbstverliebte, arrogante Mistkerl gewesen wäre, der sich einbildete, mich retten zu müssen. Stellte sich nur die Frage vor was? Denn ganz gleich, was ich auch trieb, sei es, d...