Trauen

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Der Urlaub in Mykonos, mit meiner Schwester und Jamie, ist jetzt schon zwei Wochen her. Das Verhältnis zu Leiah hat sich ein bisschen gebessert und wir versuchen so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen, aber trotzdem fühlt es sich manchmal noch komisch an. Und ich kann verstehen, dass sie immer noch Zeit braucht, damit sie mir wieder vertraut und dass sie noch Zeit braucht, um mir ganz zu verzeihen. Schließlich habe ich sie monatelang vernachlässigt und mich wie der größte Arsch verhalten, den es nur geben kann.

Noah, der Junge, der mich an der Bar angesprochen hat und mir seine Nummer gegeben hat, geht mir seit dem Urlaub nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe mich bis jetzt nicht getraut ihm zu schreiben, weil ich noch nie mit jemanden geschrieben habe, den ich echt süß und attraktiv finde. Seufzend stehe ich vom Sofa auf, wo ich mich nach der Schule direkt hingeschmissen habe und laufe in mein Zimmer, um meine Sporttasche zu packen, da ich gleich ins Training muss. Mittlerweile darf ich schon bei den Profis von Mainz 05 mittrainieren, was mich wirklich stolz macht. Es ist zwar sehr fordernd, aber es macht mir trotzdem Spaß. Und die ganze Extraeinheiten, die ich genommen habe, mache ich nicht mehr, da ich dann Zeit mit Leiah verbringe, was mir echt extrem gut tut und mich auf dem Boden der Tatsachen hält. Mit der Tasche um meiner Schulter laufe ich wieder in den Flur, wo ich auf meine Zwillingsschwester treffe. „Fährst du Fahrrad?", fragt sie mich und hält mir meinen Helm schon hin. „Ja, danke", bedanke ich mich lächelnd bei ihr. Leiah schaut mich darauf nervös und unsicher an, worauf ich meine Tasche nochmal abstelle und sie fragend anschaue, während ich meine Hände auf ihre Schultern lege. „Alles gut, Bärchen?", frage ich sie und mustere sie. „Ja...nein...ja, eigentlich schon...ich wollte nur was fragen..., aber ich traue mich nicht", erklärt sie mir leise. „Du weißt doch, dass du mich alles Fragen kannst. Also, was ist los?", lächle ich sie aufmunternd an. „Meinst du..., dass ich vielleicht mal zuschauen kann? Also beim Training...", rückt sie mit der Sprache raus. Direkt bildet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht, da ich es zum Teil süß finde, wie sie so unsicher ist, und zum Anderen freue ich mich, dass sie mich beim Training beobachten will. „Na klar kannst du mitkommen", antworte ich ihr darauf und schließe sie einfach in meine Arme, was sie zögerlich erwidert. Schnell holt sie darauf noch ihren Helm und gemeinsam laufen wir dann runter, wo wir unsere Fahrräder aus der Garage holen und zum Trainingsgelände fahren. Kurz vor dem Gelände liefern Leiah und ich uns noch ein Rennen ab, wo sie gewinnt. Ich würde es zwar nie zugeben, aber meine Schwester ist sportlicher als ich und ich bin Fußballprofi.

Am Trainingsplatz treffe ich auf zwei meiner Mitspieler, die natürlich neugierig fragen, wer das Mädchen bei mir ist. „Leute, das ist meine Zwillingsschwester Leiah und sie wollte heute mal zuschauen", erkläre ich ihnen stolz, worauf sie Leiah freundlich begrüßen. „Du kannst dich da auf die Tribüne setzen. Ich ziehe mich schnell um und sage allen Bescheid, dass du zu mir gehörst", rede ich zu meiner Schwester, die nickt und sich auf die Tribüne setzt. Mit den Jungs gehe ich dann in die Umkleide, ziehe mich schnell um und sage meinem Trainer und allen Mitarbeitern Bescheid, dass meine Schwester auf der Tribüne sitzt.

Das Training ist so wie immer. Anstrengend, aber dennoch sehr effektiv. Ein wenig müde trotte ich aus der Umkleide und laufe sofort zu meiner Schwester, die mich anlächelt. „Du hattest echt Spaß dabei", begrüßt sie mich lächelnd, was ich erwidere. „Hat es dir gefallen?", hinterfrage ich. „Ja, es war schön. Danke, dass ich zuschauen konnte. Dad hat gerade angerufen, dass wir schnell nach Hause kommen sollen, weil das Essen gleich fertig ist", erklärt sie mir, was mich nicken lässt. Zusammen fahren wir dann wieder mit dem Fahrrad zurück und essen direkt, da Dad schon gekocht hat. Während dem Essen redet Mala viel und will uns erklären warum es wichtig ist, dass man jede zwei Tage eine Gesichtsmaske aufträgt, wobei ich eher weniger zuhöre, da es mich nicht so wirklich interessiert. „Dad? Jamie macht ja gerade sein Abitur und wir können uns ja nicht sehen. Darf ich demnächst über das verlängerte Wochenende nach München fahren und ihn überraschen? Es ist so schwer sich nur am Telefon zu sehen", unterbricht Leiah unsere andere Schwester. „Alleine?", hinterfragt Dad. „Ja, das sollte ich doch hinbekommen, nicht? Vom Bahnhof kann Tine mich abholen und dann muss ich mir kein Taxi nehmen. Und ich habe schon mit Tine darüber geredet. Sie hat gesagt, dass ich natürlich bei ihnen schlafen kann", nickt sie. „Aber nicht in einem Bett mit Jamie, oder?", gebe ich von mir, was aber komplett ignoriert wird. „Ich vermisse ihn echt, Dad. Und Jamie kann im Moment nicht kommen, weil er in der Klausurenphase ist", überhört Leiah meinen Kommentar. „Denkst du dann nicht, dass Jamie lieber alleine ist? Damit er sich besser konzentrieren kann", überlegt Dad laut, was Leiah nicht so gefällt. „Ich weiß, dass er lernen muss und er soll auch weiter lernen, wenn ich da bin. Ich will nur nachts in den Arm genommen werden, ein paar Küsse bekommen und mit ihm kuscheln. Da kann er auch lernen und ich kann ihn abfragen. Ich will ihm beistehen dabei, verstehst du", erklärt meine Zwillingsschwester ihm. „Ich denke trotzdem nicht, dass es eine gute Idee ist und ich möchte dich auch nicht alleine Zug fahren lassen. Ihr könnt euch ja in zweieinhalb Monaten wieder sehen, wenn seine Klausurenphase vorbei ist", erlaubt Dad es ihr nicht. Sofort sehe ich ihr an, dass ich mit den Tränen zu kämpfen hat und kann komplett nachvollziehen, dass sie sauer aufsteht und in ihr Zimmer geht. „Ich schaue nach ihr", melde ich mich sofort zu Wort und laufe ihr hinter.

Vorsichtig klopfe ich an ihrer Tür an und höre sie leise weinen. „Geh weg, Dad!", ruft sie durch die Tür, worauf ich die Tür öffne. „Ich bin nicht Dad", lächle ich leicht und laufe zu ihr, da sie auf ihrem Bett sitzt. „Komm her", fordere ich sie auf und schließe sie in meine Arme, wo sie sich reinfallen lässt. So sitzen wir da bestimmt eine halbe Stunde, wo ich sie einfach im Arm halte und sie tröste. „Wenn es dich aufheitert, ich kann dich nachts im Arm halten", versuche ich sie wieder zum Lachen zu bekommen, worauf sie sogar lächeln muss. „Du schnarchst", schüttelt sie den Kopf. „Tue ich gar nicht!", widerspreche ich ihr lachend und fange an sie zu kitzeln, was sie zum Schreien bringt. „Leon! Hör auf!", lacht sie außer Atem und versucht sich von mir zu lösen. „Erst wenn du sagst, dass ich nicht schnarche", fordere ich sie genauso lachend auf. „Okay! Du schnarchst nicht", erwidert sie darauf, weswegen ich wie versprochen aufhöre und sie nicht mehr kitzle. „Danke, dass du mich aufgeheitert hats, Leon", bedankt sie sich bei mir und umarmt mich feste. „Das ist selbstverständlich. Ich werde immer für dich da sein, Bärchen", winke ich ab und erwidere die Umarmung, wobei ich mich gemütlich hinlege, sodass Leiah und ich kuscheln können. „Denkst du, dass ich wirklich nicht nach München fahren sollte?", hinterfragt sie leise. „Ich weiß es nicht. Ich habe niemanden, zu dem ich fahren könnte, weil ich in keiner Beziehung bin. Und Jamie muss ja auch für das Abi lernen. Vielleicht fragst du mal Tine wie es bei ihm aussieht und wenn er Zeit hätte, kannst du ja wirklich runter fahren. Wenn du magst, dann decke ich dich auch. Ich finde einfach, dass man füreinander da sein sollte, wenn man einem liebt. Und ich weiß auch, dass es grad der richtige sagt, der seine Schwester benachteiligt hat, aber ich finde es gut, dass du jemanden gefunden hast, der dich über alles liebt", lächle ich sie leicht an, da sie sich ein wenig von mir gelöst hat, ich sie aber trotzdem noch in meinen Armen halte. „Das ist eine gute Idee, danke Leon. Ich frag Tine gleich heute Abend. Gibt es bei dir denn niemanden, auf den du stehst? Keinen crush oder sinnlose Schwärmerei bei einem Mädchen? Dir liegen doch Safe alle Mädchen zu Füßen, oder nicht? Fußballspieler, groß gebaut, attraktiv und Single. Wenn ich auf Fußballer stehen würde und nicht deine Schwester wäre, würde ich mich dir bestimmt an den Hals schmeißen", schmunzelt sie. Kurz überlege ich, ob ich erzählen sollte, dass ich schwul bin, verwerfe dann aber den Gedanken und seufze leise. „Es gibt schon jemanden, den ich im Urlaub kennengelernt habe. Aber ich habe mich noch nicht getraut eine Nachricht zu schreiben", erkläre ich ihr, damit ich sie nicht vollkommen anlüge. „Uhhhh, warum schreibst du sie denn nicht an? Von nichts kommt nichts, Leon! Ich würde dir das echt raten, ich kann dir auch gerne helfen, wenn du magst", fordert sie mich auf, was mich leicht lachen lässt. Leiah ist schon süß, wenn sie große funkelnde Augen bekommt. „Ich überlege es mir", ist alles was ich dazu sage, ehe wir einfach wieder schweigen und kuscheln.

Am Abend liege ich wach im Bett und kann nicht schlafen. Leiahs Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sollte ich ihm wirklich schreiben? Vielleicht hat er mich auch schon wieder vergessen, dass er mir seine Nummer gegeben hat oder vielleicht hat er mir nur seine Nummer aus Mitleid gegeben. Leiah hatte recht, wenn ich mich nicht traue, wird auch nichts passieren. Entschlossen schnappe ich mein Handy, welches auf meinem Nachttisch liegt und entsperre es. Schnell suche ich seine Nummer raus und überlege krampfhaft, was ich ihm schreiben könnte, damit ich nicht voreilig, sondern locker rüber komme.

Hey Noah, hier ist Leon von der Bar in Mykonos. Ich weiß, dass ich mir lange Zeit gelassen habe, dir zu schreiben, aber ich musste erstmal mein Leben wieder in den Griff bekommen, sodass meine Schwester mir verzeiht. Ich bin aber ehrlich, seitdem ich dich da gesehen habe, bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen und ich musste dir jetzt einfach mal schreiben. Vielleicht hast du mich ja schon vergessen oder mir nur aus Mitleid deine Nummer gegeben. Ich dachte mir, dass wir uns vielleicht mal treffen könnten? Liebe Grüße, Leon

Zufrieden schicke ich die Nachricht ab und hoffe, dass er mir zurück schreibt. Da ich aber eine halbe Stunde später immer noch keine Antwort bekommen habe und er es nicht mal gelesen hat, mache ich mein Handy aus und lege es wieder neben mein Bett. In der Hoffnung, dass ich jetzt wenigstens schlafen kann, lege ich mich gemütlicher hin, allerdings vergebens. Die ganze Nacht denke ich an Noah und ich bekomme maximal drei Stunden Schlaf am Stück. Demnach bin ich auch ziemlich genervt, als mein Handywecker klingelt.


-Emma

Herbst meiner TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt