„Shhhhh! SHHHHH! Beruhige dich, Mädchen. Wir beissen nicht!“ versuchte die Stimme von vorhin mich zu beruhigen und von irgendwo mir gegenüber ertönte ein gegluckstes „NOCH nicht!“.
Wer auch immer die Kerle waren, sie fanden sich wohl ziemlich toll dabei fremde Frauen einfach in ihr Auto zu zerren und blöde Witzchen zu reissen.
Ich merkte urplötzlich, wie meine Angst wich, um unbändiger Wut Platz zu machen. Gerade, als ich ansetzen wollte etwas zu sagen, flammte die Innenbeleuchtung des Wagens auf und geblendet schlug ich beide Hände vor die Augen.
„Ist es so besser?“ fragte eine tiefe Stimme in gebrochenem Deutsch und schickte mir einen Schauer über den Rücken. Diese Stimme schien mir nur allzu vertraut.
Neugierig öffnete ich meine Finger einen Spalt… gerade breit genug, um hindurchlinsen zu können… und ermöglichte meinen Augen damit sich allmählich der neuen Lichtverhältnisse anpassen zu können. Als mein Blick auf die Gestalt mir gegenüber fiel schrie ich beinahe erneut auf. Das konnte doch nicht sein…
„Ist es besser?“ fragte mein Gegenüber diesmal nachdrücklicher, zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Jeans und hielt es mir hin, während ich langsam die Hände sinken ließ. „Zigarette?“
„Nein, danke…“ murmelte ich kaum hörbar und nestelte nervös an dem Zipper meiner Kapuzenjacke. Die ganze Situation war so unglaublich lächerlich, sie konnte einfach nicht wahr sein. Vielleicht war ich auch gerade dabei meinen Verstand zu verlieren, doch wenn es so wäre, hätte ich dann derartige Gedanken? Weiß ein Verrückter, dass er verrückt ist, oder glaubt er vielmehr er sei normal und die Welt um ihn herum sei verrückt?
Mit einem Räuspern unterbrach ich meine eigenen Gedankengänge, bevor sie abzudriften drohten, und ließ meinen Blick eingeschüchtert über die Personen im Wagen schweifen. Es waren vier an der Zahl und sie musterten mich ebenfalls, sagten jedoch nichts- ganz so, als erwarteten sie eine Reaktion meinerseits, doch ich war noch viel zu überfordert, um auch nur an Konversation zu denken.
„Nun ja...“ brach der Blonde vor mir erneut das Schweigen, zog an seiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nase aus. Seine Nasenflügel bebten dabei und es fiel mir schwer den Blick abzuwenden. „Wer bist du, woher kommst du und wo können wir dich hinbringen?“ Wie sinnlich sich seine Lippen bewegten, wenn er redete…
'Verdammt, krieg dich wieder ein!´ Innerlich ohrfeigte ich mich für die ständigen unangebrachten Zwischenrufe meines Hirns, rief mich selbst wieder zur Ordnung und gab mein Bestes dem Blick meines Gegenübers stand zu halten und meine Unruhe zu vertreiben.
„Ich… mein Name ist… also, ich bin Melissa.“, verschüchtert strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und erschauderte, als er meinen Namen wiederholte. „Melissa… mmmhhhh… schöner Name!“ Seine Stimme war tief, fast schon ein Brummen, und ich spürte, wie jedes verdammte Härchen an meinem Körper auf Empfangsbereitschaft ging.
„Okay Melissa, listen. Wir sind…Matt…“, Blondie deutete auf den Schwarzhaarigen am Fenster links von mir, der mir freundlich zuwinkte. „… Rhys…“ Er saß genau neben mir und bedachte mich nun grinsend mit einem frechen Zwinkern. „…Jace...“, Blondie zeigte auf sich selbst und deutete lachend eine Verbeugung an, „… und zu guter Letzt...“
„…Jasper!“ vervollständigte ich die Namen der Anwesenden und erntete ungläubige Blicke. Nachdem der erste Schock offensichtlich verflogen war kam nun anscheinend langsam mein Mut zurück und nickend sah ich in die Runde. „Ich kenne euch! Ich meine… wer kennt euch NICHT?“, lachte ich. Endlich konnte ich mich etwas entspannen und lehnte mich in meinem Sitz zurück. Es stimmte, was ich gesagt hatte… egal welche Altersklasse man befragen würde, es gäbe wohl kaum einen, dem Shattered Dreams gänzlich unbekannt wäre. Immerhin waren sie DIE Musiksensation schlechthin…
Ihr Song ‚Dive In’ hatte sie sie vor gut zwei Jahren weltweit auf Platz 1 der Charts katapultiert, die Band wurde über Nacht in den Musikolymp erhoben und seitdem gab es keine Single, die nicht wenigstens in den Top 5 gelandet wäre.
Und jetzt saß ich mit der Band in ihrem Van und erntete von allen Seiten neugierige Blicke. Meine Fingerspitzen kribbelten und da niemanden Anstalten machte etwas zu sagen fuhr ich fort.
„Ihr seid der Grund, warum ich heute in Mannheim bin. Ich wollte mir euer Konzert anschauen…“ Ich kam ins Stocken und Matt übernahm das Wort. „Du WOLLTEST? Das klingt nach einem Aber…“ In Matts Stimme klang so viel Interesse und ehrliches Mitgefühl mit, dass mir bei dem Gedanken an den verdorbenen Tag fast schwindelig wurde. Ich nickte leicht geknickt und begann zu erzählen. Angefangen bei meiner besten Freundin Nele, die sich kurz vor der Tour ein Bein brach und ihr Konzertticket verkaufen musste, über die immense Verspätung des Zuges und schließlich endete ich damit, wie ich trotz gültigem Ticket von gnadenlosen Securities den Zugang zum Konzertgelände verweigert bekommen hatte, weil die Show bereits in vollem Gange war, als ich ankam.
„WAS!?“ Matts Blick war eine Mischung aus Schock und Unglauben über das soeben Gehörte und Jace stieß einen leisen Pfiff aus. „Die haben dich wirklich nicht rein gelassen?“ Jace schien so verdattert zu sein, dass er sich nicht einmal mehr Mühe gab im Deutschen zu bleiben, sondern stattdessen wieder ins Englische verfiel.
Ich nickte erneut und konnte fühlen, wie sich die Traurigkeit zurück in meinen Körper schlich und kalt nach meinem Herzen griff, während ich meine unbenutzte Konzertkarte aus der Bauchtasche meines Pullis zog und sie, schief grinsend, hochhielt.
„Das… das tut mir leid“, meldete sich nun auch Rhys zu Wort und sah mich betroffen an. Die anderen nickten einstimmig. „Du hast echt eine Mordsshow verpasst!“ Jasper. Ich glaubte ihm aufs Wort.
„Hmmhm… ich konnte am Zaun wenigstens etwas hören und es war offensichtlich ein tolles Konzert“ lächle ich zaghaft und komme dann doch nicht umhin breit zu grinsen. „Und welcher Fan…“, ich untermalte das Wort mit fingergezeigten Gänsefüßchen,“… kann schon behaupten von seiner Lieblingsband gekidnappt worden zu sein!?“ Jace war der erste, der nach meinen Worten in lautes Lachen ausbrach und es war derart ansteckend, dass wir im nächsten Moment alle nach Luft schnappten.
Nachdem wir uns kurz darauf alle wieder beruhigt hatten beugte Jace sich nach vorn und öffnete eine kleine Klappe neben seinen Beinen im unteren Teil des Sitzes. Verwundert sah ich ihm dabei zu, wie er eine Dose Cola daraus zu Tage beförderte und mir wurde klar, dass es sich bei dem Versteck wohl um eine Art Minibar handeln musste. Unweigerlich stellte sich mir die Frage, ob wohl jeder Tourbus, wenn man das Gefährt denn so nennen wollte, derart ausgestattet war.
„Fang!“ meinte Jace plötzlich, Schalk blitzte aus seinen Augen und im nächsten Moment flog mir die Getränkedose auch schon im hohen Bogen entgegen. Geistesgegenwärtig streckte ich die Hände danach aus und fing sie geschickt. Mit dem Wissen um die Sauerei, die ein Öffnen der geschüttelten Dose bewirken würde, beschloss ich sie vorerst geschlossen zu halten und senkte meine Hände mit einem „Danke“ in den Schoß.
„Gerne. Also… zurück zum Thema.“ Jace räusperte sich. „Wo kommst du her?“
„Neugierig bist du wohl gar nicht, was?“, kicherte ich leise und er schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich muss nur immer alles wissen!“ Ein Zwinkern und ich musste meinen Blick abwenden, um nicht augenblicklich im Blau seiner Augen zu ertrinken.
„Du kannst alles essen, musst aber nicht alles wissen!“ konterte ich mit den Worten meiner eigenen Mutter, was ich Jace natürlich nie würde wissen lassen.
Seine Augen blitzten belustigt auf und er beugte sich mir entgegen. „So? Was wir wissen ist ein Tropfen und was wir nicht wissen ein Ozean. Die in den Tiefen des Ozeans verborgenen Geheimnisse waren mir schon seit jeher die liebsten…“
Du liebes bisschen… hatte er gerade tatsächlich Isaac Newton zitiert? Und sprachen wir hier überhaupt noch von Wissen? Mein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet… soviel zum Thema Ozean. Ich beschloss das Risiko einzugehen, zog an dem Ring der Dose, die sich mit einem Zischen öffnete, hob sie an meine Lippen und trank einen großen Schluck. Mein Gott, ich hatte gar nicht bemerkt, wie durstig ich war und verdammt, tat das gut!
„Okay,“ mit diesem kleinen Wort beschloss ich das vorherige Thema wieder aufzugreifen und blickte in die Runde. „Ursprünglich komme ich aus… ach, lassen wir das, den Ort kennt eh kein Mensch!“ winkte ich lachend ab. „Ich lebe und arbeite in Frankfurt und…“
„Frankfurt!?“ fiel Matt mir aufgeregt ins Wort. „In ein paar Tagen haben wir dort einen Gig!“ Autsch- Volltreffer und versenkt! „Ich weiß. Leider war das Ticketkontingent schon nach so kurzer Zeit aufgebraucht, dass ich keine Chance mehr...“ „Warte, warte, warte“; mischte sich nun auch Rhys ein und ich wandte mich ihm zu, während ich mich insgeheim fragte, ob es nun immer so ablaufen würde, dass die Bandmember mich bei jedem Satz unterbrechen. „Mein Deutsch ist nicht annähernd so gut, wie das von Jace oder Matt und deshalb bitte ich dich… sei gnädig mit mir… und Jasper.“ Er stubste seinen Freund, mit seinen leuchtend blauen Haaren der auffälligste der Band, grinsend mit dem Fuß an und ich legte mir gerade gedanklich eine englische Erklärung zurecht, als Jace meine Aussage in eine Frage umwandelte.
„Du meint, du hast kein Ticket bekommen, weil sie zu schnell… ausverkauft waren?“ Überraschung und Unglaube schwangen in seiner Stimme mit, was angesichts ihrer Erfolgsstory schon etwas merkwürdig erschien, doch ich dachte mir nichts weiter dabei, sondern nickte nur zustimmend.
„Ja, genau. Deswegen war ich heute hier in Mannheim… wenigstens ein Konzert wollte ich sehen, aber… naja, ihr kennt ja die Geschichte.“ Ich wollte nicht so zerknirscht sein, doch die Enttäuschung nagte sehr.
„Sieh mich an, Lissy!“ Ich hob den Blick und sah geradewegs in Jaces Augen. „Lissy??“ Unbeabsichtigt hob ich eine Augenbraue. Noch nie hatte mich jemand so genannt. Melli, ja. Oder auch Lis. Aber nie…
„Lissy, ja!“ schmunzelnd bestätigte Jace ohne weitere Erklärung, beugte sich vor, stützte seine Unterarme auf den Knien ab und fuhr fort. „Du bist gerade mit uns zusammen. Hier, in unserem Bus. Ist das nicht so viel besser, als ein Konzert?“ Seine Stimme war tief und hatte selbst beim Sprechen dieses gewisse Raue, was ich in den Songs der Shattered Dreams so liebte und…
Moment, war das eine Fangfrage!?
Ich unterbrach meine eigenen Gedanken, bevor sie noch weiter abschweifen konnte und murmelte ein zaghaftes „Es ist tatsächlich unglaublich“.
„Unglaublich? Tatsächlich?“ Jace schob grinsend den Ärmel seines Shirts ein Stück weit nach oben, deutete eine dieser typischen Bodybuilderposen an und drückte schließlich einen Kuss auf seinen tättowierten Bizeps.
„Willst du mal anfassen? Vielleicht wird es dann glaubhafter“, grinste er frech und wackelte neckisch mit den Augenbrauen. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass ich seinen Muskel womöglich einen Moment zu lange angestarrt hatte.
„Was? NEIN!!“ Entsetzt riss ich die Augen auf und hob abwehrend die Hände.
„Eins zu null für Melissa“, grunzte Rhys neben mir belustigt und erntete dafür vernichtende Blicke von Jace, was der Drummer der Band mit einem Schulterzucken abtat. „Ist doch wahr…“ Rhys zwinkerte mir verschwörerisch zu und lehnte sich wieder entspannt in seine Rückenlehne, ein kaum merkliches Lächeln auf den Lippen. Ich hatte den wagen Verdacht es bereitete Rhys Genugtuung, dass nicht jedes weibliche Wesen in Jace‘ Anwesenheit direkt dahinschmolz. Obwohl das tatsächlich schneller passieren könnte, als mir selbst lieb war, wenn ich mir diesen Typen genauer ansah- was ich natürlich tunlichst zu vermeiden versuchte!
Plötzlich wünschte ich mir Nele wäre hier. Sie fehlte mir; das hatte sie schon den ganzen Tag, aber gerade verspürte ich das unbändige Verlangen genau diese irrwitzige Situation, in der ich mich just in diesem Moment befand, mit ihr zu erleben. Und abermals spürte ich, wie sich die Enttäuschung sich langsam in mein Gesicht zurück schlich und hob langsam den Blick.
„Die dritte Frage steht noch aus…“ bemerkte ich mit leiser Stimme und merkte, wie sich alle Blicke auf mich richteten. „Wohin ihr mich bringen könnt.“ Ich stockte kurz. „Wenn es nicht allzu viele Umstände macht, würde ich gerne zum Bahnhof.“
„Bahnhof? Mitten in der Nacht? No way!“ Matt, zwei Plätze neben mir, schüttelte vehement den Kopf und auch Rhys verneinte. „Du musst verrückt sein, Mädchen! Du kommst mit uns zum Hotel!“, bestimmte er und die Anderen nickten eifrig.
Bitte was?? Nicht genug, dass diese vier Musiker mich ohnehin schon vollkommen aus dem Konzept brachten, jetzt versuchten sie auch noch mich zu bevormunden! Ich setzte grade zum Protest an, als Jace mir mit einem „Nicht!“ über den Mund fuhr. Verwirrt blickte ich ihn an und er grinste sein breitestes Grinsen. „Ich weiß, was du sagen willst, aber tu es nicht!“ wiederholte er nachdrücklich und ich schloss den Mund wieder, nur um ihn etwa eine Zehntelsekunde später für einen Einwand erneut zu öffnen. „Aber… ich habe doch gar kein Zimmer… und und… überhaupt- das geht doch nicht!“ platzte ich raus und erntete dafür einiges an Gelächter.
„Lass das mal meine Sorge sein, Lissy!“ Jace funkelte mich versöhnlich an und ich seufzte ergeben, jedoch nicht ohne die Augen zu verdrehen, was Jace mit einem missbilligendem Zungenschnalzen kommentierte. „Naaa guuuut…“
Weil ich keine Ahnung hatte, was ich noch sagen sollte, wandte ich meinen Blick zum Fenster und versuchte einen Blick nach draußen zu erhaschen, was mir die Regentropfen, die noch immer unaufhörlich auf den Wagen prasselten, unmöglich machten.
'Was für Spinner…´ dachte ich noch, während ich vergeblich versuchte ein Gähnen zu unterdrücken und der bleiernen Müdigkeit zu entgehen, die sich langsam in mir ausbreitete und mich niederdrückte.
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Love unexpected
RomanceDaran, dass Rockstars auch nur Menschen waren, hatte Melissa nie gezweifelt. Als sie sich nach einem desaströsen Tag plötzlich Angesicht zu Angesicht mit den Musikern von "Shattered Dreams" wieder findet kommt sie allerdings nicht umhin deren geist...