Es war der Tag der Tage gekommen. Der Tag, auf den ich seit Wochen, gar Monaten, sehnlichst wartete doch nun... nun fühlte ich nichts. Jegliche Freude, meine Familie endlich wieder zu sehen, war wie weg geblasen.
Ich konnte nicht mit dem Gewissen gehen, dass mit Louis etwas nicht in Ordnung war. Und das schlimmste war, dass ich der Grund dafür war und nicht einmal wusste, warum.
Warum jeder hier in diesem gottverdammten Gebäude schwieg, als wäre ich ein Verbrecher und in meiner Gegenwart still wurde, als wären sie stumm. Es machte mich fertig. Es fraß mich regelrecht von innen auf und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit all dem umgehen sollte. Der Alkohol schien meine letzte Lösung zu sein und so trank ich gerade den letzten Schluck der Flasche Wein.Was, wenn ich endlich wüsste, was an diesem verdammten Tag passiert ist?
Es klopfte an der Tür. Hoffnung schlich sich ein, dass es Louis sein könnte. Vielleicht würde er mit mir sprechen wollen, bevor wir uns für ein paar Tage trennten. Denn ich wusste, wenn wir es vorher nicht klären würden, dann würde die Zeit danach nur noch schlimmer werden. Dann würde jede Anwesenheit mit ihm unangenehm sein. Still. Kalt. Fremd...
„Wir fahren in fünf Minuten. Beeil dich." hörte ich Niall durch die Tür sagen. Schritte. Er ging wieder. Wusste er, was passiert war? Hatte Louis es ihm erzählt? Wussten es die anderen? Paul?
Ich stöhnte. Doch es ging kein Weg daran vorbei. Ich nahm meinen Koffer und packte mein Handy und meine Kopfhörer in die Hosentasche. Die Ungewissheit, ob ich etwas vergessen hatte, hatte ich immer. Doch auch, wenn. Meine Freundschaft zu Louis blieb hier. Wir gingen und alles, was uns verband, blieb hier.
Mein Kopf begann wieder zu dröhnen. Diese Kopfschmerzen machten alles noch unerträglicher. Ich wollte jetzt nur noch nach Hause. Zu Mum. Zu Gem. In mein eigenes Zimmer. Ich wollte mich wieder fühlen, wie zu Hause.
Also blickte ich noch ein letztes Mal durch das Zimmer und machte mich auf den Weg in die Lobby, wo alle bereits warteten. Und sie sahen alle einfach nur fertig aus. Kein Funken Fröhlichkeit war irgendwo zu erkennen. Das war dann wohl One Direction. Nach zwei Jahren in der Band hatte es sich zu einem Albtraum entwickelt. Jeder Tag wurde zur Qual. Jedes Gespräch mit unserem Management hieß etwas Schlechtes. Man wachte nicht mehr voller Vorfreude auf den Tag auf, sondern freute sich nur noch auf den Moment, wenn man das Bett nachts wieder erreichen würde. Ich hasste, wie es momentan war. Diese Auszeit hatten wir also alle dringend nötig. Aber was waren schon sieben Tage?„Kommst du?" Ich erstarrte und sah in Niall's fragenden Gesicht, woraufhin ich ihm und den anderen Jungs folgte.
Am Bus angekommen, stellte ich mich hinter Niall. Die anderen Jungs stiegen gerade ein. Wir hatten unsere unausgesprochene Sitzordnung.
Niall, Liam und Zayn verteilten sich in den ersten zwei Reihen und Louis und ich nahmen immer hinten Platz.
Ich stieg als Letzter ein und sah die freie Sitzreihe. Louis war nicht da. Er hatte sich weg gesetzt. Er hatte sich von mir weg gesetzt. Ich sah mich um. Er saß neben Liam. Fuck, er saß neben Liam und nicht neben mir. Tränen stiegen hoch, die ich mit aller Mühe versuchte weg zu blinzeln.
Schnell setzte ich meine Sonnenbrille auf und setzte mich auf meinen Platz. Die Blicke von den anderen Jungs, ausgenommen Louis, spürte ich deutlich.
Wir hatten eine dreistündige Fahrt vor uns und ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Zeit überleben sollte.Um mich irgendwie wenigstens etwas abzulenken, holte ich mein Handy aus der Hosentasche und verband es mit meinen Kopfhörern. Musik. Das brauchte ich jetzt. Ich schloss meine Augen und lauschte der Musik. Der Schatten der Bäume huschte durch meine Augenlider und gab mir ein beruhigendes Gefühl. Irgendwie ein wohliges Gefühl.
Die Sonne schien und das hatte sie schon seit Tagen nicht mehr. Doch in mir ging sie unter. Immer mehr, bis es ganz dunkel wurde.
Die letzte Nacht hatte ich nicht geschlafen. Nicht eine verdammte Sekunde und das, obwohl ich tot müde war. Doch in meinem Kopf schwirrte nur er.
Louis.
Louis.
Louis.
Konnte er endlich aus meinem Kopf verschwinden? Ich wollte ihn nicht lieben, verdammt! Ich wollte nicht, dass es so ist, wie es ist. Ich wollte einfach nur einen Freund in ihm sehen. Einen guten Kumpel. Mehr nicht.
Doch diese Gefühle machten mir einen Strich durch die Rechnung. Es war, als wäre er die ganze Zeit präsent. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Jede fucking Sekunde.
Ich wachte auf und dachte an ihn.
Ich ging schlafen und dachte an ihn.
Und das jeden verdammten Tag.
Und es schien kein Ende zu nehmen.
Ob es mir jemals gelingen wird, ihn zu vergessen? Diese Gefühle zu vergessen?
Nicht jedes Mal diese Blitzeinschläge zu spüren, wenn er mich berührt.
Oh, seine Berührungen....
Wie sehr ich mir gerade wünschte, er würde meine Hand halten. Gar neben mir sitzen. Wenn er einfach nur mit mir reden würde, wäre es schon genug. Oder? Wäre es das? Genug?„Harry?" Ich öffnete meine Augen. Niall saß neben mir und musterte mich. Meine Augen waren träge und ich spürte die unerträgliche Müdigkeit, weshalb ich ein Gähnen nicht vermeiden konnte. Niall verzog sein Gesicht.
„Alter hast du getrunken?" Ich zuckte mit meinen Schultern. Es war mir egal. Alles war egal, solange Louis nicht da war. Es spielte alles keine Rolle mehr. Ohne ihn war ich nichts. Er trug den Malkasten immer bei sich und wenn er nicht da war, war alles schwarz weiß.
„Du siehst echt nicht gut aus. Hast du überhaupt geschlafen?" Schulterzucken. Nach Reden war mir gerade wirklich nicht. Ich wollte meine Ruhe haben und allein sein.
„Ich weiß nicht, was euer Problem ist, aber klärt das bitte. Diese Anspannung zwischen euch ist ja nicht auszuhalten."„Ich würde ja auch gerne erfahren, was passiert ist. Nur leider hat hier anscheinend keiner den Anstand, es mir zu erklären." gab ich leise und dennoch genervt von mir. Ich wusste, dass Niall keine Schuld trug. Doch es war mir scheiß egal.
„Ich weiß genauso wenig wie du. Trotzdem solltet ihr echt mal miteinander reden. Weder du noch Louis, seid gerade normale Menschen. Ihr seht beide aus wie Wasserleichen."
„Wow. Vielen Dank, Niall." Ich rollte mit meinen Augen, steckte meinen Kopfhörer wieder ein und startete die Musik erneut. Er deutete mein Signal zum Glück richtig und begab sich auf seinen ursprünglichen Platz. Mir war schon wieder nach Weinen zu Mute. Mein Bett war der einzige Ort, an dem ich momentan sein wollte.
Ich ertrank hier und ihr ließt das Wasser ein. Ihr drehtet es nicht ab. Das Wasser lief immer stärker. In einem immer stärker werdenden Strom und bald war auch das letzte Stück Sauerstoff weg. Bald würde ich hier nicht mehr atmen können, also bitte...
Bitte dreht das Wasser ab.
Es läuft gleich über! Ich bekomme keine Luft! Dreht das verdammte Wasser ab!
Nirgends, an dem ich mich halten konnte. Es war nichts da. Nur Leere. Blanke Leere.
Ich gab auf. Noch ein letzter Atemzug und dann war's das. Das war's.
Das Wasser hatte die Decke erreicht. Und ich schwamm mitten drin. Panik. Luft. Luft!
Ich brauche Luft!„Harry!" Es ruckelte. War das die Rettung? Wurde der Stöpsel gezogen?
„Harry, wach auf!" Ruckartig öffnete ich meine Augen. Meine Atmung ging unfassbar schnell. Ich sah nur verschwommen. Sauerstoff.
„Gott sei Dank." Und plötzlich konnte ich die Tränen nicht mehr stoppen. Fuck.
„Oh man, was ist nur los mit dir?" Ich versteckte mein Gesicht in meinen Händen und drehte mich weg. Ich wollte nicht, dass man mich so sah und erst recht nicht, dass er mich so sah. Ich versuchte möglichst still zu sein. Bloß nicht heulen, Harold. Heul nicht. Das hast du schon viel zu viel in letzter Zeit.
„Warte..." Ich spürte einen Windzug. Er war weg. Ich atmete auf.
„Hier." Niall hielt mir eine offene Flasche Wasser entgegen, welche ich dankend annahm und in einem Zug leerte. Ich hatte das Gefühl zu verdursten.
„Hast du geträumt?" Ich zuckte mit den Schultern. Aber nicht, weil ich keine Lust auf Gespräche hatte, gut, das irgendwie auch. Aber eher, weil ich tatsächlich nicht wusste, ob ich träumte. Ich war doch nicht eingeschlafen.
„Die paar Tage hast du wirklich nötig. Ruh dich bitte richtig aus, dass du nächste Woche wieder normal arbeiten kannst. In diesem Zustand kannst du nicht auftreten. Und bitte, Harry. Bitte tu mir den Gefallen und klär dein Problem mit Louis."„Mhm."
„Geht's dir jetzt besser?" Ich nickte. Ich hatte keine Atemnot mehr.
„Tut es das auch wirklich oder lügst du mich an?"„Mir geht's gut, Niall." Hah. Dass ich nicht lache. Mir geht es gut. Die häufigst genutzte Lüge, nicht wahr? Und warum? Warum sagten wir nie die Wahrheit?
Es war doch nur ein Pipifax, verglichen mit wirklichen Problemen.
Ich wollte keine Last sein, denn hier hatte jeder seine eigenen Probleme.
Louis. Ich setzte mich aufrecht hin und sah über den Sitz zu ihm. Er hatte seine Augen geschlossen.„Der hat nicht mitbekommen. Er schläft schon die ganze Zeit." Und in diesem Moment erreichten wir den Flughafen.
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What if? ~ Larry Stylinson
FanfictionWas, wenn? Harry, Louis Niall, Liam und Zayn. Die Mitglieder der womöglich erfolgreichsten Band weltweit. Doch so viel Gutes ihr Erfolg als One Direction bringen mag, so hat es auch seine Schattenseiten. Hinter der Fassade läuft das Leben der Jungs...