06. Gefangene Hoffnung

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lALARA DÍAZ

Zwei Wochen waren vergangen, seit ich auf diesem Ball zur Schau gestellt wurde. Mit jedem Tag fühlte ich mich schlechter, zerbrechlicher, und mein Wunsch, bei meiner Mutter zu sein, wuchs ins Unermessliche. Es wäre genug, sie nur zu sehen. Keine Umarmung, keine Worte – allein ihre Anwesenheit würde mir Kraft geben. Doch diese Hoffnung war unerfüllbar. Sie war tot.

Der Moment, als ich damals in ihre leeren Augen blickte, ihr blutüberströmtes Gesicht sah und verstand, dass sie nicht mehr lebte, hatte auch einen Teil von mir getötet. Seitdem war ich nicht mehr dieselbe. Ich wünschte mir, dass sie zurückkäme. Doch wie sollte sie das, wo es doch meine Schuld war?

Unzählige Male hatte ich vor ihrem Grab gekniet, das sich in einer abgelegenen Ecke unseres Anwesens befand. Immer wieder hatte ich mich entschuldigt, in der Hoffnung, sie könnte mich hören. Immer wieder hatte ich bereut, was ich getan hatte, und den Wunsch verspürt, mich selbst dafür zu bestrafen.

Draußen regnete es. Ich liebte den Regen, das sanfte Trommeln der Tropfen auf dem Dach meines Zimmers direkt unter der Schräge. Der Rhythmus beruhigte mich – normalerweise. Heute jedoch reichte der Klang nicht aus, um die Unruhe in mir zu dämpfen. Es war mir egal, dass ich klitschnass werden und mich erkälten könnte. Es war mir egal, dass mein Vater mich bestrafen würde, sollte er bemerken, dass ich das Zimmer verlassen hatte. Ich musste zu ihr.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und spähte in den Flur. Kein Laut war zu hören, niemand war zu sehen. Leise schlich ich mich auf nackten Sohlen über den kalten Boden. Das Haus war groß, der Weg lang, und die Angst, entdeckt zu werden, kroch wie eisige Finger meinen Rücken hinauf. Jede Ecke könnte mich verraten, jeder Schatten könnte zu meinem Untergang werden.

Schließlich erreichte ich die unscheinbare Tür, die normalerweise für Anlieferungen genutzt wurde. Sie war mein geheimer Ausweg. Ich öffnete sie langsam, damit die Scharniere nicht knarzten, und trat ins Freie. Der Wind blies mir entgegen, die Kälte biss in meine Haut, doch das war mir egal.

Ich rannte über den nassen Boden, spürte, wie meine Kleidung schwer von Regen wurde und an mir klebte. Der aufgeweichte Matsch spritzte bei jedem Schritt an meine Beine, doch ich hielt nicht inne. Schließlich erreichte ich das Grab. Erschöpft fiel ich auf die Knie.

Eine Leere ergriff mich, umfassend und unerträglich. Der Regen prasselte weiter auf mich herab, doch ich spürte ihn kaum. Meine Haare klebten mir nass im Gesicht, meine Tränen mischten sich mit dem Wasser des Himmels.

„Es ist meine Schuld", flüsterte ich, obwohl niemand da war, um mich zu hören. „Es ist alles meine Schuld."

Der Schlamm unter meinen Knien war kalt und feucht, aber das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in mir tobte. Ich las die Worte auf dem Grabstein, obwohl ich sie längst auswendig kannte. Ich kniete dort, bis ich keine Tränen mehr hatte, bis der Regen nachließ und die ersten Sonnenstrahlen den Himmel durchbrachen.

Doch die Sonne konnte mein Grau nicht durchdringen. Alles um mich herum blieb farblos. Ich war leer.

Widerwillig schleppte ich mich zurück ins Haus, die geheime Tür hinter mir schließend. Als ich gerade die Treppe hochrennen wollte, hörte ich eine kalte, durchdringende Stimme, die meinen Namen rief: „Alara, was soll das werden?"

Ich erstarrte. Die Stimme meines Vaters war wie ein Schlag ins Gesicht.

„Was machst du hier? Du darfst nicht aus deinem Zimmer! Erklär mir, was du hier zu suchen hast, du dumme, nutzlose Schlampe!" Seine Worte hallten durch die Stille des Hauses.

Er kam wütend auf mich zu, packte mich grob an den Oberarmen. Mein Körper zitterte unkontrolliert.

„Ich wollte Mámas Grab besuchen", flüsterte ich kaum hörbar.

„Rede nie wieder von deiner Mutter. Nie wieder!" Seine Stimme war ein einziges Brüllen. Dann zog er mich in ein anderes Zimmer.

„Bitte, Pápa, tu mir das nicht an", flehte ich verzweifelt, während ich versuchte, mich zu wehren „Wie oft muss man dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst?" Er schlug mir ins Gesicht.

Ich wusste, was jetzt passieren würde. Es geschah immer wieder. Ich konnte nichts tun.

Er wurde mir wehtun. Er würde mich wieder vergewaltigen.

Und wie jedes Mal versuchte ich, mich in eine Trance zu flüchten, das Unausweichliche auszublenden. Doch der stechende Schmerz in meinem Unterleib riss mich in die Realität zurück.

Es tat weh.

Ich wollte Luft.

Ich wollte, dass es aufhörte.

Aber niemand würde mir helfen.

Forced MarriageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt