Kapitel 1

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„Warst du beim Training?", fragt mein Vater, als ich zur Tür in unser Haus reinkomme. „Ja", antworte ich. „Gut, wo ist deine Schwester?", fragt er weiter. „Weiß ich nicht", sage ich und hänge meine Trainingsjacke an die Garderobe. „Ich dachte, sie wäre mit dir beim Training", meint er und geht in die Küche. Ich folge ihm. „Nein, es waren nur... recht wenige da", sage ich. Fast wäre mir heraus gerutscht, dass Saphira und ihre Schwester, Cashmere auch beim Training waren. Mein Vater mochte Saphira und ihre Familie noch nie. Er meint immer die Ritchsons wären total eingebildet, weil sie so viele Sieger in der Familie haben. Eigentlich sind sie ganz nett, früher war Saphira meine beste Freundin, aber vor ein paar Jahren haben wir uns total zerstritten und ignorieren uns gegenseitig. Früher war das anders, wir haben uns gegenseitig unterstützt. Sie war für mich da, als meine Mutter gestorben ist. Ich war gerade zehn, als sie krank wurde und schließlich starb. Es war eine schreckliche Zeit danach und ohne Saphira hätte ich das wahrscheinlich nicht durchgestanden. Mein Vater hat angefangen zu trinken und mich und meine kleine Schwester, Rose total vernachlässigt. Anderseits habe ich sie unterstützt, als ihr Geschwister in die Hungerspiele mussten. Mittlerweile trinkt mein Vater nicht mehr so viel Alkohol und hat wieder angefangen, sich mehr um mich und meine Schwester zu kümmern. Doch das Verhältnis zwischen mir und meinen Vater ist trotzdem nicht gut, er erwartet viel von mir und das ist eigentlich nicht schlimm, aber ich habe Angst, dass er wieder ganz dem Alkohol verfällt und mich und meine Schwester wieder im Stich lässt. Ich will gerade in mein Zimmer gehen, als meine Schwester herein kommt. „Wo warst du?", fragt mein Vater sie. „Bei meiner Freundin", antwortet sie gelassen. „Solltest du nicht trainieren? Heute ist die Ernte", meint mein Vater. „Ja, schon, aber ich bin sonst immer trainieren und heute ist doch meine erste Ernte", sagt sie. Rose lässt sich von nichts und niemandem einschüchtern und gehört sie den wenigen Menschen, die ich wirklich mag. Ich habe zwar in der Schule viele Freunde, aber wirklich kennen tut mich nur mein bester Freund, Golden. Mein Vater zieht die Augenbrauen hoch, lässt es Rose aber durchgehen. Sie dreht sie um und hüpft in ihr Zimmer, dabei fliegen ihr ihre rotblonden Haare hinterher. Sie sieht meinem Vater recht ähnlich, beide haben die gleiche Haarfarbe und Gesichtszüge, nur die grünen Augen hat sie von meiner Mutter, so wie ich. Wie kann Rose nur ein so fröhlicher Mensch sein, nach alle dem, was sie erlebt hat?

Später machen wir uns gemeinsam auf den Weg zum Justizgebäude von 1. Mein Vater geht vor und ich und meine Schwester lassen uns etwas zurückfallen. Rose ist so blass, dass ihr Sommersprossen fast zu leuchten scheinen. „Was ist los?", frage ich leise. „Was ist, wenn ich ausgelost werde? Ich bin zwar gut, aber noch viel zu jung, um die Spiele zugewinnen, oder?", flüstert sie. Wir bleiben stehen und sie drückt sie fest an mich. „Es ist deine erste Ernte, Rose. Dein Zettel ist nur einmal da drin", versuche ich ihr Mut zu machen. „Ich will nicht sterben", sagt sie leise. „Das wirst du nicht, das verspreche ich dir und wenn du ausgelost wirst, würde ich mich freiwillig melden, um dich zu beschützen. Es wird alles gut, ja?" Sie nickt langsam und wir gehen weiter. Unser Vater ist in der Menge verschwunden und wir stellen uns zu den anderen zwölf bis achtzehn Jährigen, um uns zu registrieren. Dann müssen wir uns trennen. „Es wird alle gut", sage ich ihr noch einmal und stelle mich zu den anderen fünfzehnjährigen. Kurz vorm Anfang der Ernte kommt auch Golden und stellt sie neben mich. Wir begrüßen uns nur kurz, ansonsten reden wir nicht. Auf der Bühne stehen vier Stühle, je einer für die Mentoren, Gloss und Cashmere, einer für Dalia Jonson, die Betreuerin für Distrikt 1, während den Hungerspielen und den Bürgermeister. Pünktlich, als die große Stadtuhr zwei schlägt, tritt der Bürgermeister nach vorne und beginnt mit seinem üblichen, langweiligen Vortrag über die Geschichte Panems. Ich höre, wie immer nicht zu und halte Ausschau nach meiner Schwester, die zusammen mit den anderen zwölfjährigen hinten steht. Ich entdecke sie neben einer ihrer Freundinnen. Noch immer ist sie blasser, als sonst, aber sieht nicht mehr ganz so ängstlich aus. Als der Bürgermeister endlich fertig ist, stellt er Dalia Jonson vor und sie sagt ihren üblichen Satz: „Fröhliche Hungerspiele und möge das Glück steht's mit euch sein." Golden und ich sprechen in lautlos mit und müssen leise lachen. „Ladies First", sagt Dalia Jonson und geht zur Glaskugel mit den Mädchennamen. Ich bete, dass es nicht meine Schwester ist. Bitte nicht, bitte nicht. Sie zieht einen Zettel und öffnet ihn. Bitte nicht, Rose. Dann liest sie klar und deutlich vor. „Saphira Ritchson!" Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll. Einerseits war sie meine beste Freundin, aber das war und andererseits ist meine Schwester nicht gezogen worden, dass ist gut, sie kann zwar gut mit Wurfmessern umgehen und noch besser mit Pfeil und Bogen, aber sie ist einfach noch zu jung und ich will, ich kann sie nicht auch noch verlieren. Saphira geht hoch zur Bühne und man kann nicht wirklich erkennen, ob sie sich freut oder nicht. Im Gegensatz zu Cashmere, sie wirkt entsetzt und sitzt mit halb offenen Mund da. Irgendwie tut sie mir leid, immerhin ist Saphira ihr kleine Schwester. „Kommen wir nun zu den Jungen", sagt Dalia und geht zur Glaskugel mit den Jungennamen. Ich halte die Luft an. Sie öffnet den Zettel. Bitte nicht ich. Dann liest sie wieder klar und deutlich den Namen vor. „Apard Davies!"

When I die~Apards SichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt