Kurz bin ich wie gelähmt, fassungslos und unfähig die Worte aufzunehmen, die Dalia Jonson gerade gesagt hat. Ich habe gute Chancen und das weiß ich auch, aber ich kann meine Schwester nicht alleine lassen.
Ich sammle mich wieder, verbanne alle Gefühle aus meinem Gesicht und gehe zielstrebig hoch zur Bühne. Ich vermeide es Saphira anzusehen, aber ich habe mitbekommen, dass auch sie erst ziemlich fassungslos reagiert hat, als Dalia meinen Namen vorgelesen hat. Jetzt starrt sie einfach auf einen Fleck in der Menschenmenge. Dalia fragt noch nach Freiwilligen, aber ausgerechnet dieses Jahr meldet sich niemand. Warum? Warum, wenn wir doch sonst immer so viele Freiwillige haben.
Der Bürgermeister tritt wieder nach vorne und liest den langen, öden Hochverratsvertrag vor. Ich höre nicht zu und suche in der Menge nach meiner Schwester. Sie starrt zu mir hoch und klammert sich an ihre Freundin, Lilie. Es wird alles gut. Ich habe gute Chancen. Versuche ich ihr irgendwie zu sagen. Als der Bürgermeister endlich fertig ist, gibt er mir und Saphira ein Zeichen, uns die Hände zu geben. Dafür, dass sie immer mit Wurfmessern trainiert, sind ihre Hände erstaunlich zart und weich. Die Hymne von Panem erklingt und als sie wieder verklingt werden wir von Friedenswächtern in die Mitte genommen und in das Justizgebäude geführt.
Ich werde im Justizgebäude in einen Raum geführt und alleine gelassen. Im Raum steht ein Sofa und mehrer Stühle. Auf dem Boden liegen dicke Teppiche. Eine Stunde habe ich Zeit mich von meiner Familie und meinen Freunden zu verabschieden. Als erstes kommen meine Freunde. Sie reden durcheinander und klopfen mir auf die Schulter. Wie die meisten aus Distrikt 1, denken sie es wäre eine Ehre in die Spiele zu dürfen. Dann gehen sie aus dem Raum und nur Golden bleibt bei mir. „Kannst etwas auf Rose aufpassen?", bitte ich ihn. „Klar, versprochen. Mach dir um sie keine Sorgen. Du hast sehr gute Chancen und es wäre doch mal cool, wenn nicht immer nur ein Ritchson gewinnt, nicht war", meint er. Ja, ich will gewinnen, ich will zurück nach Hause kommen, aber das heißt auch, dass Saphira sterben muss und ich könnte sie nicht umbringen. Aber wir sind vierundzwanzig, die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie töten muss ist sehr gering. Sage ich mir, aber andererseits war die Wahrscheinlichkeit in letzter Zeit nicht unbedingt auf meiner Seite.
Nachdem Golden gegangen ist, kommen Rose und mein Vater herein. Meine Schwester wirft sich in meine Arme und ich halte sie ganz fest. „Es wird alles gut, okay", sage ich immer wieder zu ihr, „es wird alles gut." Sie nickt und löst sich langsam wieder von mir. Ich sehe meinen Vater an. „Ich habe gute Chancen, das wissen wir alle, aber wir sind vierundzwanzig und nur einer kommt wieder lebend nach Hause. Wenn ich sterbe, dann will ich, dass du weiter lebst und dich um Rose kümmerst", sage ich zu ihm. Er zeigt keine Regung und sieht mich einfach an. „Du darfst sie nicht wieder im Stich lassen, hörst du. Das darfst du nicht! Du musst dich um sie kümmern!", jetzt schreie ich fast. „Ich...", beginnt mein Vater, aber ich unterbreche ihn. „Nein, versprichst du es mir? Versprichst du mir, dass, egal was passiert, du dich um Rose kümmerst?", frage ich wieder leiser, aber bestimmt. „Ich verspreche es", sagt er und senkt den Kopf. Vielleicht war ich zu hart zu ihm, aber ich habe Angst, dass wenn ich nicht wiederkommen, er wieder dem Alkohol verfällt und Rose alleine lässt. „Mach dir um uns keine Sorgen", meint meine Schwester und ich nehme sie und meinen Vater in den Arm. „Ich werde alles geben, um wieder nach Hause zukommen, versprochen", sage ich. Dann kommen die Friedenswächter wieder und begleiten die beiden aus dem Raum. Rose weigert sich erst und die Friedenswächter ziehen sie förmlich aus dem Raum. Bei der Tür dreht sie sich noch einmal um. „Ich hab dich lieb", ruft sie. „Ich euch auch", antworte ich. Dann sind sie weg und ich bin wieder alleine.
Beim Bahnhof sind unglaublich viele Kameras aufgebaut und filmen uns. Ich bin erstaunlicherweise wieder recht ruhig und blende die Kameras aus. Wir steigen in den Zug ein und fast augenblicklich fährt er los. Noch nie bin ich Zug gefahren und der hier ist verdammt schnell und schick. Jeder hat ein eigenes Schlafabteil mit Ankleideraum und Bad. Dalia meint, wir können eine Stunde machen, was wir wollen, solange wir in einer Stunde fertig fürs Abendessen sind.
In meinem Abteil werfe ich mich erstmal auf das Bett und bleibe liegen. In meinem Kopf schwirren viel zu viele Gedanken herum. Wird mein Vater sich an sein Versprechen halten? Kann ich mein Versprechen halten und lebend wieder nach Hause kommen? Ich muss. Für sie. Ich kann weder Rose, noch meinem Vater das antun und in den Hungerspielen sterben. Irgendwann kommt Dalia und holt mich zum Essen ab. Ich folge ihr durch enge, aber schicke Gänge mit Wandtäfelungen in den Speisesaal, wo schon Gloss und Cashmere sitzen. Dann verschwindet Dalia wieder um Saphira zu holen und Gloss deutet auf dem Platz gegenüber von ihm. Ich setze mich. Es ist seltsam, mit Saphiras Geschwistern an einem Tisch zu sitzen. Früher, als Saphira und ich noch befreundet waren habe wir öfters auf mal mit den beiden trainiert und eigentlich waren die beiden immer recht nett. Dalia und Saphira kommen herein und Saphira setzt sich neben mich, gegenüber von Cashmere. Sie wirkt sichtlich erleichtert ihre Geschwister zu sehen.
Es gibt unglaublich viele Gänge Essen und obwohl wir in Distrikt 1 immer genug zu Essen hatten, habe ich noch nie in meinem Leben so viel Essen auf einmal gesehen. „Ach, ich bin so froh in Distrikt 1 zu arbeiten", meint Dalia, „wisst ihr, vor fünf Jahren musste ich mit den Tributen aus Distrikt 4 arbeiten, das war eigentlich ganz okay, es hat nur überall nach Fisch gestunken." Sie rümpft die Nase. „Und davor musste ich in Distrikt 10 arbeiten, das war schlimm, die kannst ja nicht mal Tischmanieren." Ja, weil sie nie genug zu Essen hatten und ihnen Tischmanieren, wenn sie mal etwas zu Essen hatten, egal waren, denke ich. Hätte ich nie genug zu Essen wären mir Tischmanieren wahrscheinlich auch komplett egal. „Jetzt bist du ja hier", meint Cashmere. Dalia sieht zu mir und Saphira. „Genau und ich bin schon sehr gespannt auf die Hungerspiele, ihr seht aus, als hättet ihr einiges drauf."
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When I die~Apards Sicht
FanfictionDie 68. Hungerspiele aus der Sicht von Apard. Es wäre gut, wenn ihr vorher schon „When I die" gelesen habt, müsst ihr aber nicht. Apard wird zusammen mit seiner ehemaligen besten Freundin als Tribute aus Distrikt 1 für die 68. Hungerspiele ausgelos...