Das Herbst-Zauberland

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✭ 2. Platz beim Fall in Love Award '22 von _MaliaFox_ 

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„Mama?"

„Ja, Lilly?"

„Wird dem Männchen denn nicht langweilig, wenn ich jetzt schlafe? Dann hat es doch niemanden mehr zum Spielen ..." Traurig sieht mich meine Tochter an und ich spüre, wie mir wieder einmal warm ums Herz wird. Diese Wirkung hat ihr gefühlvoller Blick jedes Mal. Sie ist gerade erst vier Jahre alt und doch macht sie sich schon Gedanken um das Wohlergehen anderer – selbst um das von Kastanien-Männchen.

„Nein, Lilly. Dem Männchen wird nicht langweilig", beruhige ich sie. „Es gibt nämlich einen ganz besonderen Ort, an den Kastanien-Männchen gehen, wenn wir schlafen: Das Herbst-Zauberland. Dort erleben sie Abenteuer. Und wenn du morgen früh aufwachst, ist dein Männchen wieder da und erzählt uns vielleicht eine Geschichte."

Meine Tochter macht große Augen. „Wirklich, Mama?", fragt sie begeistert. „Es gibt ein Herbst-Zauberland?"

Ich muss schmunzeln. „Ja, mein Schatz. Und jedes Kind, das ein Kastanien-Männchen oder -Tierchen baut, sorgt für ein kleines bisschen mehr Magie dort."

Das Strahlen auf ihrem kleinen Gesicht ist unbezahlbar. Dafür lebe ich: Ich möchte sie glücklich machen und ihr eine unvergesslich schöne Kindheit schenken.

„Aber woher weißt du das alles, Mama?", fragt sie jetzt und verzieht skeptisch das Gesicht. „Wir haben doch heute zum ersten Mal so ein Männchen gebaut." Ihr Blick wandert zu dem kleinen Tisch neben ihrem Bett, auf dem unser Kastanien-Männchen steht. „Es kann dir doch noch gar nichts verraten haben."

Schlaues Kind, denke ich und muss schon wieder schmunzeln. Dann beuge ich mich zu ihr herüber und flüstere in verschwörerischem Ton: „Aber ich war auch mal ein Kind, Lilly. Ich hatte auch so ein Zauber-Männchen."

Nun schnappt sie hörbar nach Luft und sieht mich ungläubig an. „Wirklich?", haucht sie. „Aber wo ist denn dein Männchen jetzt, Mama?"

Das hätte ich mir eigentlich denken können. Lilly gibt niemals auf. Immer hat sie eine weitere Frage und ist erst zufrieden, wenn jede einzelne davon beantwortet wurde. Deshalb ist sie für ihr Alter auch so weit. Ich meine, welche Vierjährige kann schon ...

„Mama?", fragt sie und zupft ungeduldig an meinem Ärmel. „Wo ist dein Männchen?", wiederholt sie dann.

„Das ist eine laaange Geschichte", antworte ich geheimnisvoll und beobachte gespannt, wie sich ihr Gesichtsausdruck wieder verändert. Ich kann ihr die Neugierde von der Nasenspitze ablesen.

„Erzählst du mir die Geschichte?", bettelt sie. „Bitte, Mama. Bitte, bitte."

Wie könnte ich da Nein sagen? Also beginne ich zu erzählen ...

Es war einmal ein kleines Kastanien-Männchen namens Manni. Vor vielen, vielen Jahren wurde es von einem kleinen Mädchen gebastelt, das keine Ahnung von dem Wunder hatte, das bald geschehen würde.

„Das Mädchen warst du, oder?", fragt Lilly aufgeregt und ich nicke zur Bestätigung. Dann lege ich vorsichtig einen Finger auf meine Lippen und sie versteht. Leise lehnt sie sich zurück und wartet gespannt darauf, dass ich weiterrede.

Denn als die Kleine in der ersten Nacht aufwachte und zum Nachttisch herübersah, musste sie feststellen, dass ihr Manni nicht mehr auf seinem Platz stand.

„Aber wo war er denn?", unterbricht mich Lilly wieder und ich antworte lachend: „Das will ich dir doch gerade erzählen!"

„Tut mir leid, Mama", murmelt sie und senkt den Kopf. „Aber du erzählst nicht schnell genug!"

A little bit love | KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt