7- Zehn Jahre zuvor

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Verwirrt sah ich Finn an. Was dachte er sich dabei? Er kannte mich nicht, er hatte keinen Grund zu seinem Handeln.

„Warum tust du das?", fragte ich ungläubig und beobachtete, wie sich ein Lachen aus seiner Kehle löste. Er fuhr sich durch die braunen Locken und grinste mich wissend an.

„Wenn du jemanden besseren gehabt hättest, jemanden, der für dich da ist, dann wärst du nicht mehr zurück gekommen.", erklärte er mir, als ob es das Sinnvollste der Welt wäre. Kröte nickte zustimmend. „Ja, ich meine... ich wäre nicht mehr wieder gekommen, nachdem wir so scheiße zu dir waren..."

Lukas fügte hinzu: „Wir alle stecken in einer ähnlichen Situation. Also warum helfen die, denen nicht mehr geholfen wird, nicht einfach selbst? Wir sind der Outcast unserer Familien, unserer Klassen, den anderen Teenagern in unserem Alter. Wir haben nur uns. Und wenn wir schon allein sind, warum nicht zusammen allein sein?"

Mit großen Augen sah ich sie alle an. War das ein schlechter Witz? Wollten sie mir nochmals unter die Nase reiben, wie armselig ich war? Und woher wollten sie wissen, dass ich zu niemandem konnte?

„Woher wollt ihr das wissen? Vielleicht bin ich ja auch einfach nur wieder gekommen, weil ich euch eben doch ganz nett fand?", versuchte ich, meinen letzten Stolz zu retten. Trocken lachte Freddy.

„Du findest uns ganz sicher nicht nett. Wir sind alles, aber nicht nett! Schon vergessen, wie ich dich am Kragen hatte? Soll ich dir das Gefühl vielleicht nochmal kurz näher bringen?" Eilig schüttelte ich den Kopf. Freddy's Eisengriff wollte ich ganz sicher nicht erneut spüren.

Lukas legte den Kopf schief. „Warum willst du nicht einsehen, dass wir dir helfen wollen?" Überfordert holte ich Luft, öffnete den Mund, um etwas zu sagen und schloss ihn dann wieder. Mir fiel kein guter Grund ein, und das machte mich wütend. Ich wollte nicht, dass sie dachten, mir helfen zu müssen! Ich hatte noch Stolz! Leicht kniff ich die Augen zusammen und blickte einmal angepisst durch die Runde.

Freddy verzog den Mund zu einem gehässigen Grinsen. „Siehste, nicht mal'n Konter fällt dir ein. Armselig.", spuckte er mir vor die Füße. Scharf zischte Kröte und erdolchte ihn mit ihren stechend blauen Augen. „Wirst du wohl still sein, du Gesichtskirmes!"

Dann wandte sich das Mädchen zu mir um. „Ignorier' ihn, er ist'n Arschloch. Aber schau mal, wir sind aushaltbar. Wir sind immer hier, du kannst dich auch einfach nur in die Ecke stellen und uns anstarren, wenn du möchtest. Alles ist in Ordnung, solange du dich nicht allein fühlst. Weißt du, allein sein kann tödlich sein. Irgendjemand da draußen wird dich noch irgendwann brauchen, oder auch nicht. Wir wissen es nicht. Und wäre es nicht totale Verschwendung, wenn dieser Jemand da draußen dich nicht treffen könnte, weil du zu sehr alleine warst und daran gestorben bist?"

Langsam schüttelte ich den Kopf. Was erzählte sie da? Allein sein konnte tödlich sein, ja, aber nur wenn man es tödlich werden ließ. Hatte ich es tödlich werden lassen?

Gelangweilt schüttelte Finn den Kopf. „Ach komm, der Spinner braucht seine Zeit.", er wandte sich an mich, „Wenn du bleiben möchtest, bleib. Wenn nicht, dann geh, aber beschwer dich dann nicht darüber, dass du niemanden hast." Damit ließ er mich stehen, drehte mir den Rücken zu und ging auf einen grünen Sitzsack ganz am Rand des Raumes zu. Dort ließ er sich hinein fallen, zog einen Joint aus der Tasche und zündete ihn sich an. Neidisch starrte ich die Tüte an. Ich wollte jetzt auch etwas zum Rauchen.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, grinste Kröte. „Wir teilen immer. Komm." Sie nahm meinen Arm und zog mich hinter sich her. Misstrauisch starrte Freddy mich an. „Warum sollte ich mit dem Neuen teilen?", murrte er unzufrieden. Lukas warf ihm böse Blicke zu. „Stell dich nicht so an, du Idiot. Dir haben wir auch was gegeben! Und du warst nicht mal sympathisch."
Finn zog eine Augenbraue hoch, während er einen tiefen Lungenzug nahm. „Habt ihr es dann bald" In diesen Worten lagen keinerlei Emotionen. Verunsichert folgte ich Kröte und sah, wie sie den Joint zwischen ihre langen, dürren Finger nahm. Seufzend atmete sie den süßlichen Rauch ein und stieß ihn nach einiger Zeit wieder durch die Nase aus. „Scheiße... das tut gut...", murmelte sie und reichte mir die Tüte. „Bitte bedien dich"

Zögerlich führte ich die selbst gedrehte Zigarette an meine Lippen und inhalierte etwas. Seufzend atmete ich wieder aus und heilige Scheiße, das war gutes Zeug. Der Joint wanderte weiter zu Lukas und Freddy, wieder zu Finn zurück und dann zu Kröte und mir. Bereits nach vier dieser Ketten war ich schrecklich bekifft. Das tat gut...

Eine innere Wärme hatte sich in mir ausgebreitet und alle meine Sorgen schienen vergessen. Ich war so ruhig wie lange nicht mehr. Entspannt lehnte Kröte sich an die mit Graffiti überzogene Wand und starrte an die Decke.

„Habt ihr euch schon mal gewünscht, einfach nie existiert zu haben?", fragte sie in die Stille hinein. Langsam drehten sich alle Köpfe zu ihr und bitter lachte Lukas auf. „Wer hat das nicht? Mein ganzes Leben besteht nur daraus, zu hinterfragen, warum ich nicht abgetrieben wurde." Fast unmerklich zuckte Freddy zusammen und sah mit verschleiertem Blick zu dem Jungen neben ihm. „Gut, dass sie es nicht getan haben...", flüsterte er. Lukas wandte sich ihm zu. „Hast du was gesagt?" Freddy seufzte und schüttelte den Kopf. Ich kniff die Augen zusammen.

Finn breitete seine Arme aus und wies auf uns alle. „Wir alle wünschen uns, nie geboren zu sein, oder? Und genau das verbindet uns doch. Zumindest sitzen wir nicht allein in einem versifften Haus, sondern zusammen. Das ist doch alles, was zählt. Wir haben uns. Wir würden uns niemals allein lassen."

Kröte stieß lahm eine Faust in die Luft. „Genau, Recht hat er! Wir haben uns und wir werden niemals allein sein!" Lukas grinste langsam und schloss sich Isabella's Geste an. „Nie mehr allein sein!" Auch Freddy wiederholte die Geste. „Nicht mal unser seltsamer Aaron wird je allein sein!" Schief lächelte ich ihn an. „Ja, wir alle, nie mehr allein. Zusammen, weil es uns allen beschissen geht!"

Finn jubelte. „Nie mehr allein!" Wir anderen stiegen mit in seine Rufe ein.

„Nie mehr allein! Nie mehr allein! Nie mehr..."

Ja, nie mehr allein. Meine Welt war gerettet. 

Aber jetzt, jetzt bin ich allein.


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