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Leben konnte schön sein. Friedlich, harmonisch und überraschend zugleich. Wie in diesen typischen Serien, in denen der Protagonist das perfekte Leben führte, nie Probleme zu haben schien und einem das ideale Leben vorgespielt wurde. Bis zu dem Punkt in dem es plötzlich den Wendepunkt gab. Eine komplette Wendung, eine hundertachtzig Graddrehung, welche man selbst nicht vorhergesehen hatte.

Und wenn ich ehrlich war, befand ich mich an dieser unvorhersehbaren Drehung. Eine, welche mich aus der Bahn warf. Eine, bei der ich mir nicht einmal mehr sicher sein konnte, ob ich lachen oder weinen sollte. Ob ich es dieses Mal einfach hinnehmen oder wie immer alles hinterfragen sollte, was ich selbst nicht beeinflussen konnte, weil es mir mein Schicksal so auferlegt hatte.

Regentropfen fielen zu Boden, hinterließen das typische Geräusch des Regens. Die letzten Sommertage waren schon einige Wochen vergangen, der Herbst war schon längst präsent gewesen. Ein leichtes Seufzen entwich mir, als ich mich mehr in meine Jacke kuschelte, während ich die Dunkelheit vor mir betrachte. Schwärze, unendliche Leere und doch so faszinierend, dass ich mich langsam fragte, wieso ich als Kind Angst davor hatte.

„Du solltest nicht mehr solang hier draußen sitzen. Nicht, dass du krank wirst oder du hier einschläfst.", hörte ich hinter mir. Natürlich wusste ich, dass die allbekannte Stimme recht hatte und ich nicht für ewig hier sitzen sollte. Aber manchmal hatte ich das Bedürfnis die Zeit anzuhalten. Das Gefühl, dass mir alles zu schnell ging. Die Zeit mir aus den Händen rannte, je älter ich wurde. Vielleicht war das auch meine große Angst als Kind gewesen, dass die Nacht nie vergehen würde – die Zeit niemals vergehen würde, je länger sie präsent war. Je länger ich präsent war.

Und jetzt wünschte ich mir nichts mehr, als einen kurzen Augenblick, welchen ich durchatmen konnte. Der anhielt und mich daran erinnerte, dass ich lebte, nicht nur funktionierte, weil ich musste.

„Morgen ist auch noch ein Tag."
„Anstatt mich eines besseren zu belehren, kannst du dich einfach zu mir setzen, Chan."

Ich wusste ganz genau, dass er anfing leise vor sich hin zu kichern. Seinen Kopf senkte und leicht diesen schüttelte. Hin und hergerissen, ob er meiner Aufforderung nachkommen sollte oder einfach wartete, bis ich in die Wohnung trat. Aber gerade war mir wirklich nicht danach. Ich wollte weiter hier bleiben, weiterhin in der Dunkelheit geflüchtet sein.

„Weißt du...", fing er an. Sobald mein Kopf aber zu ihm schellte, wurde er urplötzlich kleinlaut. Sein Grinsen wurde breiter, die Distanz verringerte sich und er nahm neben mir Platz. Und dann herrschte diese Stille, der ich eigentlich entrinnen wollte. Für einen kurzen Moment dachte ich, es ist normal. Alles wäre in Ordnung, so wie früher. Aber ich spürte diese Anspannung in mir aufkommen. Dieses Gefühl zu wissen, dass man von mir erwartete, etwas zu sagen. Den ersten Schritt zu machen.

Dann war da noch dieses eine Thema, welches zwischen uns stand, obwohl er meinte, dass es nicht so wichtig sei. Genau jetzt wollte ich nichts mehr als zu verschwinden. Nicht mehr in seiner Gegenwart sein. Im generellen niemanden mehr unter die Augen treten.

Mein Hals wurde trocken. Gar ausgetrocknet, würde ich es übertriebener Weise bezeichnen, sodass ich nach Luft rang und ich aus dem Augenwinkel erkennen konnte, wie sich sein Kopf zu mir hinüberdrehte. Mir galt seine komplette Aufmerksamkeit. Viele wären bis heute noch neidisch gewesen, dass Chan – einer der beliebtesten Schüler meiner Schulzeit – ständig in Begleitung mit mir – dem unscheinbarsten Schüler meines Jahrgangs – war und bis zum heutigen Tag verstand ich es nicht, was er an mir fand. Nichts an mir hatte etwas besonderes. Doch in seinen Augen musste ich genau das haben. Etwas Besonders, was sein Interesse geweckt hatte.

„Ich verlange nicht von dir, dass du dich entscheidest und auch ein Nein wäre in Ordnung für mich." Allerdings wusste ich, dass meine Entscheidung unsere Beziehung zueinander ändern würde. Doch war es eine Entscheidung? Es waren lediglich Gefühle, die Chan meinte für mich zu haben, die ich nicht erwidern konnte. Und ich fühlte mich schuldig. Schuldig dafür all das, was er für mich getan hatte und ich konnte nicht einmal irgendetwas zurückgeben. Nicht einmal seine Gefühle, sein Herz, welches ich ihm unwillentlich genommen hatte. Es tat mir weh zu wissen, dass alles nicht mehr so sein würde, wie es einmal war.

𝙃𝙖𝙧𝙙 𝙩𝙤 𝙇𝙤𝙫𝙚 ✧ CHANLIXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt