Dying Wish

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Seine Lungen schmerzten, als er keuchend die frostig kalte Luft einsog. Da war ein Hauch von dem schmutzigen Geruch der Themse, welcher in der Luft lag. Genauso wie der Duft nach verbrannten Holzscheiten in einem Kamin. Dumpf hallte das Geräusch seiner Schritte in der schmalen Londoner Gasse wieder. Verbissen bahnte er sich seinen Weg durch das dunkle Labyrinth des East Ends. Den gesamten Weg von dem verlassenen Haus war er nun gerannt, nicht sicher, ob er noch rechtzeitig an kommen würde. Seine Gedanken drehten sich wie ein Karussell. Sie drehten sich um Liam. Seine Worte, seine Gesten, sein für ihn verfasster Brief. Den Brief hatte Sherlock in das Loch in der Wand zurückgelegt. Genauso wie die restlichen Dokumente, die dort für ihn hinterlegt worden waren. Dort waren sie sicher. Er würde zurückkommen und sie holen.

Vor ihm, an einer Wegkreuzung, standen ein paar Zivilisten, die in den Nachthimmel hinaufschauten. Sie wirkten entsetzt. Sherlock stoppte seinen Sprint und wand sich an einen der Männer. Er folge dem Blick des Erschrockenen und sogleich zog sich sein Magen zusammen. Über den Häusern stieg dichter, dunkler Rauch auf. Der rote Schatten eines Feuers zeichnete sich deutlich vor dem rabenschwarzen Himmel ab. Ein erschreckendes Bild zeichnete sich vor Sherlocks innerem Auge ab. In dieser Richtung lag doch...

„Der Tower of London brennt!"

Atemlos kam ein Bürger aus einer der Gassen, die Zum Tower führten.

„Es war der Meisterverbrecher, der Lord of Crime. Er hat ein Bekennerschreiben verteilt."

Bei diesen Worten wurde Sherlock ganz anders. Es war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Hart schlug er in der Realität auf. Liams Endvorstellung hatte begonnen. Fluchend bog Sherlock in die Gasse ein, aus der der der Mann eben gekommen war. Das Bild, das Puzzle in seinem Kopf vollendete sich. Es zeigte die drei Briefe, Feuer vor schwarzem Himmel, die Tower Bridge... und Liam.

Er war zu Sherlock in die Baker Street gekommen, hatte angeklopft, wurde von Sherlock selbst hinein gebeten. Dort hatte er ihm zwei Briefe überreicht. Im weißen Umschlag befand sich eine Notiz, die auf Liams selbst gewähltes Ende datiert war. Der dunkle Umschlag beinhaltete eine Adresse in East End. Liam hatte Sherlock gefragt, ob er die Geschichte um William James Moriarty, Sherlock Holmes' Erzfeind, beenden würde. Die Antwort kannten sie beide. William wollte sterben. Sherlock sollte es beenden, den letzten Dämon austreiben.

Den Teufel würde er tun. Sherlock hatte beide Briefe gelesen, die Adresse hatte ihn in ein altes Haus geführt. Dort hatte er sämtliche Dokumente über die Pläne des Meisterverbrechers gefunden. Unter anderem war ein Grundriss der Noahtic dabei gewesen. Ebenso wie zwei Geburtsuhrkunden, die Geburtsuhrkunden Luis' und Liam's. Was sich Sherlock jedoch am meisten ins Gehirn gebrannt hatte, war ein Brief, der den Dokumenten beigelegt worden war. Ein schlichter weißer Brief.

Inzwischen stiegen von mehreren Punkten in der Stadt hohe graue Säulen auf. Das Feuer griff um sich, breitete sich schließlich aber nicht weiter aus. Die Menschen, egal ob Schneider oder Straßenkehrer, Banker oder Dienstbote packten mit an und hielten so die Flammen in Schach. Liams Plan war aufgegangen.

Sherlock beobachtete das aus dem Augenwinkel. Bald würden die Feuer gelöscht sein. Die Plätze derer Zündung war raffiniert gewählt. Die Menschen würden automatisch in Richtung der Themse gezogen werden. Und dort würde das Spektakel stattfinden. Die finale Auseinandersetzung zwischen James Moriarty, dem Meisterverbrecher und Sherlock Holmes, dem begnadeten Detektiv.

Nach Liams Planung würde das der Ort sein an dem Sherlock den letzten Teufel aus dieser Welt verbannen würde. Doch diesem Plan würde Sherlock nicht folgen. Schon seit ihrem ersten Treffen auf dem Schiff, der Noahtic, war er fasziniert von diesem Mann. Einander ebenbürtig spielten sie ein Spiel, dessen Sieg eine zweischneidige Klinge war. Sie sahen einander auf Augenhöhe und sprachen eine Sprache ohne Worte, die niemand anderes zu verstehen vermochte. Seit diesem ersten Treffen war in Sherlocks Herzen ein Wunsch gewachsen.

Er war ganz langsam aufgekeimt, wie ein einsames Schneeglöckchen, das sich vorsichtig einen Weg durch die dicke Schneedecke bahnt. Es war der Wunsch dieses Spiel auf ewig weiter zu spielen. Immer weiter mit Liam zusammen Rätsel zu lösen, wie an Bord des Zuges. Mit Liam, dem Menschen, dessen klarer, aufmerksamer Blick doch jedes Mal den Seinen fesselte. Dessen warmes Lächeln die Schneedecke endgültig zum Schmelzen brachte und ein Gefühl in Sherlock auslöste, welches ihn sowohl in atemlose Nervosität als auch in wohlige Geborgenheit hüllte.

Die ganze Zeit fühlte William genauso wie er. Das hatte er durch den schlichten weißen Brief erfahren. Liam war für Sherlock keines Falls nur ein Rätsel und für Liam war er nie so etwas wie eine Spielfigur gewesen. Liam hatte ihn als Freund, als Vertrauten gesehen. Er hatte ihn als jemand gesehen, für den er seine langjährigen Pläne aufgegeben hätte.

Entschlossen und etwas außer Atem blickte Sherlock die Tower Bridge hinauf. Ihre Bauarbeiten waren noch nicht beendet und die beiden Übergänge berührten einander nicht. Dunkel und monströs ragte sie in den Himmel. Hier, im Blickpunkt aller Menschen, wartete er, der Meisterverbrecher. Er wartete auf seinen Erlöser.

Doch so leicht würde Sherlock ihn nicht davonkommen lassen. Irgendwie musste es doch eine Zukunft für sie beide geben. Eine gemeinsame Zukunft. Denn er war nicht als der Detektiv hier, als Held, der dem Meisterverbrecher seine Bestrafung zuführen würde.

Er war hier, um Liam seinen Plan nicht vollenden zu lassen. Der Wunsch, den er so lange für aussichtslos gehalten hatte, war zum Greifen nah.

Erwürde ihn nicht sterben lassen.


~*~


Hier ist das Gegenteil zu dem Oneshot Twisted Hearts. Umgedreht und aus Sherlocks Sicht. Die Handlung folgt nach diesem Oneshot und beinhaltet die Sorgen Sherlock's über William. Ich hatte sehr viel Spaß beim schreiben und hoffe, dass man das merkt^.^

Ich möchte euch auch für die Unterstützung danken. Für die Kommentare und Empfehlungen. Zumal ich noch nicht allzu lange schreibe und hochlade❤

Vielen Dank und einen schönen Tag

Dying Wish [Moriarty the Patriot]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt