Kapitel 35

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„Was meinst du damit, du verbringst Weihnachten nicht zuhause?", hakt Prudence nach, während ich mich an der Stereoanlage in meinem Auto vergreife. Seit dem...Vorfall ist es mir nicht mehr wohl, allein durch die Gegend zu fahren, obwohl ich mittlerweile ein neues Auto habe. Und weil ich nicht ohne Weihnachtsgeschenke vor Ephraims Haustür auftauchen kann, habe ich Prudence zum Shoppen mitgeschleift. Nur habe ich zu diesem Zeitpunkt vergessen zu erwähnen, dass ich Weihnachten bei ihm verbringen werde. „Naja, es ist so, wie ich gesagt habe. Keine große Sache." Ich wähle eine Playlist aus, auf der sich ein Haufen die-muss-man-laut-mitschreien-Songs befinden. So wird Prudence weniger Zeit damit verbringen können, mir Fragen in den Bauch zu löchern. „Du hast recht. Das ist eine riesige Sache", korrigiert sie mit einem aufgeregten Kichern, sodass ich mit den Augen rolle. Ich hätte es ihr nicht erzählen dürfen. „Prudence. Ich meine es ernst. Ich habe ihm gesagt, dass ich Weihnachten normalerweise mit Mathilda gefeiert habe und da hat sich vermutlich sein Mitleid gemeldet. Da ist nichts dran." Doch das Mädchen am Steuer schnaubt nur. „Ja, klar. So wie nichts dran war, als er dir die Zunge in den Hals gesteckt hat? Du weißt schon, das was er vermutlich ständig tut, wenn ihr allein seid." Prudence wirft mir einen betonten Blick zu, während sie anzüglich mit ihren Augenbrauen wackelt. Ich seufze nur und rutsche etwas tiefer in den Sitz, welcher nach frischem Leder riecht.

„So ist es wirklich nicht zwischen uns", beharre ich. Hauptsächlich, weil ich keine Ahnung habe, was genau zwischen Ephraim und mir läuft. Mir ist einfach klar, dass er meine Gedanken einnimmt und dass es mir manchmal schwerfällt, an irgendetwas anderes zu denken als seine ebenholzfarbigen Augen, die jedes Detail in seiner Umgebung aufzusaugen versuchen. Manchmal fällt es mir schwer in seiner Gegenwart zu atmen, weil ich mich nach seinem Kuss sehne, welcher das Atemberaubendste ist, was mir jemals geschehen ist. Und manchmal, so wie heute, möchte ich einfach in seinen Armen liegen, weil ich weiß, dass er mich vor dieser Welt beschützen würde. Es macht mir Angst, dass die Verbindung zwischen uns nicht mehr simpel und kalt ist. Dass ich ihn ansehe, und am liebsten gar nicht mehr wegsehen würde. Früher waren die Dinge einfach zwischen uns und jetzt ist es selbst kompliziert, wenn wir streiten. Denn jetzt tun seine Worte so richtig weh, weil ich mich zum ersten Mal in meinem Leben dafür interessiere, was er zu mir sagt. Ich möchte wissen, wer er wirklich ist, hinter seiner Brille, die er nur manchmal trägt, weil er trotz allem schüchtern ist.

„Wenn du meinst. Trotzdem gehen wir Weihnachtsgeschenke kaufen. Für seine Familie. Hast du eine Ahnung davon, in was für eine Situation du dich da begibst?" Ich seufze, denn natürlich habe ich keinen blassen Schimmer. Natürlich weiß ich nichts über seine Familiensituation. Er hat mir nie gesagt, ob er Geschwister hat. Ich habe auch nie gefragt, aber das stellt jetzt ein Problem dar. „Vielleicht sollte ich ihn anrufen", gebe ich zu und krame mein Handy aus der Designertasche, die Prudence vorhin mit großen Augen angesehen hat, als ich damit aufgekreuzt bin. Sie nickt nur und stellt die Musik etwas leiser. „Am besten auf Lautsprecher." Ich schnaube nur und wähle Ephraims Nummer, unsicher, was ich ihm überhaupt sagen sollte. Aber mir bleibt keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn nach dem zweiten Klingeln nimmt er ab. „Alles in Ordnung bei dir?", will er sofort wissen und ich kann nicht verhindern, dass mir Röte in die Wangen steigt. Prudence wirft mir einen aufmerksamen, verheißungsvollen Blick zu und ich rolle mit den Augen. „Äh, ja. Natürlich." Sein leises Lachen erklingt und ich schließe für einen Moment die Augen. Verdammt, er sollte öfter Lachen. „Sicher?" Ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann. „Ja. Ich wollte eigentlich nur kurz ein paar Fragen zu deiner Familie stellen", komme ich zum Punkt. Ich habe nicht vor, länger als unbedingt nötig mit ihm zu telefonieren, wenn es sich auch vermeiden lässt. Zumindest nicht vor Prudence. Sie wird mir vermutlich wochenlang vorhalten, dass ich vorhin errötet bin. „Zu meiner Familie?", erklingt Ephraim am anderen Ende der Leitung. „Wie kommst du darauf?" Ich bin gerade dabei, Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Aber das kann ich ihm nicht sagen, denn das würde die Überraschung ruinieren. Stattdessen kaue ich einige Sekunden lang auf meiner Lippe herum. „Naja, ich dachte, dass ich gar nicht weiß, bei wem ich Weihnachten verbringen werde."

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