Kapitel 1 - Hohe Wellen

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~Liv~

"Wie lange noch?"
Stöhnend wische ich mir den Schweiß von der Stirn und lasse sie dann auf das Pult vor mir sinken.
Es kühlt ein wenig, wenn auch nur kurz.
"Bei dieser Hitze Nachzusitzen grenzt an Folter, Mr. Bricks!"
"Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor sie Schuleigentum beschädigen!"
"Ach, kommen Sie."
Ich hebe den Kopf und klinke mich geistig in die Unterhaltung zwischen Cole, dem breitschultrigen, notorischen Schulschwänzer und Mr. Bricks, unserem Geschichtslehrer, ein.
"Es war doch nur ein kleines Graffiti und sah auch nur fast aus wie eine...."
"Seien Sie still, Mr. Jones, oder Sie sitzen eine weitere Woche nach!"
Cole hebt beschwichtigend die Hände und gibt sich geschlagen.
Ich rolle genervt mit den Augen und atme hörbar aus, ehe ich mich wieder meinem Block, der aufgeschlagen vor mir liegt, widme.
Kleine Kritzeleien auf dem linierten Papier  zeugen von der Langeweile, die ich seit nunmehr einer Stunde ertragen muss.
Ich hebe meinen Blick und bleibe an Cole hängen, der direkt vor mir sitzt. Er trägt eine Jeansweste mit zahllosen Patches.
Die zwei Großen auf dem Rücken der Weste wecken meine Interesse.
"Hawkeyes"
prangt in geschwungenen Lettern zwischen den Schulterblättern. Direkt darunter ist ein Motiv.
Ein, in weiß, grob skizziertes Adlerauge in dessen Iris sich ein rotes Fadenkreuz spiegelt.
Gedankenverloren zeichne ich das Motiv auf meinem Block nach.
Ich habe es schon einmal irgendwo gesehen.
Leider will mir einfach nicht einfallen, wo.

Cole ist dieses Halbjahr zur Hawkins High gewechselt. 
Vorher war er auf der Highschool im Nachbarort, von der er, laut dem Flurfunk, wegen Anzettelung einer Massenschlägerei geflogen ist.
Und da auch für ihn die Schulpflicht gilt, ist er nun hier, wo er sich scheinbar wenig Mühe gibt, etwas an seinem Image zu ändern.
Die meisten Schüler meiden ihn. Genau genommen, machen sie einen großen Bogen um ihn. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Er wirkt irgendwie bedrohlich.
Trotzdem trifft man Cole nie allein an, wenn er sich denn Mal zur Schule bequemt. Er hat immer seine zwei Lemminge bei sich. Ich kenne nicht einmal ihre Namen.
Ich weiß nur, dass sie einen Jahrgang unter mir sind. Unter Cole.
Angeblich gehört er einer Straßengang an. Wieviel an diesem Gerücht dran ist, ist schwer zu sagen. Die Leute machen gerne aus einer Mücke einen Elefanten. Besonders hier in Hawkins, wo man bereits als Satanist gilt, wenn man DnD spielt.
Coles auffällige Backpatches dagegen lassen mich den Wahrheitsgehalt des Gerüchts neu bewerten.

Die Schulglocke reißt mich aus meinen Gedanken und ich atme erleichtert auf. Endlich!
Die Luft in Raum ist so dick, das man sie schneiden könnte.
Noch eine Sekunde länger hier drin und ich wäre ohnmächtig vom Stuhl gekippt.
Während ich mich erhebe und meinen Rucksack über meine Schulter werfe, ist Cole bereits zur Tür hinaus. Ich sehe ihm einen Moment nachdenklich nach.
Irgendwie ist er mir suspekt.
Aber ich war noch nie der Typ der Bücher anhand ihres Einbands bewertet.
Jeder verdient eine Chance.

Gerade als ich mich zum Gehen wenden will, bittet mich Mr. Bricks zu sich.
Erneut, zum gefühlt tausendsten Mal am heutigen Tage, verdrehe ich genervt meine Augen.
Ich weiß, was jetzt kommt.
Wieder ein sinnloses Gespräch darüber, das ich mir meine Zukunft verbaue.
Bla bla bla.
Als wäre es mir nicht scheiß egal.
Warum können die Leute es nicht einfach gut sein lassen?!
Leben und leben lassen.
So schwer ist das doch nicht.

"Ms. Stroud" Mr. Bricks räuspert sich und schiebt seine Brille mit zwei Fingern ein Stück weiter seinen Nasenrücken hinauf.
Dann bedenkt er mich mit einem mitleidigen Blick.
Gott, wie sehr ich es verabscheue, wenn die Menschen mich so ansehen.
Als sei ich zerbrechlich, wie angeschlagenes Porzellan.
Bereit, bei auch nur einer falschen Berührung in meine Einzelteile zu zerfallen.
"Ich weiß, Sie haben viel durchgemacht in den vergangenen Monaten. Und ich kann verstehen, das Sie eine Art Auszeit brauchen. Aber, Nachsitzen, Ms. Stroud?"
Seine Miene wird ernst und er schüttelt betrübt den Kopf.
"Das passt nicht zu Ihnen."
Trotzig verschränke ich meine Arme vor meiner Brust, verwehre mich einer Antwort.
"Hören Sie,"
Mr.Bricks lehnt sich ein Stück nach vorn und faltet seine Hände, ehe er weiterspricht.
"Wenn Sie das Abschlussjahr nicht wiederholen wollen, dann müssen Sie jetzt etwas ändern! Sehen Sie es als gut gemeinten Rat, Ms. Stroud. Kriegen Sie ihren Kram auf die Reihe und reißen Sie sich zusammen! Nur noch ein paar Wochen! Dann sind Sie frei wie ein Vogel und können sich Ihr Leben nach Strich und Faden versauen. Und das Beste daran ist, es passiert nicht unter meiner Aufsicht."
Einen Moment lang starre ich meinen Geschichtslehrer fassungslos an.
Ich soll meinen Kram auf die Reihe kriegen?!
"Mr.Bricks" sage ich aufgesetzt lächelnd, während ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagere.
"Ich weiß Ihren gut gemeinten Rat zu schätzen, aber..."
Mein Kiefer mahlt, als ich mich über das Lehrerpult und Mr. Bricks entgegen lehne.
"Es geht Sie einen Scheiß an, was ich tue und was ich nicht tue. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram!"
Mr.Bricks zieht erschrocken die Augenbrauen in die Höhe, doch ehe er etwas erwidern kann, stürme ich aus dem Klassenzimmer.
Ich will nicht ein Wort mehr aus dem Mund dieses ignoranten Idioten hören.
Meinen Kram auf die Reihe kriegen...als würde ich es mir selbst nur schwer machen!
Als würde ich wählen können, wie ich mich fühle und was diese Gefühle mit mir machen!
Seit den Ereignissen, für die Steve, den ich eigentlich für meinen Freund gehalten hatte, verantwortlich war, hat sich einiges geändert.
Eddie und ich haben die erste Zeit versucht uns gegenseitig zu retten.
Zumindest fühlte es sich so an.
Wir sprachen nie über die Ereignisse.
Waren nur füreinander da und für eine Weile war es gut so.
Doch fraßen wir Seite an Seite alles in uns hinein, ohne unser Leid mit dem anderen zu teilen. Aus Rücksicht. Aus Angst?
Vermutlich führte das letztendlich dazu, das wir uns trennten.
Oder vielleicht auch die Tatsache, das ich Eddie mit Billy betrogen habe.
Zumindest glaubt Eddie das.
Und das ist auch gut so.
Es spielt keine Rolle, was letztendlich zur Trennung führte.
Fakt ist, seither kämpfe ich allein gegen meine Dämonen.
Es ist besser so.
Ich stehe bereits am Abgrund.
Vielleicht schafft Eddie den entscheidenden Schritt zurück, wenn ich ihn nicht aufhalte.
Für mich ist es zu spät.
Ich bin, wer ich jetzt bin.
Ich habe Mittel und Wege gefunden, mit dem, was mir wiederfahren ist, zu leben.
Und das Letzte was ich will ist, Eddie da mit reinzuziehen.
Ich habe genug Schaden angerichtet.

Ich reiße die Tür zum Parkplatz der Hawkins High auf. Die Luft ist draußen ungefähr genauso stickig wie drinnen. Das Thermometer zeigt seit Tagen etwa 40 Grad an und Hawkins ächzt unter der erdrückenden Hitze.
Ich nehme mein grün gefärbtes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und lüfte meinen Nacken.
Meine Kleidung klebt an meiner Haut und Schweißperlen rinnen mir die Schläfen hinab.
Am liebsten wäre ich heute morgen nackt aus dem Haus gegangen, aber leider fällt das unter Erregung öffentlichen Ärgernisses und auf noch mehr gemeinnützige Arbeit bin ich nicht unbedingt scharf.
Deshalb musste es die knappe schwarze Hotpants und das ausgewaschene Accept Tanktop tun.
Die Kette um meinem Hals, an der das Plektrum baumelt, das Eddie mir geschenkt hat, klebt an meiner schweißnassen Haut.
Ich schaffe es nicht, die Kette abzulegen.
Sie ist zu einer Art Talisman geworden, der mir Kraft spendet, wenn ich sie benötige.
Also trage ich sie weiterhin.
Auch wenn Eddie und ich kein Paar mehr sind und sie ein Geschenk von ihm war.
Vielleicht gibt sie mir deswegen Sicherheit.
Weil sie von ihm ist.
Und wenn ich sie trage, schmerzt sein Verlust ein kleines bisschen weniger.

*Wordcount: 1250

Meine Lieben!🖤

Hier ist es, das erste Kapitel von
"Get even!"

Eigentlich wollte ich mich mit der Überarbeitung von "Make him pay!" befassen, aber die Geschichte von Liv und Eddie lässt mich einfach nicht los! Ich musste einfach weiterschreiben!
Ich hoffe, euch gefällt das erste Kapitel und ich freue mich wie immer über Feedback!

Wenn's euch gefällt, lasst Liebe ⭐ da!

Liebste Grüße
Eure DieZeitreisende 🌑

"Get even!"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt