Ich schaute sie an. Ein letztes Mal ... Heute würde irgendwas geschehen. Irgendwas, was eine Mutter von ihrer Tochter trennen würde. Irgendwas, was mich von ihr trennen wird ... für immer. Aber ich wusste, dass ich dagegen nichts tun konnte . Ich war zu schwach um noch länger auf sie aufpassen zu können, zu schwach und das schon seit Wochen. Ich wusste, dass ihr Vater mir nicht helfen konnte. Aber es wäre nett, wenn er sich wenigstens melden würde. Ein letztes Mal nur ...
Aber er war immer nur darauf bedacht unserer Geheimnis zu bewahren. Niemand dürfte es wissen. Was würde das Volk auch sagen, wenn einer wie ER mit jemandem wie MIR zusammen wäre. Und dann noch das Kind ...
"Was denkst du denn schon wieder so viel nach, Liebes ?", fragte meine Mutter besorgt. Noch ein Mensch den ich zurück lassen würde.
"Geht es dir wieder schlechter ?", fragte sie, jetzt noch besorgter.
"Ja ... ich denke ... es ist bald soweit.", sagte ich mit fester Stimme. Im Inneren wollte ich einfach nur schreien und nicht mehr aufhören.
"Bist du dir sicher ?", fragte sie. Sie sucht immer noch nach einem Grashalm. Sie wollte mich nicht verlieren, aber es wird geschehen. Ich weiß es, ich kann es fühlen. Schon seit Tagen spüre ich, dass das Ende kommt und heute wird es soweit sein.
"Ja ... sehr sicher. Mutter ... du musst auf sie aufpassen. Ihr darf nichts passieren. Sie darf nichts erfahren. Nicht bis sie alt genug ist. Wenn sie nach ihrem Vater fragt, sag ihr sie soll warten bis die Zeit reif ist. Das wird ihr nicht gefallen. Lass sie ihren eigenen Kopf haben, aber sie darf keine Probleme mit der Regierung bekommen. Gib ihr mein Buch, wenn sie 15 ist. Dort kann sie viel über ihre Kräfte lernen und sich einiges aneignen. Danke für alles ...", ich erklärte ihr das alles und sie hörte mir ganz aufmerksam zu.
"Ich liebe dich mein Kind ..." sagte sie, als sie plötzlich durch eine auf schlagende Tür unterbrochen wurde.
Felix stürmte herein. Er sah nicht so aus wie, sonst mit zerzausten langen Haaren trat er ein und kam mit schnellen Schritten und besorgten Gesichtsausdruck durch das Zimmer gelaufen. Sein Gesicht war gerötet, was zeigte, dass er gerannt war.
Er blieb vor mir stehen. Ich sah in einem sehr bequemen Schaukelstuhl, unser Kind auf dem Arm und sah mit einem schwachen lächeln zu ihm auf.
Meine Mutter hingegen sprang auf und machte eine tiefe Verneigung.
"König Felix", sprach sie mit unterwürfigen Ton.
Er beachtete sie jedoch nicht wirklich. Er sah nur mich an.
"Alles okay ... geht es noch ?", fragte er mit sanfter und leiser Stimme.
"Ja ... aber ... es..."
"Es ist bald soweit", unterbricht er mich, "Ich weiß. Darum bin ich hier."
"Was ? Warum? Was hast du vor ?", fragte ich sofort.
"Ich ... hab eine Lösung gefunden. Du wirst nicht sterben, aber leben wirst du auch nicht wirklich. Ich meine... Es ist schwer zu erklären.", stotterte er, was mich wirklich verwirrte und unsicher werden ließ, da ich ihn noch nie stottern gehört hatte. Normalerweise sprach er immer mit einer festen selbstsicheren Stimme.
"Wie eine Lösung? Was soll das bedeuten?", fragte meine Mutter aufgeregt. Sie wollte so unbedingt, dass ich lebe. Ich wollte auch leben, aber ich hatte auch einfach keine kraft mehr zu kämpfen.
"Das ist nicht so wichtig. Du musst mit mir kommen. Bitte Lissi. Stell keine Fragen. Ich weiß es wird schwer Linn zurück zu lassen, aber es muss sein.", flehte er mich schon fast an.
"Ich werde sie so oder so verlassen müssen. Warum sollte ich jetzt früher gehen, als ich so schon muss?", fragte ich ihn mit sanfter, leiser und etwas kränklicher Stimme.
"Weil du so die Möglichkeit hättest deine ... unsere Tochter zu sehen. Du könntest vielleicht auch mit ihr reden."
"Aber ... das ist doch ... völlig ... unmöglich ... oder ?", fragte meine Mutter mit etwas zitternder Stimme.
"Nein ist es nicht. Nur du musst sofort mit mir kommen.", sagte Felix an mich gewandt.
"Mach es!", wies meine Mutter mich an.
"Nein ... ich ...", wollte ich protestieren.
Ich sah auf meine Tochter. Ich könnte immer auf sie achten. Ich könnte ihr zwar nicht bei vielen Dingen helfen, aber ich könnte sie sehen. Ich könnte wissen wie es ihr geht.
"Na gut.", stimmte ich dann doch zu.
"Okay. Dann komm. Verabschiede dich und dann ... kommt mit.", sagte Felix etwas forsch.
Ich sah zu meiner über alles geliebten Mutter, gab mein Kind Felix und fiel meiner Mutter in den Arm.
"Ich liebe dich. Bitte pass auf sie auf.", flüsterte ich ihr ins Ohr.
"Ja, pass du gut auf dich auf, mein Kind."
"Okay, komm."
Felix gab Linn mein Mutter und nahm meine Hand mit einem festen griff. Er zog mich mit sich und ich hatte nur noch einen kurzen Moment um meiner kleinen Schatz ein letztes Mal an zu sehen.
Felix lief mit mir und lief und lief. Es schien als hätte es kein Ende mehr. Ich folgte ihm einfach, wortlos und mit schnellen Schritten. So schnell wie ich es in meiner Verfassung konnte.
Irgendwann blieben wir stehen. Felix gab mir einen Zettel, fragte mich zuerst, ob ich wirklich sicher sein, dann sagte er mir ich solle mir merken was diesem Zettel stand und es laut sagen, wenn ich auf dem Grund des Sees wäre der sich genau vor uns erstreckte.
Er erklärte mir alles was mit mir passieren würde und was ich genau zu tun war. Zu Abschied gab er mir noch einen Kuss.
Ich sprang in den See, ohne zu überlegen was mit mir geschehen würde. Ich tauchte und tauchte und als ich ganz unten am Boden angekommen war, sprach ich die magischen Worte aus.
Mit diesen Worten wurde ich für immer ein Teil des Sees, für immer ein Teil des Wassers und für immer ein Teil dieser Welt.
Ich konnte immer noch alles fühlen, zum Beispiel die ganze Umgebung. Aber auch sehen wer sich in der Wasseroberfläche spiegelte und hören was er zu mir sagte. Ich konnte jedoch nicht sprechen und so auch nicht antworten, wenn Felix, der mich meist immer besuchte mit mir sprach.
Irgendwann jedoch kam nicht mal er mehr. Ich stellte mir immer die Frage, ob er wohl keine Zeit mehr fand mich zu besuchen, oder ob ihn etwas anderes daran hinderte.
Ich hoffte nur, dass ich mit der ersten Vermutung richtig lag, denn die Gedanken zur zweiten Möglichkeit waren für mich viel zu schmerzlich.
So vergingen Jahre, in denen ich wusste, dass meine kleine Tochter immer größer wurde. Ich hoffte immer wieder, dass sie sich irgendwann mal hier her verirren würde und ich dann noch ein mal sehen konnte. Ich hoffte, dass nicht alles umsonst war. Und dass sie jetzt glücklich war....
