1. Kapitel

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Phoenix


In Bristol regnet es sogar für April ungewöhnlich viel, aber daran habe ich mich in den letzten Monaten gewöhnt. Das schlechte Wetter ist nur ein Spiegel meiner Laune und Stimmung. Ich habe mir mein Work & Travel in Europa so rosig ausgemalt und nach wenigen Wochen ging alles den Bach runter. Zunächst war es noch okay, aber mir wurde von Tag zu Tag schlechter. Ich habe mich regelmäßig übergeben und fühlte mich schlapp. Meine Freundin Sadie hat mich zum Arzt geschickt, als es nach zwei Wochen nicht besser wurde, und der hat das Unvorstellbare festgestellt: Ich bin schwanger!

Bei meiner Ankunft in Bristol war ich bereits in der achten Woche.

Mittlerweile ist es der siebte Monat, sodass es nicht mehr lange ist, bis das Baby auf die Welt kommen wird. Übermorgen fliege ich zurück nach Chicago, und zu Hause weiß niemand, dass ich schwanger bin. Ich habe es nicht über mich gebracht, es meiner Familie und Jake zu sagen. Es erschien mir am Telefon nicht richtig und als ich realisiert habe, dass ich bei meiner Ankunft mit einem dicken Bauch vor ihnen stehen werde, habe ich Panik bekommen. Was werden sie denken und wie werden sie mit meiner Schwangerschaft umgehen? Ehrlich gesagt schäme ich mich auch dafür, dass ich nicht richtig verhütet habe. Das alles ist eine einzige Katastrophe.

Ich drehe mich herum, sodass ich nun seitlich zu dem Spiegel in meinem Zimmer stehe. Natürlich ist mein Bauch aus dieser Perspektive noch viel besser sichtbar. Lächelnd streiche ich darüber.

Ich bin neunzehn Jahre alt, werde in wenigen Wochen zwanzig und bin schwanger. Ich habe kein abgeschlossenes Studium, keine Ausbildung und der Vater meines Kindes will nichts von mir wissen. Meine Zukunft sieht alles andere als rosig aus. Das sind genug Gründe, um die Schwangerschaft geheim zu halten.

Meine Mitbewohnerin Sadie, die aus Australien kommt, ist mir in dieser Zeit eine wichtige Stütze und engste Vertraute geworden. Nun rückt meine Abreise in die Staaten immer näher und ich weiß nicht, wie ich meine Umstände erklären soll. Meine sehr sichtbaren und großen Umstände. Die Geburt wird in knapp drei Monaten sein. Es wird also ein Spätsommerbaby werden. Ein kleines Mädchen.

Als ich erfahren habe, dass ich eine Tochter bekomme, habe ich zum ersten Mal Freudentränen wegen der Schwangerschaft vergossen. Vorher waren es Tränen der Panik und der Verzweiflung, aber in diesem Moment war es schlichtweg überwältigend. Zum ersten Mal habe ich mich meinem Kind nah gefühlt. Ich hatte mir immer ausgemalt, ein Mädchen zu bekommen.

Wenn auch allein, denn ihr Vater weiß nichts von der Schwangerschaft. Jake hat sich eindeutig gegen uns entschieden, als er es vorzog, meinem Bruder ein Freund zu sein statt mir ein Partner.

Die Sache zwischen Jake und mir liegt in ihrem Ursprung Jahre zurück. Er ist Denvers bester Freund, geht bei uns zu Hause ein und aus, seitdem wir Kinder sind. Als unser Dad vor fünfeinhalb Jahren im Irak gefallen ist, war Jake ständig bei Denver. Die beiden waren sechzehn Jahre alt, ich dreizehn und ich glaube, dass ich mich damals schon ein wenig in ihn verknallt habe.

Zum ersten Mal geküsst haben wir uns vor drei Jahren an Weihnachten, als wir unter einem Mistelzweig standen. Wir haben gelacht und sind vom Wohnzimmer in die Küche gelaufen, um uns etwas zu trinken zu holen. Jake wollte mal wieder zu meinem Bruder, aber dieser war noch nicht zu Hause. Insgeheim glaube ich, dass es Absicht war. Er wusste doch, wann Denver nach Hause kommt. Wir gingen zusammen in die Küche, als meine Mom uns breit angrinste und mit dem Finger unter die Decke deutete. Mein Herz schlug sofort schneller, als ich realisierte, was das zu bedeuten hatte. Jake grinste und zog mich an sich heran. Ich habe ihm zu gezischelt, dass wir das nicht tun können. Immerhin stand meine Mutter neben uns, aber Jake hat mich an sich gezogen und seine Lippen auf meine gelegt. Der Kuss war berauschend, zumindest für mich. Für ihn war es sicher nur einer von vielen. Er war damals bereits neunzehn und hatte einen Haufen Mädchen geküsst. Denver kam natürlich in dem Moment nach Hause, als wir uns geküsst haben, aber hat es mit Humor genommen, nachdem unsere Mom ihn über den Mistelzweig aufgeklärt hat. Die Sache zwischen uns hat sich verselbstständigt in den letzten Jahren. Irgendwann sind wir zum ersten Mal im Bett gelandet, aber Jake hat mir immer signalisiert, dass es für ihn nicht mehr ist als Sex. Immerhin ist er Denvers bester Freund und ich seine kleine Schwester. Den Bro-Code würde er nicht brechen für mich.

Rückblickend hätte ich Jake schon einen Korb geben sollen, als er das erste Mal meinte, dass Denver das zwischen uns nicht erfahren darf. Ich war– bin verliebt in Jake und konnte meine Gefühle nie abstellen. Ich hatte immer die kleine Hoffnung, dass er noch erkennen wird, dass wir mehr füreinander sein können. Wir haben oft genug über das Thema gestritten und schlussendlich sind wir doch immer wieder im Bett gelandet. Der Versöhnungssex war der Hammer, keine Frage, aber irgendwann muss uns das Kondom geplatzt sein. Das Ergebnis wird unsere Tochter sein, wenn sie in drei Monaten das Licht der Welt erblickt.

Ich streiche über meinen Bauch und seufze.

»Hey.« Sadie lehnt im Türrahmen. »Alles okay?«

»Alles bestens«, antworte ich und sehe zu ihr. »Sie ist heute aktiv.«

Sadie kommt auf mich zu und grinst mich an.

»Worüber machst du dir Sorgen?« Ich erwidere ihren Blick und setze mich auf mein Bett.

»Irgendwie über alles«, murmle ich. »Meine Familie weiß nicht, dass ich schwanger bin, und Jake weiß es auch nicht. Ich will nicht nach Hause.«

»Natürlich willst du das.« Sadie war bereits der Meinung, dass ich zurück in die USA muss, als ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin. »Du vermisst deine Familie doch und sie müssen es endlich erfahren. Ich bin mir sicher, dass du auf ihre Unterstützung zählen kannst.«

In Telefongesprächen habe ich mich nicht getraut, ihnen zu sagen, dass ich schwanger bin, und über Face-Time habe ich meinen Bauch kaschiert, als ich ihn nicht mehr verheimlichen konnte. Meistens mit einem Kissen oder einer dicken Decke. In den ersten Wochen war es besonders schlimm, weil meine Mom mir etwas angesehen hat. Auf ihre Nachfrage hin, habe ich sie immer schnell abgewürgt und so getan als wäre alles in Ordnung.

Ich massiere meine Schläfen und sehe Sadie an. Sie hat mit allem Recht, was sie gesagt hat, aber das ändert nichts daran, dass ich nicht weiß, wie ich es ihnen sagen soll. Sie waren sowieso schon alle dagegen, dass ich Work & Travel in Europa mache. Wenn sie jetzt hören, dass ich den Großteil dieser Zeit kotzend über der Kloschüssel verbracht habe und schwanger allein in einem fremden Land, auf einem fremden Kontinent war, werden sie ausflippen. Und ich kann es absolut verstehen.

Als ich ihnen an Thanksgiving letztes Jahr verkündet habe, dass ich mein Studium pausieren möchte, um in Europa zu schauen, wohin mein Weg mich führt, waren Mom, John und Denver dagegen. Sie haben es mir bereits nach meinem Highschool-Abschluss ausgeredet. Damals noch erfolgreich. Madison, ihr Freund Fynn und Sienna haben sich für mich gefreut und mir gut zugesprochen. Letztendlich haben Mom, John und Denver ihren Segen gegeben.

Jake habe ich ein paar Tage vor meinem Abflug nach Bristol zum letzten Mal gesehen. Eigentlich wollte ich ihn nicht noch einmal wiedersehen, weil mich meine Abreise sowieso schon viel zu sehr aufgewühlt hat, aber er hat nicht lockergelassen. Schlussendlich habe ich nachgegeben, er hat mich abgeholt und wir sind zusammen etwas essen gegangen. Wir haben geredet, ein wenig in Erinnerungen geschwelgt und zum Schluss hat er mich nach Hause gebracht und mir eine gute Reise gewünscht. Bis zur letzten Sekunde habe ich gehofft, dass er mich bittet, zu bleiben. Doch Jake hat nichts gesagt. Er liebt mich nicht und er ist Denver gegenüber so loyal, dass er es nicht mal in Erwägung zieht, etwas Ernstes mit mir anzufangen. Für Sex hat es immer gereicht.

»Ach Phoe ...« Sadie streicht mir über den Rücken. »Es wird alles gut.«

»Hoffentlich«, schniefe ich und sehe sie an. »Ich ... ich habe keinen Job, kein Geld und ... und weiß nicht was ich tun soll, wenn sie mich rauswerfen.«

»Niemand wird dich rauswerfen«, sagt Sadie streng und schüttelt mit dem Kopf. »Deine Familie liebt dich und sie werden sich um dich und die Kleine kümmern. Ansonsten hole ich euch nach Melbourne.«

Ich muss lachen und lächle sie an. Jedes Mal, wenn ich wieder durchdrehe und denke, dass ich das alles nicht schaffe, bietet sie mir an, nach Australien zu kommen. Wir werden das Kind schon schaukeln, meint Sadie.

»Ich rede doch erstmal mit meiner Familie«, lehne ich ihr Angebot abermals ab. »Das wird schon ... irgendwie.«

Wenig zuversichtlich lächle ich meine Freundin an.

Das wird nichts werden.

Mom wird in Tränen ausbrechen und denken, dass mein Leben vorbei ist.

Denver wird mich so dermaßen zusammenscheißen, dass ich Frühwehen bekomme.

Madison wird sich freuen, dass sie Tante wird.

Und Jake ... Jake wird am besten niemals erfahren, dass es sein Kind ist.

Perfect Baby Deal (Band 3 / Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt