Der Fremde im Aufzug

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In mir brodelte der Hass. Ich versuchte ihn aus meinen Augen zu verbannen, doch ich spürte die heißen Flammen in mir aufsteigen. Meine Fähigkeiten Gedanken zu lesen breitete sich im Raum aus. Für mich fühlte es sich an wie Tentakel, mit denen ich in den Kopf von fremden Leuten sehen konnte. Das einzige, was mich davon abbrachte in Chesters Kopf zu sehen, war Ferenc, der neben mich trat und „Magistrat von Falkenstein", sagte und sich verbeugte.

„Wie geht es dir?", fragte Chester und wies auf die Sitzecke.

„Gut.", brachte ich hervor und ließ mich in das kalte Leder sinken. Ja, sehr viel besser, als Chester wahrscheinlich dachte. Und ihm würde es dafür bald umso schlechter gehen.

„Sehr schön.", entgegnete Chester. Ihn lächeln zu sehen war seltsam. Einerseits wirkte er wie ein gutmütiger älterer Mann, doch dann war da noch sein blutunterlaufenes rechtes Auge. Das Augenlied zuckte manchmal. 

„Wie sieht es mit den Unterlagen aus, die ich dir gegeben habe? Alle unterschrieben?"

Ich nickte und sah zu Ferenc, der den Umschlag in der Hand hielt.

„Und deine neue Identität? Wie kommst du damit klar?"

„Gut.", das war gelogen. Coco Stern. Ich hasste den Namen jetzt schon. Und meine Frisur auch.

„Hast du die Unterlagen über das Internat gelesen, die ich dir gegeben habe?", fragte er weiter.

„Ja.", langsam nervten die Fragen, „Ich habe alles gelesen. Wirklich alles."

„Dann weißt du bestimmt auch von der Private school."

Ich nickte. Die Private School war der Bereich der Schule, der zur Blood Society gehörte. Der Rest des Internats war offiziell nämlich für alle zugänglich, also auch für Menschen ohne Fähigkeiten.

„Gut.", Chester lächelte, „Ich bitte dich hiermit noch mal ausdrücklich dich an unser höchstes Gesetz zu halten. Die Geheimhaltung. Du hast es schon einmal gebrochen und ich möchte nicht, dass das ein zweites Mal passiert."

„Wird es nicht.", versicherte ich ihm, „Das war ein Fehler und Fehler mache ich nicht zwei Mal."

„Das Gesetz gilt vor allem auch hier in der Schule. Du sprichst mit niemandem über deine Fähigkeiten, bis du nicht ganz sicher weißt, dass er zur Private School gehört."

„Okay."

„Schön, dass wir das klären konnten.", Chester stand auf, „Du kannst morgen vorbei kommen und dir deinen Stundenplan abholen. Ferenc wird dir dein Zimmer zeigen."

Ich sah zu meinem Onkel. Er saß grade wie ein Stock da, erhob sich jetzt aber, „Ms Stern.", sagte er mit schneidend kalter Stimme, „Kommen Sie mit."

Ich schluckte und spürte, wie mein Herz ein wenig schmerzte. Das hier war ein Spiel, er meinte es nicht ernst, dennoch tat es weh. „Professor Grey.", erwiderte ich und erhob mich. Ab heute waren wir Fremde. Und damit hatte ich nun auch das letzte Mitglied meiner Familie verloren.

-

Der Flur wirkte kälter als eben. Und dunkler. Kaum war die Tür zum dicken Turm ins Schloss gefallen herrschte eine gespenstige Stille.

„Der Aufzug ist oben an der Empore.", sagte mein Onkel a.k.a. Professor Grey.

„Was ist mit den Koffern?", fragte ich. Meine Stimme klang dünn. Vielleicht war das gar nicht so schlecht, wenn man die schüchterne, neue Schülerin spiele. Wenn man Coco Stern spiele...

„Jemand wird sie dir nach unten bringen."

„Nach unten?"

„Die Zimmer liegen im Keller."

Guilty QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt