Elf

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Kapitel 11

Am nächsten Morgen geschah zweierlei. Zum einen wachte ich wie gerädert auf, fühlte mich krank, müde, völlig ausgelaugt und schaffte es aus eigenem Antrieb nicht aus dem Bett. Im krassen Gegensatz zu meiner eigenen Kraftlosigkeit jedoch schien Hyunjin dynamisch wie nie und voller Tatendrang. Konnte er nicht wie jeder andere normale Mensch, nach einer durchzechten Partynacht, ein wenig schwächeln? Nein, er sprühte regelrecht Funken vor Energie – vielleicht, weil er eben kein normaler Mensch war.

Grübelnd rollte ich mich in meinem Bett herum und dachte darüber nach. Gut, ich konnte akzeptieren, dass irgendetwas an ihm übermenschlich war, wenn man so wollte. Weniger im Superhelden-Style als viel mehr in einer unheimlich-mystischen Art. Und ich konnte wohl auch akzeptieren, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die ich weder verstand, noch von ihnen wusste.

Was ich allerdings so gar nicht begreifen konnte, war meine eigene fehlende Angst. Sicher, nach dem Vorfall gestern Nacht mit Minho, war mein Verstand fast ausgeflippt vor Panik, aber im Nachhinein fühlte sich das beinahe unwirklich an. Als wäre der Teil von mir, welcher dieses Ereignis so emotional bewertet hatte, abgeschaltet worden. Oder zur Aufbewahrung, gut verschlossen, an einen unbekannten Ort verbracht worden. Der verbliebene Teil schien das Erlebte bereits hingenommen und akzeptiert zu haben, dass es real war und es keine plausible Erklärung dafür gab. Selbst wenn ich jetzt daran dachte, wie sich dieser junge Mann vor meinen Augen in Aschewölkchen aufgelöst hatte, regten sich kaum Emotionen in mir. Mir wurde wieder flau, aber das war auch schon alles. Die Erinnerung verursachte mir Übelkeit, aber es schürte nicht die erwartete Angst, vor eben jenem Menschen, der – so wie es schien – dafür verantwortlich war.

Warum hatte ich keine Angst vor Hyunjin? Wie konnte ich all diese Dinge wissen und dennoch mit dieser Gelassenheit darauf hinabblicken? Und warum fühlte ich mich immer noch auf so unerklärliche Weise zu ihm hingezogen? Warum das Prickeln auf meiner Haut, das sehnsuchtsvolle Ziehen in meinem Unterleib, wenn ich nur an ihn dachte? War das wirklich alles, was mich noch ausmachte? War ich zu einer willigen Marionette ohne jegliche Selbstbestimmung geworden? Das wollte ich nicht glauben.

Seine ungeheure Wirkung auf mich war ungebrochen. Ich sehnte mich nach ihm, wenn er nicht da war, fühlte mich erst ruhig, wenn ich seine Nähe wahrnahm, fühlte mich begehrt, ja, auch geliebt und völlig zufrieden, wenn er mich ganz und gar vereinnahmte. Und das, obwohl mir mit jeder Faser bewusst war, dass er nicht der Mann war, für den er sich ausgab.

So, und das andere, was ich an diesem Morgen ganz exklusiv erleben durfte, war Hyunjins tatsächliche Verwandlung. Dachte ich zuerst nur, dass er einfach zu energiegeladen wäre für meinen Geschmack (und nach dieser desaströsen Nacht), konnte ich wenig später, beim Frühstück mit den anderen aus seinem inneren Kreis, wie ich es für mich nun nannte, feststellen, dass diese Kraft, dieses Feuer, ihm nicht nur symbolisch anhaftete. Nein, inmitten derer, die seine Basis bildeten – und dazu gehörte nun wohl auch ich – konnte man es wahrhaftig sehen, dass er sich verändert hatte. Spätestens jetzt konnte ich alle Ideen zu Spuk und Magie nicht mehr einfach so beiseiteschieben. Man spürte es, man sah es, es war greifbar geworden.

Er leuchtete, er strahlte, da war ein Glühen, aus seinem Inneren heraus, das einfach alles in den Schatten stellte. Seine Augen funkelten in einer Lebendigkeit, die mich beinahe unangenehm berührte, sorgte sie doch dafür, dass alles in mir vor Aufregung vibrierte. Entziehen konnte ich mich diesem Phänomen jedoch ebenfalls nicht.

„Felix..." Oh, dieses raue, begehrende Schnurren!

Seine Hände, warm und sanft, legten sich um mein Gesicht und seine Musterung gewann an Tiefe. Besorgt betrachtete er mich, strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, umfasste es erneut.

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