Kapitel 1

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Die Hände um einen Krug Rum gelegt, saß Cat auf einer der unzähligen Bänke in einer Taverne und beobachtete das Treiben um sich. Sie hatten Glück gehabt, weiter draußen auf hoher See war ihnen ein britischer Zweimaster zwischen die Finger gekommen. Sie hatten sich nicht nur mit Vorräten eindecken können, sondern hatten auch ein wenig Gold und Silber erbeuten können. Etwas, das die Crew in Feierlaune versetzt hatte und sie deshalb nun hier gelandet war.
Die Überreste besagten Schiffes dürften mittlerweile samt der Crew am Grund des Meeres liegen. Seufzend schüttelte die junge Frau den Kopf und fuhr sich durch die rotbraunen Haare, ihren Hut hatte sie neben sich gelegt.
Weiter weg sang und kippte ihre Crew den Rum. Sie feierten ausgelassen, sogar Rachel kam ein Lachen über die Lippen. Osvaldo und Ezio tranken an der Bar gemeinsam mit Grace, die wie immer dabei war die beiden Männer ohne Probleme unter den Tisch zu trinken.
Caitlyn nahm einen Schluck, stellte den Becher wieder ab und versuchte sich selbst an einem Lächeln. Sie hatten Erfolg gehabt, aber waren ihrem eigentlichen Plan keinen Schritt näher gekommen. „Ein bisschen Feiern würde dich nicht umbringen, Captain!" Cat hob den Kopf und sah in das fröhliche Gesicht ihres Quartiermeisters. Die glasigen Augen sprachen Bände und sie konnte nicht anders, als zu grinsen. Ehe sie sich versah, wurde sie auf die Beine gezogen, versuchte das Gleichgewicht zu halten und fand sich in den Armen des Älteren wieder. Man hörte einen Fiedler im Hintergrund seine Geige quälen und Cat beschloss, sich einfach darauf einzulassen.
Portland Bay war eine große Handelsstadt. Ein Handelshafen zwischen der Alten und Neuen Welt. Sie hatten abseits angelegt, um unentdeckt zu bleiben.
Piraten waren hier nicht gern gesehen. Das waren sie nirgends. Die Masse sah sie als Verbrecher, Mörder und Brandschatzer. Und zu großen Teilen waren sie das. Aber sie waren eben auch auf der Suche nach Gerechtigkeit.
Es wurde getanzt, getrunken – gefeiert. Und vielleicht hatten sie sich das verdient, auch wenn etwas viel Größeres vor ihnen lag.
Je länger der Abend wurde, umso diffuser wurde das Licht und umso schneller floss der Rum.
Über die Zukunft konnten sie morgen auch noch nachdenken.

***

Mit zitternden Händen umschloss Lexi die Schere und blickte in den Spiegel. Das sollte der Beginn ihres neuen Lebens werden. Dafür war sie bereit, Opfer zu bringen. Mit entschlossenen Bewegungen entledigte sich die Blonde ihrer Locken. Sie trauerte ihnen nicht hinterher. Mit jeder Strähne, die in die kleine Waschschüssel fiel, fiel ein großer Stein von ihrem Herzen. Davor hatte sie sich schon die alte Handelsuniform ihres Vaters habhaft gemacht. Genauso wie eine kleine Summe Geld. Seit dem Abend vor zwei Tagen hatte sie sich fieberhaft einen Plan zurechtgelegt. Und genau diesen setzte sie nun um – eifrig und vor allem akkurat. Lex hatte gewartet bis es still im Haus war, selbst die Bediensteten sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten. Wenn sie es nur aus diesem Haus schaffte, dann lag ihr die ganze große Welt offen. Dann konnte sie auch endlich irgendwo der Mensch sein, der sie war.Und nun stand sie da und blickte in den Spiegel. Das würde das Gesicht sein, dass ihr die Flucht ermöglichen sollte. Ein kurzes Grinsen huschte über ihre Lippen und sie zog sich den Hut ihres Vaters auf. Ihre Umhängetasche war gepackt, die Entscheidung endgültig getroffen. Mit eiligen Schritte verließ sie ihr Elternhaus, vergeudete keinen Blick zurück und fand sich schnell in den dunklen Gassen der Stadt wieder, die sie hinter sich lassen wollte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die frühen Morgenstunden anbrachen und die ersten Sonnenstrahlen herauskommen würden. Dann wäre sie bereits am Hafen und vielleicht, mit ein wenig Glück, schon auf einem Schiff, das sie von hier wegbrachte.


*** 

Die ersten Sonnenstrahlen weckten Cat, gefolgt von leicht dröhnenden Kopfschmerzen. Die Nacht war lang und zu kurz gewesen. Man hörte, wie sich in der Taverne einzeln Menschen zu regen begannen. Das gleichzeitige Stöhnen bestätigte dem Captain, dass es den anderen ging wie ihr selbst. „Insofern hier keiner mehr etwas bezahlt, sieht zu das ihr Leine zieht!" Die laute Stimme dröhnte im Kopf der jungen Frau und sie suchte die Quelle dieser Belästigung. „Halt doch die Schnauze, wir sind doch gleich weg!" Das war eindeutig Rachel gewesen und sie hatte nicht die besten Laune. Offenbar hatten sie die Nacht hier verbracht und der Wirt hatte genug von ihnen. Unter Ächzen und Beschwerden rappelte sich die Mannschaft der Flying Horse auf die Beine und wankte mehr schlecht als recht aus der Taverne. Die aufgehende Sonne brannte in den Augen und erst durch mehrmaliges Blinzeln konnte Cat ihre Umgebung wahrnehmen. „Sehen wir zu das wir an Board kommen, Leute" Caitlyn tippte sich gegen den Hut, atmete einmal durch und versuchte einen Fuß nach den anderen zu setzen. Zustimmendes Murmeln war zu hören und der Captain war froh, bald von Land gehen zu können. Schon als sie am Hafen waren, machte sich bessere Laune in der Crew bemerkbar. Der Geruch von Meer und Schiffslack belebte die Sinne. Mit etwas besserer Laune als noch zuvor marschierte die Truppe den Hafen entlang, nachdem sie an Land gerudert waren und ihr Schiff ein wenig außerhalb vor Anker lag. Man hörte Kaufleute, Schiffskapitäne und Hafenangestellte durcheinander schreien. Befehle wurden gegeben und Verhandlungen geführt. Es war Emilio, der sie am Ende auf etwas aufmerksam machte, dass sie beinah übersehen hätte. „Was hast du zu sagen, Milo?", fragte sie, als der Junge an sie herantrat und ihr zu verstehen gab, dass er etwas entdeckt hatte. Der Kleine war an Land zu ihren Augen und Ohren geworden. Wenn etwas passierte, dass ihr Interesse haben könnte, dann wusste Milo davon. „Ich denke da drüben gibt es interessante Arbeit für uns, Captain!" Emilio grinste über beide Ohren und irgendwie hatte Cat das Gefühl, das der Junge recht haben könnte. „Komm schon, raus mit der Sprache.", kam es schließlich von Grace, die hinter ihr gestanden hatte. „Da sucht jemand nach genau dem selben Ding wie wir!" Ein verschwörerisches Grinsen lag auf den Lippen des jüngsten Crewmitglieds. Cat hingegen entglitten die Gesichtszüge. Warum sollte jemand nach diesem Kompass suchen? „Wo?", kam es zuerst von Caitlyn, die plötzlich sehr aufgeregt schien und Milo beinah schon drängte. „Da drüben – scheint ein junger Forscher zu sein, oder so etwas." So genau hörte Cat ihm schon gar nicht mehr zu, sie gab Emilio zu verstehen, dass er ihnen zeigen sollte, wohin sie musste. Keine 300 Meter weiter, schien ein junger Mann gerade im Gespräch mit jemandem der Überfahrten organisierte. Cat konnte nur grinsen – das würde ein leichtes Spiel werden. Sie setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, räusperte sich kurz und hakte sich von hinten direkt in den Arm des jungen Mannes. „Wie ich mitbekommen habe, suchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?", fragte sie gestellt zuvorkommend und hatte das Gefühl, das an dem Kerl neben ihr irgendwas nicht stimmte. „Äh .. Ich meine – Ja natürlich!" Es schien, als würde der junge Mann um Fassung ringen, aber das sollte ihr in die Karten spielen. „Kommen Sie mit..." Cat hielt in am Arm beinah fest, führte ihn weg und ein wenig abseit. Der Rest hatte sich schon auf den Weg zum Schiff gemacht, das hier wollte Cat alleine in Augenschein nehmen. „Sie suchen also nach Lorranas Kompass, ja?" Cat versuchte, ruhig zu bleiben, sachlich. Dieser Kompass war mehr eine Legende, eine nach der Cat nun schon sehr lange suchte. „Ich bin Forscher und nun auf der Suche – mein Mentor ist daran gescheitert und nun liegt es an mir..." Irgendetwas an dieser Geschichte ließ bei Caitlyn die Alarmglocken angehen, sie wusste nur noch nicht, was es war.


„Sagen wir so Mister Forscher – ihre Suche nach einer Mitfahrgelegenheit ist damit beendet."

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