Münchhausen-by-proxy

31 0 0
                                    

In einem moosgrünen Trenchcoat und mit hautfarbenen Latex-Handschuhen, die etwas zu eng waren für seine kräftigen Hände drehte der Fremde sich um und schaute in den steril-grauen Untersuchungsraum. Seine Lebensgefährtin auf der Untersuchungsliege, ihre Krankheit das gemeinsame Projekt. Unter buschigen Augenbrauen und einem federigen Haarkranz blitzen seine Augen voller Enthusiasmus, Wahnsinn, Freude?

Der Arzt hatte den Stoma Beutel abgehängt, und beäugte besorgt die entzündete umgebende Haut, ein wütendes Rot vor der blassen Bauchdecke. Die Fotodokumentation der Behandlung hatte der Arzt abgelehnt, war sogar richtig aufbrausend geworden als die Kamera hörbar ausgelöst hatte. Ob er ihm erlaubt habe hier zu fotografieren? Dass er das Foto gefälligst sofort löschen sollte. Vielleicht etwas überzogen, aber der fremde Mann im Zimmer seiner Patientin war ihm nicht geheuer. In welcher Beziehung sie zueinander stünden hatte er gefragt und sie hatte umschweifend geantwortet, dass der Herr sie nun schon seit vielen Jahren begleite - befremdlich, dass sie und der Mann der wahrscheinlich ihr Lebenspartner war einander trotzdem siezten.

Wie fasziniert er die Wunde anschaute und darauf zu warten schien, dass man ihn aufforderte den neuen Beutel anzulegen - fast besorgniserregend zärtlich, sein Bericht, wie er sie sonst verpflegt. Wie er an dem vorgefallenen rosa-farbenen Darmstumpf entlang streicht, ihn reinigt und in die Bauchhöhle massiert, bevor er ihn sorgfältig in den neuen Stoma Beutel verpackt. 

Aber warum die entzündete Haut, trotz so viel Zärtlichkeit und Sorgfalt? Warum wurde die alte Dame vom offensichtlich fachfremden Mann statt ihrem Pflegedienst an der empfindlichen Stelle versorgt? Und warum hatte er so ein beklemmendes Bauchgefühl?

Den neuen Beutel passte der Arzt nach der Untersuchung selber an, ignorierte den Fremden, der immer noch behandschuht in den Startlöchern stand. Er hoffte seiner Patientin für eine Weile Linderung zu verschaffen und beriet sie, künftig nur ausgebildetes Pflegepersonal an das Stoma und die empfindliche Haut zu lassen. Ein vorsichtiger Tanz, um niemandem auf die Füße zu treten, um die eindrückliche Empfehlung auszusprechen.

Beim Verlassen des Behandlungsraums war der Arzt verwirrt, fühlte sich unbehaglich. "Münchhausen-by-proxy" murmelte er zu niemand bestimmten, in Gedanken beim auffälligen Hautbefund, der so nicht entstehen sollte und bei dem cartoon-artig fehlplatzierten moosgrünen Mann im sterilen grau der Notaufnahme. Er nahm sich vor, den Fall im Blick zu behalten, doch eine Stunde später war der Mann im Trenchcoat fast vergessen, überschrieben von neuen Patient*innen, neuen Feuern die es zu löschen galt.

MomentaufnahmenWhere stories live. Discover now