➳ 𝟐. 𝑭𝒂𝒎𝒊𝒍𝒚 𝒇𝒊𝒓𝒔𝒕

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Auch, wenn ich häufig Kleider trug, fühlte ich mich heute wie ein trotziges Kind, das sich von seiner Mutter nicht vorschreiben lassen wollte, eins anzuziehen. Es war fast nostalgisch, dass meine Mutter irgendwann einfach in mein altes Kinderzimmer gekommen war, um mich zu fragen, was ich anziehen wollte.

Ich hatte mir zugegebener Maßen diesbezüglich noch keine Gedanken darüber gemacht. - In den letzten Stunden hatte ich meine Sachen ausgeräumt und anschließend in meinen alten, eingestaubten Sachen gestöbert. Neben alten Büchern, die ich irgendwann mal gelesen haben musste, fand ich auch Skizzen - oder mehr Kritzeleien, die ich meistens gezeichnet hatte, während ich auf dem Fußboden gesessen hatte.

Deshalb hatte ich meiner Mutter eine einfache Hose und ein schickeres Oberteil unter die Nase gehalten, woraufhin sie nur das Gesicht verzog und in meinen mitgebrachten Klamotten zu wühlen begann.
Irgendwann, nachdem sie so ziemlich jedes Kleidungsstück kommentiert hatte, drückte sie mir ein dunkelblaues Kleid in die Hand, mit den Worten, dies anzuziehen.

Für einen Moment hatte ich überlegt, mit ihr zu diskutieren, schließlich hatte ich keine Lust, auf ein Kleid, doch ich wollte nicht direkt am ersten Tag meiner Heimkehr Streit anfangen.

So lag also das Kleid auf meinem Bett und wartete darauf, angezogen zu werden. Ich hatte mich noch für einige Minuten in das Wohnzimmer gesetzt, um mich ein wenig mit meinem Vater zu unterhalten, der mir vor allem von den letzten Ergebnissen der AS Monaco erzählte. Früher hatten wir gemeinsam immer alle Spiele geschaut, waren sogar einige Male im Stadion, doch seitdem ich nicht mehr Zuhause wohnte, verfolgte ich es nicht weiter.

Die Erzählungen meines Vaters wurden unterbrochen, als es an der Tür klingelte. Es war das altbekannte Klingeln, was mich im Kindheitsalter dazu gebracht hatte, zur Tür zu rennen, um ja diejenige zu sein, die die Tür öffnete. Voller Vorfreude und Neugier, zu wissen, wer der Besucher war.

Das hatte sich wohl offensichtlich im Laufe der Jahre mehr und mehr geändert, als ich meiner Mutter dabei zuschaute, wie sie zur Tür ging, und diese öffnete. Als mein Vater einen Blick auf die Uhr warf, sich anschließend aus dem Sessel erhob, wusste ich, wer gekommen war. Und plötzlich war die Vorfreude, die ich in Kindheitstagen gespürt hatte, wieder da.

Ich rannte die Treppen hinunter, in einem Tempo, welches meinen Eltern Angst machte, ich würde gleich stolpern und die nächsten Stufen eher hinunterrutschen, anstatt sie hinunterzugehen.

„Damien!", rief ich erfreut, als ich meinen älteren Bruder sah, der bereits seine Arme ausstreckte, um mich zu begrüßen. Diese Geste erwiderte ich mit Freude - und ich genoss es, mich für einen kurzen Moment wieder wie ein Kind zu fühlen.

„Na Zwerg", begrüßte der braunhaarige Lockenkopf mich und wuschelte mir durch meine - zum Glück noch nicht gemachten - Haare. Genervt versuchte ich nach seiner Hand zu greifen, um ihn davon abzuhalten, weiterzumachen, als ich die junge Frau neben ihm entdeckte. Irritiert verharrte ich, was Damien glücklicherweise dazu brachte, ebenfalls aufzuhören.

Die Rothaarige lächelte mir schüchtern entgegen und streckte mir anschließend die Hand entgegen.
„Hey, ich bin Giselle." Ihre Stimme war sanft und passte zu ihrem ruhigen Erscheinungsbild. Doch mich verwirrte die bloße Anwesenheit der Fremden. Hatte ich was verpasst?

„Maribel, das ist meine Freundin", erklärte Damien, wobei sein Unterton vorwurfsvoll klang, nach dem Motto: 'Stell dich nicht so dumm an, Maribel. Wer sollte es auch sonst sein?' - Ja, wer sollte es auch sonst sein? Er würde ja wohl kaum jemand anderen mitbringen.

„Ehm, Hi, freut mich dich kennenzulernen." Es war das Einzige, was ich zu ihr sagte, während ich ihre Geste erwiderte und ihr zur Begrüßung die Hand schüttelte.

Mittlerweile waren auch meine Eltern unten angekommen, die im Gegensatz zu mir, in einem normalen Tempo die Treppen heruntergelaufen waren, und begrüßten die zwei Eingetroffenen.
Erstaunlicherweise wirkten sie ganz und gar nicht überrascht davon, dass Damien seine Freundin mitgebracht hatte oder von der Tatsache, dass er überhaupt eine Freundin hatte.

„Komm wir gehen nach oben, dann könnt ihr euch frisch machen, ehe wir essen gehen." Meine Mutter strahlte, als nun beide ihrer Kinder anwesend waren. Oder strahlte sie, weil sie sich auf das Essen freute?

Jedenfalls scheuchte sie uns daraufhin schon fast nach oben, während Damien und mein Vater die Koffer nach oben trugen. Ich wollte ebenfalls helfen, doch wurde, wie vorhin, schon ignoriert.

So ging ich, hinter meiner Mutter und Giselle nach oben, die sie sich über die Hinreise unterhielten. Ich versuchte, dem Gespräch zu lauschen, doch meine Gedanken waren bereits einen Schritt weiter und ich überlegte, wie viel Mühe ich mir tatsächlich machen sollte, mich fertigzumachen. Die Frage war vor allem, ob ich meine Haare machen sollte oder ob Kämmen genüge?

Schlussendlich hatte ich mich dafür entschieden, leichte Wellen in meine Haare zu machen, schließlich hatte mich meine Mutter bereits zum Kleid gedrängt, weshalb ich vermutete, dass es ein etwas schickeres Restaurant sein würde.

Als ich meine Eltern, Damien und Giselle sah, wusste ich, dass dem so sein musste. Aber nun gut, war das schließlich so besonders in Monaco?
Vermutlich eher nicht.

Deshalb wunderte ich mich auch gar nicht, als wir einige Zeit später, vor dem edlen Restaurant zum Stehen kamen.
Es war ein typisches Restaurant hier in Monaco, die Autos, die davor standen, waren vermutlich allesamt teurer als mein ganzer Besitz (- wobei ich tatsächlich gut verdiente).

Wir wurden bereits vor dem Eingang begrüßt, ehe uns die Tür geöffnet wurde. Kaum hatte ich das Restaurant betreten, ertönten leise Geigenklänge aus den teuren Boxen. Ich schaute mich um, während mein Vater sich mit einem der Servicekräfte unterhielt, der uns daraufhin zu einem Tisch geleitete.

Ich war vollkommen von der Einrichtung fasziniert, - die Möbel waren rot und bildeten somit einen edlen Kontrast zu der sonst weißen Einrichtung, mein Highlight waren die Kronleuchter, die schön funkelten, - dass ich gar nicht bemerkte, wie wir an einem Tisch ankamen, an dem bereits Leute saßen.

Mein Blick wanderte von der Einrichtung hin, zu den bekannten Gesichtern, die meine restliche Familie bereits herzlich begrüßten. Das Lächeln auf meinen Lippen schien zu verschwinden, als ich realisierte, wer mit uns am Tisch saß.

Ich war wie versteinert und erwachte erst wieder, als ich von Pascale in eine Umarmung gezogen wurde, welche ich nur halbherzig erwidern konnte, bevor sich mein Blick zum ersten Mal mit seinem kreuzte.

SOME SAY - charles leclercWo Geschichten leben. Entdecke jetzt