Leidensweg

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Mein Onkel wollte uns nicht mehr in der Wohnung haben. Wir sind in ein kleines Dorf, ganz weit weg von unserem Zuhause, gezogen. Die Nachbarn sind gruselig. Der Hausflur ist gruselig. Wir müssen sehr früh aufstehen, damit wir Kinder pünktlich zur Schule kommen. Es ist der dritte Advent. Auf dem Schultisch liegen Adventskalender und mein Sitznachbar spielt mit dem heißen Wachs. Das tut doch weh? Er will, dass ich ihm nachmache. Das Kerzenwachs ist aber heiß. Er erinnert mich an Baba. Baba hat sich auch immer heiße Sachen an die Haut gepresst. Widerwillig mache ich meinem Schulkameraden nach. Und irgendwie mag ich das Gefühl des Wachses an meinen Fingern. Er ist so weich. Er lenkt mich ab. Meine Lehrerin schreit mich wieder an. Dieses Mal bin ich so müde, so hungrig und so geladen, dass ich sie zurück anschreie. Ich hasse Schule. Ich hasse Schule!

Weil es Winter ist, wird es draußen schneller dunkel, deshalb kann ich die Uhrzeit nicht einschätzen. Meine Geschwister und ich teilen uns alle das Wohnzimmer, weil die Wohnung so klein ist. Die offene Küche stinkt, doch es riecht nicht nach Mamas Zigaretten. Es stinkt nach Etwas anderem. Das kenne ich nicht und gesehen hab ich es auch nie. Mama versteckt es vor uns. Im Fernseher läuft eine komische Sex-Werbung, die ich nicht weg schalten kann, weil ich dafür die Fernbedienung brauche, dessen Batterien leer sind. Später stehe ich ganz leise auf und schalte Bernd das Brot ein. Er ist gruselig, aber besser als die ganzen nackten Frauen. Irgendwann verschwindet Mama aus der Küche. Das ist meine Chance. Ich habe Hunger bekommen. Im Kühlschrank finde ich diese Grobatschov-Flasche. Sie stinkt. Ich hasse sie. Wenn Mama das trinkt, wird sie wütend. Ich will nicht, dass sie wütend wird. Es tut weh. Mein Körper tut weh und auch mein Herz. Mama soll wieder Mama werden. Ich kippe den Inhalt der Glasflasche in die Spüle, fülle sie wieder mit Wasser auf und stelle sie an exakt die selbe Stelle im Kühlschrank wieder zurück.

Und am nächsten Morgen schlägt Mama mich so stark, dass ich ein für alle Mal still werde.