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Nur kurze Zeit später stand sie vor der Tür zu Prus Zimmer, balancierte das Tablett auf einer Hand und klopfte mit der anderen dreimal gegen das Holz.
„Herein", ertönte es von innen.
Medaya drückte die Flügel auf, trat in den Raum und schloss die Tür wieder. In der Mitte des Zimmers saßen Pru und Eugenia auf dem Sofa, die Zofe kämmte der Prinzessin gerade das Haar.
„Der Tee ist fertig", verkündete sie und schritt zu ihnen. Vorsichtig stellte sie das Tablett auf dem niedrigen Tisch vor ihnen ab und schenkte zwei dampfende Tassen voll. Der Duft nach Apfelblüten verbreitete sich im Raum.

Pru lächelte. „Danke, Medaya."
Die alte Zofe lächelte zurück und wandte sich wieder zum Gehen, da räusperte Eugenia sich verlegen. „Könntest du mir vielleicht kurz helfen?", fragte sie.

Medaya nickte und setzte sich neben sie, musterte die Haarsträhnen, die Eugenia getrennt hatte. „Was möchtest du denn machen?"
Das Mädchen biss sich peinlich berührt auf die Lippe. „Die Berg-Lilie. Aber ich schaffe es irgendwie nicht."

Die alte Zofe verspürte einen kleinen Stich im Herzen. Diese Frisur hast du ihr auch immer gemacht. Sie konnte verstehen, warum Eugenia diese Frisur gewählt hatte. Die Berg-Lilie war eine wunderschöne Anordnung, die der Trägerin jedoch genug Freiheit ließ, selbst den Wind in den Haaren zu spüren, was bei vielen anderen Frisuren nicht der Fall war. In der Sprache der Blumen symbolisierte sie Freiheit – und Liebe.
Für einen Moment drohten die Erinnerungen, sie zu überwältigen, die Augenblicke, in denen sie ihrer großen Liebe die Haare geflochten hatte, während der Wind im Gras um sie wogte und die Vögel in den Bäumen über ihnen sangen.

Sie schüttelte sie ab und lächelte stattdessen. „Das ist kein Wunder. Die Berg-Lilie ist äußerst kompliziert. Aber du hast Glück, ich weiß genau, wie man sie macht."
Pru hielt still, während Medaya die junge Zofe anwies, bestimmte Strähnen für sie zu halten und selbst begann, die unteren Strähnen geschickt miteinander zu verflechten. Es bedurfte keiner Worte, um Eugenia weitere Anweisungen zu geben, sie verstanden sich schweigend und arbeiteten Hand in Hand. Mit jeder Strähne, mit jeder Haarblüte, die sie aufsteckten, spürte Medaya, wie sie ruhiger wurde, entspannter, als kämen all die schönen Gefühle von damals zurück. Strähne für Strähne bildete sich die Lilie heraus, sanft mit Klammern zurückgehalten, das Haar darunter fiel Pru nach wie vor seidig über den Rücken. Im Licht wirkten ihre roten Locken, als würden sie glühen, verliehen der Blütenfrisur den Eindruck, sie sei eine Blume aus Feuer.
Sie hörte wieder das Blätterrauschen, spürte die weiche Erde unter ihren Füßen, hörte, wie das Lied von damals in ihrem Herzen erwachte. Sie roch das Harz der Bäume, erinnerte sich an das Lichtspiel in den Zweigen.

„Was summst du da?", Prus Stimme riss sie zurück in die Gegenwart. Medaya zuckte zusammen und ließ beinahe eine Haarnadel fallen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie begonnen hatte zu summen. Unser altes Lied.
„Ein Lied, das ich früher oft gesungen habe", antwortete sie und steckte die letzte Nadel in ihr rotes Haar. „So, fertig."
Die Prinzessin drehte sich neugierig zu ihr um. „Du hast früher gesungen? Ich habe dich noch nie singen gehört."
„Ja", Medaya lächelte, eine Spur Sehnsucht glomm in ihr auf. „Das ist lange her, lange, bevor ihr beide überhaupt geboren wurdet."
Eugenia musterte sie neugierig. „Warst du da hier schon Zofe?"
„Ja, gerade frisch angenommen. Aber du kennst die Situation vermutlich, nicht wahr?", meinte sie. „Wenn ihr wollt, kann ich euch eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, aus der dieses Lied stammt."
„Oh ja!", Pru war sofort begeistert, auch Eugenias Augen funkelten vor Neugierde.
Die alte Zofe lächelte. „Dann macht es euch bequem."
Pru kuschelte sich wie selbstverständlich an Eugenia, die vorsichtig ihren Arm um sie legte. Medaya wurde warm ums Herz.


Medaya - A cruel kingdom fanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt