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Medaya atmete.
Süße, kühle Luft entfaltete sich in ihrer Lunge, vertrieb die stechende Erinnerung an das Wasser. Dumpfe Stimmen erklangen um sie herum, als wären sie weit weg.
War das die andere Seite?
Medaya öffnete die Augen, gleißend helles Licht blendete sie. Blinzelnd drehte sie sich auf die Seite, ihre Muskeln schrien vor Schmerz auf. Durfte sie überhaupt noch Schmerz spüren?
„Sie ist wach", ertönte eine raue Stimme. Schritte. Jemand kam näher.
Medaya zwang sich, den Kopf zu heben, den kleinen Raum zu betrachten, in dem sie auf einem Strohsack am Boden lag. Das Licht kam von mehreren Kerzen, die zusätzlich etwas Wärme spendeten.
Vor ihr stand ein Mann mit einem kantigen Gesicht und hellen Augen, gehüllt in die einfache Kleidung eines Fischers. Hinter ihm standen eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm, das sie verschreckt ansah.
Der Mann beugte sich zu ihr hinunter. „Kannst du mich hören?"
Medaya richtete sich unter Protest ihres gesamten Körpers in eine sitzende Position auf. „Ja", flüsterte sie heiser. „Wo bin ich? Was ist passiert?"
Erleichterung huschte über das Gesicht des Mannes. „Du bist in Sicherheit, wir sind hier in einem kleinen Fischerdorf. Wir haben dich aus dem Fluss geholt, als du angespült wurdest."
Medaya musste husten, aber es war kein Wasser mehr in ihren Lungen. „Wer seid ihr?"
„Ich bin Falyn", meinte er der Fischer und zeigte dann auf die Frau. „Das ist meine Ehefrau Helia. Und unser Sohn Pakun." Der kleine Junge winkte zögerlich. Sie musste lächeln.
„Ich bin Medaya."
„Kannst du uns sagen, warum du im Fluss warst?", fragte Falyn vorsichtig. „Als wird dich rausgezogen haben, hast du gehustet, als hättest du das gesamte Wasser eingeatmet. Danach hast du nach einer Königin geschrien."
Jetzt erinnerte Medaya sich wieder, die unsichtbaren Hände, die zu echten Menschen geworden waren. Wie sie gewürgt und gehustet hatte, um Luft ringend. Wie sie sich gekrümmt hatte, orientierungslos, ihre Welt war kalt, so unendlich kalt. Wo war Leyni? Sie hatte geschrien, nach ihr gerufen, gebettelt, sie möge zu ihr kommen.
„Ich...", sie schloss für einen Moment die Augen und atmete einmal tief durch. „Danke, dass ihr mich gerettet habt." Sie sah auf zu Falyn. „Ich wurde in den Fluss geworfen, weil ich mich geweigert habe, jemanden zu verraten."
Unzählige Fragen standen in die Gesichter des Fischers und seiner Frau geschrieben, aber sie drängten sie nicht weiter nach einer Antwort.
Ich lebe, dachte sie. Ich habe das Unmögliche überlebt.
Kaum merklich streifte ein Luftzug ihre Wange, fast wie ein gehauchter Kuss. Leynis sanfte Stimme hallte in Medayas Kopf wieder, ihr Lächeln blitzte vor ihrem inneren Auge auf.
Vielleicht hatte Leyni sie beschützt. Vielleicht war Medayas Zeit noch nicht gekommen. Ihr war noch eine Chance auf ein neues Leben geschenkt worden.
„Du darfst hier bleiben, bis du dich erholt hast", meinte die Frau, ihr Mann nickte. „Was danach kommt, das entscheiden wir später."
Dankbarkeit erfüllte Medaya und sie schenkte ihnen die liebsten Worte, die sie kannte. In den folgenden Tagen half sie so gut mit, wie sie konnte, kümmerte sich um den kleinen Jungen und verrichtete jede Arbeit, für die sie stark genug war. Allmählich kehrte immer mehr Kraft zurück in ihre Glieder und sie begann, sich zu fragen, was sie tun sollte, wenn sie wieder vollständig auf den Beinen war. Sie konnte unmöglich bei dem Fischerspaar bleiben, so nett sie auch waren. Wenn irgendwann herauskam, dass Medaya noch lebte, wollte sie nicht, dass diese unschuldigen, anständigen Menschen die Strafe dafür tragen mussten.

Und so ging sie, sobald sie konnte, verabschiedete sich mit leisen Worten, Dank und dem Versprechen, dass sie zurecht kommen würde.
Als sie das Fischerdorf hinter sich gelassen hatte, im Schutz der Dämmerung, führten ihre Schritte sie Richtung Norden. Sie wusste nicht, warum, aber es fühlte sich richtig an. Hatte Eugenia vielleicht einmal erwähnt, dass sie von dort kam?
Sie bezweifelte, dass sie den Widerstand finden konnte, selbst wenn sie nach ihm suchte. Es gab schließlich einen Grund, warum er schon so lange unauffindbar war.
Trotzdem ließ Medaya sich nicht von ihrem Weg abbringen, setzte stur einen Fuß vor den anderen. Ihre Reise dauerte lange, irgendwann fand sie Reisegefährten mit einem Wagen, die so gütig waren, sie mitzunehmen, als sie ihnen erzählte, sie sei eine alte Frau auf dem Weg zu ihrem Geburtsort, um noch einmal in Kindheitserinnerungen schwelgen zu können, bevor sie sich von der Welt verabschiedete.
Sie bezahlte sie mit den wunderbarsten Lügen über Reisen, von denen Leyni ihr manchmal vorgelesen hatte, die sie aber nie erlebt hatte.
Manchmal spürte sie einen sanften Windhauch an einem sonst windstillen Tag, und dann wusste sie, dass Leyni an ihrer Seite war, wohin sie auch ging.
Tagelang waren sie unterwegs, Medaya wusste nicht einmal mehr, wo sie sich befanden. Von diesen Orten hatte sie immer nur gehört, aber jetzt sah sie diese Welt mit eigenen Augen, anstatt mit Tinte auf Pergament gebunden.

Medaya - A cruel kingdom fanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt