Verpflichtungen

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Erschöpft ließ sie sich auf dem schmalen Bett nieder und blickte in das unschuldige Gesicht ihrer Tochter. 'Wann ist sie nur so schnell groß geworden?' Sie strich ihr sanft durch die welligen Haare und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor sie sich erhob, vorsichtig die Türklinke hinunter drückte und durch die Tür verschwand. Sie betrat den Flur, der von der Deckenlampe erhellt wurde, blickte nach oben. Der grelle Lichtstrahl blendete sie. Sie ließ sich mit dem Rücken gegen die nun geschlossene Tür fallen und seufzte. Sie war erschöpft. Erschöpft von der langen Reise, den vielen Terminen und dem großen Druck, der tagtäglich auf ihren Schultern lastete. Langsamen Schrittes ging sie die knarzende Treppe nach unten, an dessen Fuße er schon sehnsüchtig auf sie wartete. Ihr Fels in der Brandung, ihr bester Freund, ihr Seelenverwandter. Der Mann, in den sie sich vor mehr als 16 Jahren verliebt hatte, den sie geheiratet und mit dem sie eine Familie gegründet hatte. Als sie neben den beiden Weingläsern, die er in seinen Händen hielt, sein ehrliches Lächeln registrierte, überspielte sie ihre Müdigkeit und rang sich ebenfalls zu einem nicht ganz so ehrlichen Lächeln durch. Nun stand sie also vor ihm. Ihre kurzen dunkelbraunen Haare waren zu einem kleinen Zopf am Hinterkopf zusammengebunden, einzelne Strähnen fielen allerdings in ihr Gesicht. Sie blickte an sich hinunter. Dabei lösten sich einige Haarsträhnen aus ihrem Zopf und fielen ihr prompt ins Gesicht. Ihr Blick traf ihre Kleidung und sie bemerkte, dass sie sich noch gar nicht umgezogen hatte. Als sie wieder aufsah und einen Schluck Wein aus dem Glas trank, das ihr ihr Gegenüber entgegenstreckte, fiel ihr das Geschirr auf, das noch auf dem Balkon stand. Ihre Stirn legte sich in Falten. ‚Die Arbeit hat wohl nie ein Ende.' dachte sie sich, während sie den Mann nun außer Acht ließ, sich Richtung Balkontür begab, diese öffnete, hinaustrat und kurz verweilte. Dass seine Augen stetig auf sie gerichtet waren und ihr Blick ihrem Handeln aufmerksam folgte, bemerkte sie nicht. Ein tiefer Atemzug. Sie schloss die Augen und lauschte den Geräuschen der Blätter, die vom kühlen Wind hin- und her gewogen wurden. Und noch ein Atemzug. Ihre Lungen füllten sich mit frischer Luft und beinahe vergaß sie, weshalb sie eigentlich hier draußen stand. Sie öffnete die Augen und sah den Schatten, den die Silhouette des Mannes auf den Balkonboden warf, der sich ihr von hinten näherte. Plötzlich spürte sie eine große Hand, die ihre Taille berührte und den warmen Atem an ihrem Hals. „Wir haben dich vermisst. Und ich ganz besonders." flüsterte er in ihr Ohr. Ihr wurde bewusst, dass der Abend gerade erst anfing. Zugegebenermaßen anders als sie gehofft hatte. Doch der Druck, der mittlerweile zu ihrem ständigen Begleiter geworden war, ließ auch hier nicht von ihr ab. Sie hatte diesen Job gewollt, ebenso wie sie Familie und einst diese Ehe gewollt hatte. Alles drei bringt Pflichten mit sich, denen es nachzukommen gilt. Egal ob ihr danach ist oder nicht. Die Lippen neben ihrem Ohr, die sie gerade an diese Verpflichtung erinnert hatten, wanderten nun zu ihrem Nacken und hinterließen zwei sanfte Küsse auf der empfindlichen Stelle. Mit der einen Hand verweilte er weiterhin auf ihrer Taille, mit der anderen löste er das Haargummi aus ihren Haaren. Dies war der Moment, als er sie schwungvoll zu sich umdrehte. Allerdings vergaß er das Glas, das sich immer noch in ihrer Hand befand und dessen Inhalt sich nun auf ihrer Bluse verteilte. Entsetzt schaute sie an sich herunter. ‚Auch das noch...' Doch er grinste nur und zog sie näher an sich heran. „Das mache ich wieder gut. Ich versprech's dir." versicherte er ihr, bevor er seine Lippen mit ihren verband.

Er zog sie an den Händen wieder in das Innere der Wohnung. Sie ließ es zu – wie noch so vieles diese Nacht. Ihre Gedanken kreisten weiterhin um das Geschirr auf dem Balkon, welches nur darauf wartete, in die Spülmaschine gebracht zu werden und um den riesigen Rotwein-Fleck, der nun ihre schöne neue cremefarbene Satin-Bluse ruiniert hatte. Erst als sie von dem Mann mit ihrem unteren Rücken gegen eine harte Fläche gedrückt wurde und er seine Lippen auf die ihren presste, merkte sie, dass sie sich mittlerweile im Esszimmer befanden. Sie kopierte seine Bewegungen. Plötzlich spürte sie einen festen Griff um ihre Oberschenkel und wurde mit einem Ruck von ihm auf den Esstisch manövriert. Nachdem seine Lippen für kurze Zeit an ihren Hals gewanderte waren, stellte er dies ein und widmete sich den Knöpfen ihrer Bluse. Einer nach dem anderen wurde von ihm geöffnet. Und nach jedem geöffneten Knopf folgte ein einzelner Kuss auf ihre nun freiliegende Haut. Sie legte ihre Hände in seinen Nacken und streichelte seinen Hinterkopf. Sie sollte es genießen, seine Hingabe und seine Aufmerksamkeit. Sie sollte ihn genießen. Und sie bemühte sich – Pflichtbewusst wie sie eben war. Am letzten Knopf angekommen, zog er die Bluse aus dem Bund ihres Rockes und streifte sie langsam mit samt den Trägern ihres BHs an ihren Schultern herab. Ihr weißer Spitzen-BH kam nun zum Vorschein. Mit der Rückseite seiner Finger strich er dem Rand ihres BHs entlang. Mit ihren Handflächen stütze sie sich auf der Tischplatte ab und ließ ihren Kopf in den Nacken fallen. Sie wusste, dass diese Bewegung ihm gefallen und er sich in seinem Tun bestätigt fühlen würde. Sie hatte Recht. Sie kannte ihn eben. Hastig schob er ihren Rock nach oben, hakte seine Finger in ihrem Slip ein und zog ihr diesen auch schon hinunter. Im gleichen Atemzug griff er nach dem Bund seiner Hose und nachdem er eilig den Gürtel von seinem Hosenbund gerissen hatte und diese samt Boxershorts zu Boden fallen ließ, merkte sie den ersten Stoß. Er hatte ihre Beine angewinkelt und war sofort tief in sie eingedrungen. Er atmete laut aus und drückte sie auf die Tischplatte. Er schaute in ihre graublauen Augen und sie erkannte in seinem Blick, dass er wartete. Dass er etwas erwartete und ihr wurde wieder einmal bewusst, dass er es nicht nur für sich tat. Und sie tat es für ihn. Sie seufzte auf. Ein weiterer Stoß. Sie stöhnte. Er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Sein Rhythmus wurde schneller. Und sie merkte, wie es auch sie Energie kostete. Sie musste ihren Kopf ausschalten. Sie wollte es doch auch. Sie wollte ihn spüren. Oder? Heute ging es einfach nicht. Seine Bewegungen stagnierten und wieder ruhte sein erwartungsvoller und gleichzeitig irritierter Blick auf ihr. Sie legte erneut ihr einstudiertes Lächeln auf, richtete ihren Oberkörper auf und drückte den Mann von sich weg. Als dieser sich verdutzt einen Schritt von der Tischkannte wegbewegte, sie sich nun vollends aufrichtete und dann ihre Hand in Richtung seines Schritts bewegte, verstand er. Es schien ihr die einfachste und schnellste Form zu sein, wie beide heute das bekämen, was sie wollten. Sie den Schlaf, den sie so dringend brauchte und er... - Nun ja. Ihre Handbewegungen wurden schneller und der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers angestrengter. Doch beiden wurde es bewusst, dass es ihm nicht genügen würde. Also kniete sie sich vor ihn und nahm sein steifes Glied in den Mund. Ein erleichtertes Seufzen verließ seinen Mund und nachdem er das bekommen hatte, was er wollte, und sie sich aufrichtete, blickte er sie mit fragenden Augen an. „Und du?" hakte er noch völlig außer Atem nach. Sie strich ihm beschwichtigend über die Schulter und schenkte ihm ein kurzes, müdes Lächeln, nachdem sie die Treppen nach oben stieg und aus seinem Blickfeld verschwand.

Sonnenblume für dich ~ Annalena BaerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt