36 - Fensterbrett

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Darauf bedacht, meine Stimme gesenkt zu halten, fasse ich meine Lage für sie zusammen. Möglicherweise endet diese neue Hoffnung in einer weiteren Verzweiflung, na und? Was hab ich noch zu verlieren ... Luna hört mir aufmerksam zu, bei meinen Beschreibungen hat sich ihre Miene verhärtet, aber sie scheint nicht sonderlich überrascht. Natürlich nicht. Sie weiß, wo sie sich hier befindet. Dass so etwas in der Basis des Syndikats vorkommt, wundert sie nicht.

Als sie sanft meine Hand berührt, unterbreche ich meinen Redefluss. Ihre Stimme ist ruhig. "Ich rufe bei der Polizei an und berichte, dass Allison Coleman in der Basis des Syndikats gefangen gehalten wird. Ich mache den Anruf." Sie klingt bedauernd. "Aber es wird ein anonymer Anruf sein. Nichts für ungut, aber wenn mein Name erstmal im Spiel ist ..." Sie macht mit dem Daumen eine Kehle-durch-Bewegung. "... dann wäre es verdammt schnell vorbei mit mir."

Ich nicke und Luna kommt ein Stück näher zu mir heran. "Ich will gern mehr für dich tun, ich weiß nur nicht, wie ich ..."

Mein Blick huscht gehetzt über den leeren Korridor und schließlich unterbreche ich sie nervös. "Wie bist du hierher gekommen? Haben sie dir dein Handy abgenommen?"

Luna schüttelt mit dem Kopf. "Nein."

Überrascht reiße ich die Augen auf. "Nein?!"

"Nein, aber ..."

"Sie haben es dir nicht weggenommen?!"

"Nein, ein paar Sachen darauf sind kundenbezogen, für die Arbei..."

"Du hast es dabei?!"

"Ja, aber nich..."

"Du durftest einfach mit dem Teil hier hereinspazieren?!"

Lunas Geduldsfaden reißt und sie zischt mich an. "Lass mich ausreden, um Himmels Willen!" Während sie weiterspricht, sieht auch sie sich immer mal wieder nach links und rechts um.

"Ein Typ hat mich von der Arbeit abgeholt, mich aufs Genaueste gefilzt und mir während der Fahrt hierher einen Sack über den Kopf gezogen. Mein Zeug wurde durchleuchtet und mein Handy komplett auseinandergenommen. Bevor ich wieder zurückgefahren werde, filzt man mich nochmal. Ich weiß, wie das in Betrieben wie diesen läuft."

"Dein Handy auseinandergenommen?", hake ich nach. Sie nickt.

"Die SIM-Karte ist entfernt und das gesamte Teil nach Spionage-Peiler-Kram durchleuchtet. Erst wenn ich wieder zuhause bin, krieg ich meine SIM-Karte wieder. Anrufen kann ich mit meinem Handy von hier aus keinen. Außerdem hab ich es schon dem Typen gegeben, der mich zurückfährt und der wahrscheinlich schon auf mich wartet ..." Sie kratzt sich am Kinn und ihre Augen fangen an zu leuchten. "Aber ich kann dir eins mitbringen!"

"Ein Handy?"

"Ja! Ich denke ..." Das Leuchten in ihren Augen verschwindet wieder. "Ich denke, es wäre ziemlich gefährlich. Gefährlich für dich. Ich meine ... Wenn du mit dem Teil erwischt wirst. Und außerdem ..."

Ich vollende ihren schmerzhaften Satz. "Und außerdem könnte ich niemanden anrufen ohne SIM-Karte." Ich versenke mein Gesicht in den Händen und halte inne. "Niemanden außer vielleicht den Notruf."

Luna zuckt mit den Achseln und sie sieht plötzlich ganz zerknirscht aus. "Das klingt jetzt bestimmt verdammt scheiße und pessimistisch, aber ich glaube nicht, dass die Polizei dich orten könnte, selbst wenn der Anruf von hier aus gelingt. Ich meine, diese Basis wurde schon seit Jahrzehnten vor der Außenwelt versteckt gehalten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die staatliche Exekutive gegen das Syndikat arbeitet oder mit ihm zusammen, wenn ich ganz ehrlich bin ..."

An so etwas hatte ich auch schon öfters gedacht. Ich weiß genau, was sie meint. Die Korruption. Die Verlorenheit des Systems. Jede Institution mit Macht ist besetzt von Wespen. Ich raufe mir durch die Haare und konzentriere mich aufs Wesentliche. Dass die Basis gefunden wird, scheint verdammt unwahrscheinlich, aber wenigstens kann Luna den Anruf erledigen. Vielleicht verhilft der Hinweis über meinen Verbleib den Behörden zu einem nächsten Schritt ... Wenn sie überhaupt Schritte in die richtige Richtung machen ... Ich sehe in Lunas wache Augen.

"Und was ist mit dir?", frage ich vorsichtig.

Ein gelassenes Schulterzucken. "Ich komme klar." Sie betrachtet mich von Kopf bis Fuß. "Jetzt weiß ich auch endlich, an wen Reyes dachte, während er mich geleckt hat. Oh, Schätzchen, das ist doch kein Grund, rot zu werden. Er war gut. Ziemlich gut sogar."

Ich knirsche mit dem Zähnen. "Macht das die Dienstleistung erträglicher?"

"Manchmal. Heute schon."

Mein Blick huscht noch einmal über den leeren Korridor. "Könnte so ein Notruf ohne SIM-Karte wirklich funktionieren?"

Luna nimmt sich noch einen Cracker aus der Packung. "Keine Ahnung. Vielleicht kommt es auf das Handymodell an. Oder auf den Mobilfunkvertrag? Oder auf das Netz in dieser Basis."

Ich lasse die Schultern sinken. "Oder so was funktioniert überhaupt nicht bei unserem inländischen Notruf ..." Ich fühle mich so unendlich niedergeschlagen. So unendlich kaputt.

"Hey, bleib zuversichtlich!", sagt Luna streng. "Das kann ich doch herausfinden, wenn ich hier weg bin!"

"Wir wissen nicht einmal, ob du nochmal zurückkommst ..."

"Wenn, dann treffen wir uns wieder genau hier!" Sie tippt mit dem Zeigefinger auf meinen Platz. "An diesem Fensterbrett!" Wir zucken synchron zusammen, als wir aus der Ferne Schritte hören. Luna streicht mir eine Strähne aus der Stirn und ihre Stimme ist voller Ernsthaftigkeit. "Pass auf dich auf, Kleine."

Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und verschwindet, bevor die Schritte irgendeines Mafioso in Reichweite kommen. Ich sinke in mich zusammen. Die unerwartete Begegnung hat mich aufgewühlt. Und gestärkt. Lehne mich zurück und schließe die Augen. Eine neue Chance. Vielleicht.

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)


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