40 - Nadel

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Die Wunde sieht überhaupt nicht gut aus. Nur wenige Zentimeter über dem Herzen. Das Blut fließt über seinen nackten, definierten Oberkörper und vermischt sich mit dem Schweiß. Reyes stöhnt vor Schmerz. Sein angespanntes Gesicht wird mit jeder Minute blasser. Er holt Nadel und Faden aus dem Kasten, lässt sie aber gleich darauf wieder fallen, weil seine Finger zu stark zittern.

Ich frage mich, was passiert, wenn er verreckt und seine Lakaien mich hier drin mit seiner Leiche entdecken. Die werden bestimmt nicht begeistert sein. Scheiße nochmal, das sind loyale Vollidioten. Die werden mich lynchen ...

Reyes nimmt noch ein paar Schlücke vom Wodka und sinkt in sich zusammen. "Genieß die Show. So kaputt wie jetzt gerade wirst du mich nie wieder sehen."

Ich schüttle mit dem Kopf und gehe auf ihn zu. Dann nehme ich eine kleine Zange aus dem Kasten und desinfiziere sie mit Wodka. Reyes registriert mein Handeln mit einem Lächeln. "Tu ich dir leid?"

"Klappe halten." Ich bereite den Rest vor. Nadel mit Wodka säubern. Faden in die Nadel einführen. Kompresse. Und diese Art Klebestreifen. Shit. Krieg ich das hin? Mein Blick wandert von Reyes' erschöpfter Miene zu seinem blutigen Oberkörper, hin zu seinem Gürtel. Die Waffe. Nicht ideal. Ich greife danach und er hält meine Hand eisern fest. "Was soll das werden?"

Ich blicke ihn kalt an. "Ich flicke dich nicht, wenn ich dem Risiko ausgesetzt bin, abgeknallt zu werden."

Er schnaubt. "Dem Risiko bist du sowieso die ganze Zeit ausgesetzt."

Meine Miene bleibt steinern und nach ein paar Sekunden kriecht ein Seufzer der Kapitulation aus seiner Kehle. Als sein Griff locker lässt, nehme ich mir die Pistole. Zögere einen Moment. Wiege sie in meiner Hand. Teste das Gefühl, das sie mir gibt.

Seine Stimme, dunkel und nah an meinem Ohr, verpasst mir eine Gänsehaut. "Verführerisch, nicht wahr?"

Meine rechte Augenbraue zieht sich ein wenig nach oben. "Durchaus."

Ich besinne mich eines Besseren. Fuchtle an dem scheiß Teil rum, bis ich herausgefunden habe, wie man es entlädt, was von dem Halbtoten mit einem amüsierten Ausdruck beobachtet wird. Die leere Waffe lasse ich ans andere Ende des Raumes über den Boden gleiten.

"Toll gemacht."

"Ich sagte, Klappe halten." Ich nehme die Zange und setze sie an seine Brust. Atme einmal tief ein und nähere mich der Kugel. Es braucht Präzision und ausreichend Druck, um sie aus dem Fleisch zu ziehen. Er zischt schmerzerfüllt und ich lächle. "Der schmerzhafte Part kommt doch erst noch."

"Ich freu mich schon." Das heitere Funkeln in seinen Augen ist total unangebracht für ein Schussopfer. Beherzt schwenke ich einen Schuss Wodka auf seine Wunde und er muss kurz aufschreien.

"Mal schauen, wie lang die Freude währt.", meine ich nur. Bei mir hält sie sich in Grenzen. Die Nadel ist klein und meine Finger nicht sonderlich geschickt. Aber motiviert bin ich durchaus. Wenn ich das hier nicht hinkriege, würde ich diesem Kerl ins Nirvana folgen müssen ... Ich nähere mich ihm noch ein Stück, bis ich seine Körperwärme und seinen Atem spüren kann, und setze die Nadel an.

"Hast du das schon mal gemacht?", fragt er und ich mache den ersten Stich. Dieser wird mit einem Zischen quittiert.

"Nein.", lüge ich unbekümmert und lasse den Faden durch seine Haut ziehen. Die Verletzung sieht aus wie ein Krater. "Aber es gibt für alles ein erstes Mal."

"Richtig.", meint er und sieht mich an. "Das ist das erste Mal, dass ich dir körperlich unterlegen bin." Ich vermeide es, in sein Gesicht zu sehen und setze zum nächsten Stich an. Als ich die Nadel erneut durch seine Haut führe, spricht er weiter. "Abgesehen davon stehen dir nun Mittel und Wege zur Verfügung, mich zu töten." Noch ein Stich. Sein Zischen ist nun leiser, aber seine Argumentation offensiver. "Denk darüber nach. Eine bessere Gelegenheit wird sich dir nicht mehr bieten."

Ich wette, der Gedanke, dass ich ihn töten könnte, turnt ihn an. Er ist krank. Ein kranker Psycho, der schlau genug ist zu wissen, dass er mir tot gefährlicher ist als lebendig. Als ich in sein Gesicht blicke, um zu überprüfen, ob meine Hypothese stimmt, breitet sich ein Grinsen auf seiner Miene aus. Schnell greife ich nach der Flasche und schütte Wodka auf die Wunde.

"Ahhhh! Fuck!" Meine Laune bessert sich. Er zieht schmerzerfüllt die Luft ein. "War das wirklich nötig?!"

"Nein."

Noch ein Stich. Langsam werden meine Hände ruhiger. Ich blende alles aus. Die gedämpften Schüsse, die Berührungsangst, den Hass. Konzentriert führe ich die Nadel, setze die Stiche so eng wie möglich. Sein Brustkorb hebt und senkt sich beim Atmen. Fühlt sich warm an. Ungesund warm. Ich merke, wie er unter dem Schmerz leidet. Auch wenn er das Zischen unterdrückt.

"Wie lange noch, bis das Gemetzel vorbei ist?", frage ich ihn.

"Das kann noch dauern."

"Super. Mehr Zeit für Self Care.", murmele ich grimmig.

Er schnaubt. "Tja, meine Kniescheibe ist so gut wie hinüber, also werd ich meine Zeit wohl darein investie..."

Als er sich nach vorne beugen will, halte ich ihn genervt zurück. "Still halten."

Letzter Stich. Die Naht sieht okay aus. Ich trockne die Wodka-Blut-Mischung von seiner Haut ab und hole die verpackte Kompresse hervor. Reiße sie mit meinen Zähnen auf, halte das Klebebandding schon bereit. Befestige sie so gut ich eben kann.

"Fertig."

Reyes atmet aus und ich rücke von ihm weg. Gehe zum Waschbecken und ignoriere den stechenden Blick in meinem Rücken.

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

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