7. "Once you have tested flight.."

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Hicks streckte sich am nächsten Morgen und beäugte missmutig das Brot zu seinen Füßen. Sein Geist war jetzt klarer als die vergangenen Tage. Doch auch Wasser würde nicht die Energie ersetzen, die er von einem Stück Brot erhalten würde. Also brach er widerwillig ein Teil des Laibes ab, kaute langsam und schluckte den Brei mühsam hinunter.
Während die Stunden sich hinzogen wie eine Bootsfahrt bei geringem Seegang, langweilte sich Hicks zunehmend.
Er lauschte den Gesprächen der Werter, doch es war zwecklos. Sie unterhielten sich lediglich über die nächsten Drachenkämpfe und wer warum gestern im Kartenspiel gewonnen hatte.
Also sprach er sie direkt an und fragte nach einem Holzkohlestift und ein wenig Pergament. Murrend und fluchend zogen sie davon. Nach kurzer Zeit kamen sie mit den vergilbten Seiten zurück und warfen sie vor ihn auf den Boden.
Zwischen den Rollen kam eine Notiz zum Vorschein "Dein Team sieht dich, Ohnezahn sieht dich, die Götter Thor und Odin sehen dich, deine Feinde betrachten dich. Doch keiner sieht dich so wie ich, Hicks" unterzeichnet wurde mit VIGGO.
Hicks seufzte. Er wollte gar nicht wissen, was Viggo damit meinte und er würde es auch nicht herausfinden. Schließlich liebte Viggo Rätsel und spielte gerne mit der Unwissenheit anderer. Also umso besser, wenn es ihn nicht interessierte. Er würde nämlich einen Teufel tun ihm jetzt die Stirn zu bieten.
Er setzte sich und presste sich gegen die Gitterstäbe, um so viel Licht wie möglich einfangen zu können und begann zu zeichnen.

Die Kohle kratzte über das Papier

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Die Kohle kratzte über das Papier. Sie war etwas feucht, sodass er drei oder viermal über das Gekrakel fahren musste, damit die Zeichnung Gestalt annahm. Wie immer, wenn er in absoluten Ausnahmesituationen war, zeichnete er den ersten Entwurf von Ohnezahn, sowie die ersten Vorrichtungen für seine Schwanzkonstruktion. Das half ihm sich zu konzentrieren und einen klaren Gedanken fassen zu können. Nach einiger Zeit schmerzten seine Schultern zunehmend. Er versuchte sich bequemer hinzusetzten, doch die Streben taten ihr übriges, um ihm keine einigermaßen bequeme Haltung zu ermöglichen. Er seufzte laut. Die Sonne neigte sich langsam gen Horizont und hinterließ ihn Minute um Minute in der Dunkelheit zurück. 

Lautlos trat Viggo durch die Tür und schlich zu Hicks' Zelle. Er betrachtete ihn aufmerksam, fuhr mit den Augen seinen markanten schmalen Körper entlang, der immer noch von Hicks geschmeidiger Lederrüstung bedeckt war. Sein Haar fiel ihm verschwitzt und in dicken Strähnen ins Gesicht. Viggo unterdrückte den Impuls sie Hicks aus dem Gesicht streichen zu wollen und wartete darauf, dass er ihn bemerken würde. Doch Hicks schien viel zu sehr in seine Zeichnungen vertieft zu sein. Er beugte sich ein wenig hinunter und betrachtete Hicks Zeichnungen. Er staunte. Sie waren verblüffend akkurat, obwohl Kohle und Pergament alles andere als hochwertig waren. Kratzend wanderte der Stift über das Pergament, als er plötzlich innehielt. Seine Schultern sackten ein wenig zusammen und Hicks sprach mit kühler Stimme, ohne ihn anzusehen: "Was willst du, Viggo?" 
"Was zeichnest du da?" fragte Viggo verblüfft über Hicks' kalte Antwort. "Du stehst im Licht." sagte er und ignorierte seine Frage. Und wollte gerade fortfahren, als Viggo ihn unterbrach: "Du hast dein Essen kaum angerührt, weshalb...?" Hicks ließ die Kohle fallen und ballte die Fäuste.  "Das!? DAS ist das Einzige, was dich gerade kümmert?" zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Was willst du nur von mir, Viggo?" Hicks war aufgesprungen und griff nun wütend in die Gitterstreben. "Sag es mir bei Thor!" Er rüttelte an den Eisenstäben und seine Wangen färbten sich hochrot vor Zorn. Er war wütend auf Viggo, auf die Situation, auf das Machtverhältnis und auf sich selbst. Vor allem auf sich selbst. Er stieß einen frustrierten Laut aus und rüttelte noch heftiger an Streben. Viggo wich einen Schritt zurück, fing sich dann aber wieder und sagte mit ruhiger unbekümmerter Stimme. "Du bist bestimmt hungrig." Hicks funkelte ihn wütend an. "Du solltest bei Kräften bleiben." Fuhr er fort. "Warum kümmert dich das?!" Spie er ihm entgegen.

Viggo blickte ihm fest in die Augen. Hicks erstarrte für einen Moment. Er war der festen Überzeugung ein sorgenvolles Flattern in Viggos Gesichtsausdruck zu erkennen, das ihn innehalten ließ. Der Augenblick vorbei. Viggos Mine straffte sich und sein Ausdruck nahm wieder die undurchdringliche gefühlslose Maske an. "Wenn ich tot bin, ist dein jämmerliches Spiel vorbei!" Sagte Hicks trotzig und verzog sein Gesicht zu einer überheblichen Grimasse. "Mhm, überlegte Viggo, mag sein. Allerdings hätte ich dann gewonnen."
"Aber das ist doch genau das, was du willst!" Hicks raufte sich die Haare.
"Ja, natürlich, aber ich will nicht einfach so gewinnen, nur um gewonnen zu haben. Du bist ein wahrer Gegner, Hicks der Hüne." Er pausierte, faltete seine Hände und legte sein Kinn auf die Fingerspitzen. Zögernd fuhr er fort: "Wenn ich gewinne, werden die Drachenfänger nie besiegt sein und ihr, die Drachenreiter würdet euch und euer fortschrittliches Denken niemals durchsetzen können. Das ist definitiv nicht das, was du willst und wir beide wissen das. Aber ich bin auch nicht hier, um dich zum Kämpfen zu ermutigen." Viggo musterte Hicks eindringlich. Eine gespannte Stille legte sich auf das Ensemble. Viggo warf erneut einen Blick auf die Zeichnung, die Hicks achtlos, am Boden, hatte liegen lassen. Zögernd und beinahe gleichgültig, fragte er mit Geschäfts männischer Stimme: "Also der Nachtschatten, Ohnezahn. Wie habt ihr euch kennen und lieben gelernt?"
Hicks schluckte. Es zuckten Bilder, wie Blitze durch seinen Kopf. Der Schuss, die Schleifspur, die abgebrochenen Baumstümpfe, das verletzte Tier, das erste gemeinsame Mahl, die erste Zeichnung, die Ohnezahn für ihn angefertigt hatte, der erste Flug. Bei Thor, das war ein Gefühl. Grenzenlose Freiheit. All das versetzte ihm einen heißen Stich, der ein Loch in sein Herz bohrte. Stumm lief ihm eine einzelne Träne die Wange hinab. Er wandte sich ab. Und wischte sich verstohlen die Nase. "Du vermisst ihn, richtig?" Fragte Viggo vorsichtig. "Ich bitte dich jetzt zu gehen, Viggo. Denn ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte." Schob er forsch hinterher.  Wortlos verließ Viggo Hicks und das hölzerne Gefängnis, in dem er gefangen war. Er sah ihm nach und sank daraufhin kraftlos zu Boden. Er betrachtete wehmütig seine Zeichnung und strich liebevoll über das raue Pergament. Er schaute in die Richtung des Bullsauge und beobachtete, wie sich die letzten Sonnenstrahlen verabschiedeten, bis seine Zelle in grenzenlose Dunkelheit gehüllt war.

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