Kapitel 2

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Der Betreuer von der Reha, Hugo, (ja, richtig gehört!)" kam mich mit dem Auto und meinen Reitersachen im Kofferraum abholen. Sina half mir wie so oft beim umziehen. Dazu durfte ich den Lehrer-Kopierraum benutzen, was mir ziemlich unangenehm war. Dauernd hatte man das Gefühl, irgendein Lehrer könnte Hereinplatzen. Aber es war immer noch praktischer als aufs Mädchenklo zu müssen.

Es war immer wieder eine Demütigung, nicht selber noch umziehen zu können. Ich war Sina wirklich dankbar für die Mühen die sie sich wegen mir täglich machte, und doch konnte Ich das Mitleid in ihren Augen nicht verkennen, das sie wie immer zu verstecken versuchte. Ich hatte ihr schon oft erklärt, dass ich so etwas nicht wollte, denn es machte mir nur immer wieder von Neuem bewusst, dass ich ein Krüppel war. Ein verdammter Krüppel, vielleicht nicht für immer, aber hier und jetzt.

Hugo telefonierte noch mit seinem Freund und latschte dabei mit seinem Mädchenhaften Gang über den Parkplatz. Er hatte wohk schon an meinem Gesichtsausdruck und meinen energischen Armbewegungen gesehen dass ich nicht gut bei Laune war und versuchte nun, die Abfahrt so weit wie möglich heraus zu zögern.
Ungeduldig wartete ich auf ihn, denn mir war wirklich unwohl, wie ich hier so alleine auf dem Parkplatz wartete während meine Mitschüler gut gelaunt und fedrigen Schrittes auf ihre eigenen Fahrbaren Untersätze zugingen.
Einige konnten sich das Glotzen nicht verkneifen als Hugo endlich zuende telefoniert hatte und mich unter Anstrengungen wie als wäre er in der Wüste, die Rampe hochbugsierte. Ich gab sicher ein tolles Bild ab.

Ich nahm weder die schöne Landschaft war, noch das stickige Auto oder der ekelhafte Synthie von  Hugos Abba-CD. Ich vergaß Dan, Lena, und sogar meine Beine. Denn meine Gedanken waren voll und ganz bei meinem Wallach. Ich merkte mir sein Bild jeden Tag in Allen Einzelheiten, um auch die kleinsten Veränderungen wahr zu nehmen. Jeden erneuten Abschied prägte ich mir den Ausdruck seiner Augen genauestens ein und verstand ihn. Ich glaube, es machte ihm nichts aus, dass ich ein Krüppel war. Er passte immer auf mich auf und ich bemerkte immer wieder, dass er stets darauf achtete wo er auftreten würde. Und obwohl er Zwei Mal in der Woche von unserem Bereiter trainiert wurde, hatte er sich nicht von mir abgewandt.

Ich merkte, wie meine Augen sich schlossen, und ich mich in ihn und seine Gedanken hineinversetzte. Dies war meine besondere Meditation. Ich versuchte zu verstehen, warum er etwas Bestimmtes gemacht hatte, um mit ihm auf gleicher Gedankenebene zu bleiben. Es mag sich dämlich anhören, aber ich bin auch ein verdammt komisches Mädchen. Vor meinem Unfall war ich auch immer stolz darauf gewesen, weil ich gerade dadurch in der Klasse gut aufgenommen war. Viele schätzten Menschen, die sich nicht schämten, ein bisschen bekloplt zu sein. Obwohl Sogar Lena ein bisschen über mich gelacht hatte. Aber weg mit dem Gedanken! Mein Herz wurde kalt und verschloss sich endgültig wieder, als Hugo abrupt bremste und viel öfter als nötig auf die Hupe drückte. Dieser Mensch machte mich noch wahnsinnig!
"Alter Hugo, musst du immer irgendwelche Rentner verstören?" Motzte ich ihm von hinten an, weil er mich in meinen Gedanken gestört hatte, aber auch weil ich wissen wollte was er nun antworten würde.
"Ruhe auf den hinteren Plätzen"
Kam es patzig zurück. Na sonderlich kreativ war er heute echt nicht drauf...

Mein Herz klopfte schneller, als die vertrauten Weiden auftauchten, und dahinter die Scheune. Ich liebte diesen Flecken Erde! Boris, der Hof-Bernadiner in der Größe eines Fohlens, raste bellend auf den Wagen zu. Hugo stieg aus, öffnete den Kofferraum und fuhr die Rampe aus. Mit einem breiten Grinsen rollte ich die Rampe runter. Verdammt, war es schwer, über das Kopfsteinpflaster zu fahren. Hugo holte mich ein und schob meinen Rollstuhl den Rest.

In der breiten Stallgasse herrschte reger Betrieb, sodass ich ein wenig Schwierigkeiten hatte durch zu kommen. Doch weiter hinten wurde es Leerer. Ein Wiehern. So vertraut, dass es mein Sein zum Stolpern brachte. Ein dunkel glänzender Kopf, eine helle lange Mähne, gespitzte Ohren und geblähte Nüstern schob sich über die Boxentür. Ich tätschelte seine Nase.

Flyin' highWo Geschichten leben. Entdecke jetzt