Die graue Wand ist genauso öde, wie mein Leben.
Eine langweilige Farbe, die nicht schwarz oder weiß ist. Sie ist irgendetwas dazwischen. Nichts halbes und nichts ganzes. Und auch die Kratzer und das Gekritzel spiegelt meine Seele ganz gut wieder. Von verheilten und unverheilten Narben ist alles dabei.
Jeder, der an dieser Wand vorbei geht, wird sie übersehen. Genauso wie die Menschen mich übersehen. Aber genau das ist das, was wir wollen.
Ein Hauch lässt die Haut an meinem Hals in Gänsehaut versinken und bringt mich wieder zurück in die Realität.
Mein Blick wechselt von der grauen Wand zu der Brust vor mir, die viel zu nah ist.
Ein Männerparfüm steigt mir in die Nase und ich erwische mich, wie ich genießerisch die Augen schließe. Auf eine komische, verrückte Art fühle ich mich sicherer als in den letzten Monaten.
Wieder spüre ich seinen Atem an meiner Haut. Eigentlich ist er mir viel zu nah und ich würde ihn sofort von mir stoßen, aber ich kann es nicht.
Es fühlt sich an, als würde er meinen gesamten Körper lähmen. Auf eine beruhigende Weise.
Keine Ahnung, wie lange wir so eng beieinander stehen, jedoch durchbricht er die Stille irgendwann mit einem Räuspern.
Sofort versteife ich mich und zwinge mich dazu, wieder klar zu denken.
Als ich den angenehmen Rauch aus meinem Kopf weggedrängt habe, wird mir wieder klar, in welcher Situation ich mich befinde.
Eigentlich bin ich ganz entspannt durch die leeren Straße geschlendert. So wie jeden Abend.
Ich mag es, wenn die Straßen von der Dunkelheit umhüllt werden und nur noch durch die Straßenlaternen beleuchtet sind.
Aber heute wurde ich plötzlich von hinten gepackt und in eine öffentliche Toilette gezogen. Die Person drängte mich in eine Kabine, schloss sie zu und gab mir ein Zeichen still zu sein. Es war nicht schwer zu erraten, dass es sich um eine männliche Person handelt. Er ist gar nicht mal so schlecht gebaut und riecht wirklich gut. Nicht dieses aufdringliche Parfüm, sondern ein leicht herbes, dass noch natürlich riecht.
,,Genießt du das etwa?"
Ich schnappe nach Luft, als ich seine Lippen an meinem Ohr spüre.
Viel zu nah!
Mein Herz beginnt zu rasen und ich bekomme Atemnot.
So etwas habe ich zuvor noch nie gespürt. Aus Angst stoße ich ihn von mir, woraufhin er ein paar Schritte zurückweicht und ich verwirrt auf die Toilette sinke. Dieses leere Gefühl als er mich losgelassen hat, ist kaum zu beschreiben. Was soll das?
Warum löst eine einzelne fremde Person so ein Gefühlschaos in mir aus?
Ich fühle mich plötzlich einsamer als zuvor schon.
Ich muss sofort Abstand zu ihm aufbauen.
Das erste Mal seitdem wir hier sind, wage ich es aufzublicken. Zuerst betrachte ich seine Lippen, die etwas gerissen sind.
An seinen Lippen hangel ich mich weiter hoch zu seiner feinen Nase und zu seinen Augen unter seiner schwarzen Brille. Erst wirken sie grau in dem kaum beleuchteten Raum, aber wenn ich genauer hinsehe, erkenne ich einen eisblauen Stich. Sie fesseln mich. Anders kann ich es nicht beschreiben. Je weiter ich sie betrachte, desto schöner werden sie und ich kann meinen Blick nicht mehr abwenden.
Ich versuche seine Gefühle darin zu lesen, aber er wendet sich schnell ab. Trotz seines großen Pullovers erkenne ich, dass er sportlich gebaut ist. Warum er hier drin eine Kapuze trägt, ist mir schleierhaft. Ich kann nicht mal seine Haare erkennen. Da er mir nun den Rücken zugedreht hat, beginne ich damit, mich etwas umzusehen, um wieder klare Gedanken fassen zu können und um zu überlegen, was nun als nächstes passieren soll.
Das Licht flackert, wie in einem dieser Horrorfilmen und neben mir an der Wand stehen einige Sachen geschrieben, über die ich nicht weiter nachdenken möchte.
,,Es tut mir leid!", erklingt seine Stimme von den Waschbecken und ich höre das Rauschen von Wasser.
Nach einer Weile kommt er wieder zurück und lehnt sich an die Kabine. Er hat seine Kapuze abgesetzt und fährt nun mit seinen nassen Händen durch seine verwuschelten braunen Haare.
,,Es tut mir leid, dass ich dich hier her entführen musste!"
,,Ich weiß noch nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll!", erkläre ich und lasse die unausgesprochene Frage im Raum hängen.
,,Du würdest mir sicher nicht glauben, dass ich von Aliens entführt wurde, sie mir mein Gehirn gewaschen haben und mich nun steuern, um die Herrschaft an sich zu reißen?"
Er muss selber über seine dämliche Frage schmunzeln und ein kleines Grübchen kommt zum Vorschein. Ok, also vom Aussehen würde ich ihm eine glatte Zehn geben.
,,Tatsächlich war genau das mein erster Gedanke, jedoch glaube ich wohl kaum, dass sie eine öffentliche Toilette für eine Gehirnwäsche wählen würden!"
,,Und das weißt du genau, weil...?", entgegnet er und hebt fragend seine Augenbraue. Sofort fängt mein Herz schneller an zu schlagen. Für meine nächste Antwort nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, stehe auf und gehe verführerisch an ihm vorbei, während meine Schulter seine berührt. Sofort bildet sich an dieser Stelle Gänsehaut.
,,Sie stehen bei mir Schlange, aber bis jetzt konnte mich noch niemand knacken."
Die ganze Zeit spüre ich seinen Blick auf mir. Ich habe keine Ahnung woher diese Seite gerade kommt. Es war ein Bruchstück meiner selbst von früher. Vor...
,,Wenn du mir nun nicht sagen möchtest, warum du mich hierher geschleppt hast, dann mache ich mich jetzt auf den Weg. Ich habe nun schon genug Zeit hier verschwendet."
Ich sehe ihn abwartend an, aber es kommt keine Antwort.
,,Nun gut. Dann wünsche ich eine Gute Nacht!" Ich deute einen Hofknicks an und verlasse den Raum. Der kalte Wind erschlägt mich fast, als ich die Tür öffne. Ohne einen Blick zurück, lasse ich die Tür hinter mir zu fallen. Die ganze Zeit spüre ich seinen eindringlichen und neugierigen Blick, der mich bei jeder meiner Bewegung verfolgt. Und auch jetzt noch merke ich das Chaos in meinem Magen, das er ausgelöst hat. Ich muss so schnell wie möglich hier verschwinden. Meine Gefühle machen mir wirklich Angst.
Vor allem, da ich diesen Kerl nicht einmal kenne.
Rückblickend hätte er sonst was mit mir machen können.

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Turned into love
Novela JuvenilEin Mädchen, das in totaler Traurigkeit versunken ist, ein Junge, der ein großes Geheimnis birgt und eine Liebe, die vielleicht Beide retten oder in den Abgrund reiten könnte. Das erste Buch der Love-Serie. Das super tolle Cover ist von Licra26. D...