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Kleine Anmerkung vorab: Ich habe mich für die Writers Challenge angemeldet und in diesem Rahmen beschlossen, eine Geschichte zu folgendem Prompt zu schreiben.

Du verkaufst alte Bücher in deinem eigenen Laden. Jeden Tag erscheint ein Kunde, blättert im immergleichen Buch und geht. Du wirst neugierig und fragst ihn, was es damit auf sich hat.

Da das geklärt ist, wünsche ich viel Spaß beim Lesen meiner kleinen Interpretation des Ganzen. 

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Es ist der Tag nach Donnerstag, und wir befinden uns in einem dieser verschlafenen britischen Vororte, die man nur allzu gut aus diversen Fernsehproduktionen kennt. Sie wissen schon, einer dieser idyllischen Kleinstadtorte, in denen eigentlich niemals etwas wirklich Aufregendes geschieht. Da kennt jeder jeden, plauscht mit den Nachbarn über den Gartenzaun und wird von der Ladenbesitzerin beim Vornamen genannt. An so einem Ort sind wir - genauer gesagt, in der winzigen Polizeiwache jenes Örtchens.

Vier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sitzen schweigend in einem kahlen Warteraum und vermeiden Blickkontakt. Vor einer Stunde wurden sie unter Protest in den Raum gebracht. Sie waren zu fünft. Fünf aufgeregte und ramponierte Menschen, die erst ruhig wurden, als ein frustrierter Beamter, der heute lieber woanders wäre, sie zur Ruhe ermahnte. Aufmerksame Leser haben bemerkt, dass fünf Personen in den Raum gingen, aber nur vier darin sind.

Die Erklärung ist einfach. Nummer Fünf ist eine Tür weiter, wo er mit einem ratlosen Beamten in einem Vernehmungsraum sitzt und ein Verbrechen aufklären soll. 

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»Wie schon erklärt, nehme ich das Gespräch aus Sicherheitsgründen und für die Beweisführung auf«, Detektiv Brooks' Miene war ausdruckslos, während er den Jungen vor sich über den Rand seiner rahmenlosen Brille fixierte. 

Dieser wiederum schien sich keineswegs durch die Tatsache, dass er sich auf einem Polizeirevier befand, verunsichern zu lassen. Lässig hockte er auf dem spärlichen Holzstuhl und trommelte mit den Fingern einen pfiffigen Takt gegen die Tischkante.

»Geht klar«, sagte er auf die Aussage des Beamten.

Der Detektiv nickte knapp und betätigte einen Knopf, der das veraltete Aufnahmegerät in der Tischmitte startete. Das Tonband setzte sich leise, knackend in Bewegung.

»Nenne mir deinen Namen und dein Alter«, verlangte Brooks von dem Jungen.

»Lucas Ramirez, meine Freunde nennen mich Luc. Ich bin fünfzehn, was ziemlich scheiße ist, weil man mit fünfzehn nichts anstellen kann ... nichts, was Spaß macht. Ich muss um 20 Uhr zu Hause sein ... UM 20 UHR! Als wäre ich ein Baby... Meine Mom ist echt anstrengend und meine Schwester darf bis 22 Uhr raus und die ist nur zwei Jahre älter ... Finden Sie das fair? Ich nicht ...«

Klick. Das Tonbandgerät kam stotternd zum Stehen. Brooks, der sich vorgebeugt hatte, um das Gerät anzuhalten, warf dem Teenager einen Blick zu, wie ihn nur kinderlose Erwachsene fertigbrachten. »Antworte nur auf meine Fragen«, sagte er mit Nachdruck und schaltete das Gerät nach einem intensiven Blick auf Lucas wieder ein.

»Warum warst du heute Morgen im Laden von Mister Foster?«

»Wegen der Zeitung«, entgegnete Lucas und verdrehte die Augen.

»Welche Zeitung?«

»Die Zeitung eben. Die ich Mister F. jeden Freitag bringe.«

»Du trägst also Zeitungen aus?«, hackte Brooks nach.

»Ja, was soll ich sonst mit der Zeitung machen, sammeln?«

Der Detektiv stieß ein Geräusch aus, das zwischen Atmen und Seufzen lag. Obwohl das Verhör erst einige Minuten dauerte, pochten seine Schläfen, und Brooks wusste aus Erfahrung, dass das kein gutes Omen war.

»Nein, natürlich nicht«, räumte er gepresst ein und fügte hinzu: »Mister Foster bekommt also die Zeitung von dir geliefert?«

Lucas verdrehte noch einmal die Augen, nickte jedoch kurz.

»Jaaa. Ich bringe ihm jeden Freitag seine Zeitung, weil ich der Zeitungsjunge bin. Spektakuläre Neuigkeiten, nicht wahr?«

Teenager-Sarkasmus, dachte Brooks und schauderte. Er musste das Gespräch auf das Wesentliche lenken, sonst würde er nie Feierabend machen. Warum musste so ein Mist auch am Freitag passieren?

»Verstanden, danke. Erzähl mir genau, was nach deiner Ankunft im Laden passiert ist, Lucas.«

Der Jugendliche stöhnte genervt. Brooks wartete ab, und Lucas begann zu erzählen.

»Ich bin mit der Zeitung rein, und da stand Mister F. über so einem Buch gebeugt. Er hat es angestarrt, als wäre es der heilige Gral oder so. Und ich dachte mir: 'Was kann an einem Buch so interessant sein?' Sein ganzer Laden ist voll davon.«

Lucas zuckte mit den Schultern und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl.

»Ich verstehe«, sagte Brooks. »Und dann?«

»Locker. Ich erzähle ja schon«, entgegnete Lucas. »Naja, ich bin zu ihm rüber und...«

»Rübergegangen? Wo stand Mister Foster?«, grätschte der Detektiv dazwischen und erntete ein Augenrollen.

»Am Tresen. Ich bin zu ihm hin und hab ihm die Zeitung gegeben. Er war abgelenkt und hat mich kaum bemerkt, wegen des Buches. Hab ihn gefragt, warum er so fasziniert davon ist, und wissen Sie, was er gesagt hat?«

Brooks wusste es nicht. Hätte er es gewusst, würde er jetzt im Garten sitzen, mit einem Bier in der Hand und ganz sicher nicht hier. Das sagte er aber nicht. Stattdessen: »Nein, was hat er gesagt?«

Lucas rollte nur leicht mit den Augen und erzählte weiter.

»Er hat mir eine abgefahrene Geschichte erzählt von einem Kerl, der jeden Tag in den Laden kommt und sich immer dasselbe Buch anschaut. Der Typ sagt nichts, kauft nichts. Der kommt rein, schnappt sich das Buch, blättert darin und geht wieder. Total krank. Mister F. wusste nicht, warum der Kerl das macht und wollte ihn vielleicht ansprechen. Hab Mister F. davon abgeraten!«

Detektiv Brooks hob eine Braue. »Warum?«, fragte er interessiert.

Diesmal verdrehte Lucas nicht die Augen. Er lächelte triumphierend, als hätte er etwas begriffen, was sonst niemand verstand. »Ist doch einfach. Weil der Kerl ein Spion ist.«

Brooks blinzelte und drückte die Pausetaste am Aufnahmegerät. »Dir ist klar, dass das hier ernst ist. Die Polizei zu veräppeln kann Folgen haben, Lucas!«

»Ich verarsche Sie nicht!«, rief der Teenager empört.

»Mister F. glaubte mir auch nicht, bis ich es ihm erklärte. Da konnte er dann nix mehr sagen. Ich sah mal einen Film, in dem ein Spion geheime Informationen in einem Buch versteckte, das er dann in die Bibliothek stellte. Ein anderer Spion lieh sich das Buch aus und konnte die Nachricht lesen. Unauffällig, genial.«

Das linke Augenlid des Ermittlers zuckte, ansonsten blieb er regungslos.

Lucas redete weiter. »Man denkt, so was passiert nur in Filmen, aber Spione müssen halt auch kommunizieren. Die können ja keine SMS schreiben oder so.«

»Mhm«, machte Brooks. Das Tonband stand still. Er fragte: »Angenommen, du hast recht, warum sollte der Mann seine eigene Nachricht lesen?«

Lucas sah ihn verdutzt an. »Das fragte Mister F. auch.«

Er murmelte: »Alte Menschen ticken total gleich.«

»Warum die eigene Nachricht lesen?«, drängte Brooks.

»Hab ich mich auch gefragt, dann kam aber Mia und die hatte die totale Erleuchtung. Sie ist echt voll spirituell...«

Zwischen den Zeilen | IBZ 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt