Antonio
Eine gute Stunde hatte ich in der Mittagshitze gestanden. Über eine Stunde hatte ich gewartet, dass die Schlange vor mir immer kürzer wurde, während all die Kids in die persönliche Hölle eines jeden Bürgers der Armendistrikte aufgebrochen waren. Ich konnte ja selbst noch nicht glauben, dass ich das Pech gehabt hatte ausgewählt zu werden. Das hatte ich nun davon, dass Claire und ich welche von ihnen beklaut hatten. Zufallsprizip, ja sicher.
Über eine Stunde, nur um dann an einem weißen Tisch zu stehen an dem ein weiterer Beamter saß. Als wären hier nicht schon genug von den weiß Uniformierten.
„Nachname?", fragte der Beamte freundlich. Wie konnte er noch so fröhlich lächeln, nachdem er seinen gesamten Vormittag mit 'Kriminellen' verbracht hatte? Zugegebenermaßen verbrachte ich fast meine gesamte Zeit mit eben solchen, aber ich war ja immerhin auch selbst einer.
„Shan." Er blätterte durch seine Unterlagen und nickte, als würde er verstehen, was er da las. Für ihn waren diese Namen nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben. Ich sah aber die Menschen hinter den Namen, die Kinder, die sich dagegen sträubten ihre Heimat zu verlassen.„Du bist dann wohl Antonio?", fragte er und lächelte zu mir hoch. „Nio.", korrigierte ich ihn und der Beamte legte kurz fragend die Stirn in Falten. „Nun denn, Nio. Wie es aussieht hast du den Jackpot geknackt." Nicht wirklich was neues, im Angesicht meiner Berufswahl. Aber ich bezweifelte stark, dass er einen Geldtresor meinte. Fragend sah ich ihn an, obwohl ich die Antwort bereits vermutete. Der Mann hinter dem Tisch lächelte noch breiter, bevor er dieses eine verfickte Wort aussprach. „Clarmont."
„Oh nein! Auf keinen Fall! Das ist jetzt nicht Ihr scheiß Ernst!" Ich hatte mir wirklich vorgenommen, nicht negativ aufzufallen, bis ich schon längst im Schlangennest selbst war. Natürlich musste ich ausgerechnet zu den hochwohlgeborenen Clarmonts! Das hatte ich davon, wenn ich den Werten Lord Clarmont ausraubte. Ich war ja so ein Vollidiot! Es war so klar gewesen und doch- Ich bückte mich schon nach der Tasche, die ich neben mir auf dem Boden abgestellt hatte und wollte verschwinden, doch der Beamte sah mich missbilligend an. „Hör zu Junge, ich hab die Liste nicht selbst geschrieben. Es ist nur meine Aufgabe, alle Namen auf dieser Liste abzuhaken. Weißt du, wir...", er deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf seine Kollegen, „haben dafür zu sorgen, dass ihr alle in den Transportern landet. Ob auf die leichte oder harte Tour."
„Jaja.", schnaubte ich genervt und verdrehte die Augen. Ich nahm meine Tasche und stiefelte auf einen der weißen Transporter zu. Ich wollte das hier nicht. Vor allem, weil mein Vater hierdurch irgendwie Geld bekam. Dieses Drecksschwein. Aber ich hatte einen, in meiner Position einfachen Auftrag bekommen, der einfach zu lukrativ war, um jetzt zu kneifen. Also schluckte ich meinen Stolz herunter und quetschte mich in den Transporter zwischen zwei stinkende Teenager, die in ihrer Freizeit vermutlich als Türsteher aushalfen. Ich begann die Schrauben an den Bänken zu zählen und war noch nicht weit gekommen - Schraube 37, da setzte sich der Transporter in Bewegung. Eins der jüngeren Mädchen fing plötzlich ganz herzzerreißend an zu weinen und ich konnte das Schrauben zählen wohl vergessen. Seufzend griff ich in meine Jackentasche, stand auf und kniete mich vor der Kleinen auf den Boden.
„Hier, das hilft. Keine Sorge, ist Schokolade.", ich lächelte freundlich und reichte ihr ein Stück. Das Mädchen sah mich ängstlich aus großen Augen an, dann schnappte sie sich die Schokolade und stopfte das Stück schnell in den Mund. Sie lächelte schüchtern und hauchte ein Danke. Schokolade war hier ungefähr hundert mal schwerer zu bekommen als Heroin. „Nio?" Sie rutschte ein wenig und ich quetschte mich neben sie. „Ja Kiddo?" Nervös betrachtete sie ihre Fußspitzen. „Ich hab Angst.", sagte sie mit zitternder Stimme und Tränen sammelten sich erneut in ihren Augen. „Schh, alles wird gut.", flüsterte ich, schloss sie in eine Umarmung und strich ihr beruhigend über den Rücken, während ich leise eine Melodie summte, die ich nicht mehr so ganz zuordnen konnte. Um uns herum war es still und man merkte, wie sich auch die anderen ein wenig entspannten. Für viele von ihnen war es sicher schwer, immerhin waren ihre Familien das einzige, was sie besaßen.
Ruckelnd kam der Transporter zum stehen. Weiß Uniformierte öffneten die Türen und zwei von ihnen kletterten zu uns in den Transporter. „McLean, Esther mitkommen!", rief einer von ihnen und wartete genau fünf Sekunden, bis er den Schlagstock aus der Halterung riss und neben einem der genannten Kinder niedersausen ließ. Wütend sprang ich auf und baute mich zu voller Größe vor ihm auf. „Hey, was soll der Scheiß?! Das sind Kinder, Mann! Sie haben Angst!" Der Wachmann drehte sich langsam zu mir um und erst jetzt wurde mir klar, dass er mich um ungefähr eineinhalb Köpfe überragte. Gott, wie ich es hasste klein zu sein.
„Du hättest besser auch Angst.", sagte der Wachmann und grinste fies. Auf eins dieser Schnöselkids hätte es vielleicht bedrohlich gewirkt, aber ich war aus einem Armendistrikt. Er würde sich wohl etwas mehr anstrengen müssen, um mich einzuschüchtern. „Wovor denn? Ich denke, all die Snobs sollten besser Angst vor mir haben." Ich versuchte ihn zu provozieren und testete einfach nur aus wie schnell er einknicken würde. „Ach ja? Und wer bist du, dass du sowas behauptest?", fragte er und seine Augenbraue wanderte verwundert in die Höhe. Ich lachte leise auf bei dem Gedanken, dass noch keiner von ihnen auch nur den blassesten Schimmer hatte was ihnen blühte.
„Er ist Nio, du Wichser!" rief ein Junge und sprang auch auf. „Setzt dich wieder hin!", brüllte der Beamte und lief rot an. „Tja Arschloch, ich bin aber Esther. Und du solltest besser aufhören uns fertig zu machen, sonst bekommst du es mit Nio zu tun!" Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich wirklich geehrt, dass Jason Esther in so hohen Tönen von mir sprach. Immerhin war ich ja auch nur ein ganz normaler Teenager. „Dein großartiger Nio,", der Beamte spuckte meinen Namen förmlich aus, „ist einfach nur ein recht kleiner Teenie. Komm schon, wie alt bist du? Siebzehn? Ist auch egal, denn der Penner kann euch nicht vor dem Gesetz beschützen. Und das ist jetzt die letzte Warnung:", er drehte sich im Kreis und breitete die Arme aus, „Ihr habt zu machen, was wir sagen!" Mit diesen Worten griff er McLean am Arm und zerrte sie hinter sich her aus dem Transporter, während sein Kollege Esther mitschleifte.
Ich schaffte es noch mich umzudrehen und McLean einen aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen, dann verschwand sie aus meinem Blickfeld. Bei Esther hatte ich etwas mehr Glück, denn der Beamte musste seinen Schuh neu zuknoten. Echt super, dass sonst niemand auf uns aufpasste. Während niemand in unsere Richtung schaute, ging ich schnell zur Tür des Transporters und steckte ihm das Portmonee des Beamten, welches ich unbemerkt geklaut hatte zu. „Viel Glück Kleiner!", flüsterte ich bevor der zweite Beamte sich wieder aufrichtete und Esther hinter sich herschleifte, während seine Kollegen die Tür vor meiner Nase wieder zuwarfen.
Ich setzte mich wieder neben die Kleine und nahm sie in den Arm. Bald setzte sich der Transporter wieder in Bewegung und je näher wir dem Zentrum der Stadt kamen, umso schneller leerte sich der Transporter. Als auch außer mir nur noch die Kleine und zwei andere hier waren, nahm ich ihre Schultern und schüttelte sie sanft durch. „Hey Kiddo, alles wird gut! Hey, sieh mich an. Du bist so ein mutiges Mädchen und entweder sind die Schnösel, die dich aufnehmen nette Menschen, oder du zeigst ihnen, was du drauf hast und dass man sich nicht mit uns Armendistriktlern anlegt!" Sie sah betreten zu Boden, dann begann sie langsam zu nicken. „Okay.", hauchte sie. „Danke Nio." Dann kam der Transporter erneut zum stehen und sie stand von ganz alleine auf, als die Tür geöffnet wurde. Traurig winkte sie mir zum Abschied dann ging die Tür wieder zu.
Bald war ich allein, als der Transporter das nächste mal anhielt und auch der letzte Typ sich mir einem „Bye Mann, mach's gut." von mir verabschiedete. Seufzend zog ich eine Kippe aus meiner Tasche und kurz durchbrach das klicken des Feuerzeug die Stille. Wieder seufzte ich und nahm einen tiefen Zug. Es dauerte wieder nicht lange, bis der Wagen erneut zum stehen kam und die Tür das letzte mal für den heutigen Tag aufgerissen wurde. „Na dann Nio. Wir sind da.", grinste der Beamte fies. Noch hatte er offensichtlich nicht bemerkt, dass ich ihm was geklaut hatte. Mir sollte es recht sein. Ich klemmte mir die Kippe zwischen die Lippen, schnappte mir meine Tasche und ging an dem Beamten vorbei ohne ihn anzusehen.
Er stapfte mir hinterher den Kiesweg hinauf. Verständlich, dass er jemandem wie mir nicht traute. Vor dem Tor des Anwesens der Clarmonts angekommen, wollte er mich noch weiter begleiten, aber ich schüttelte nur mit einer wegwerfenden Handbewegung den Kopf. „Danke, aber ich kann schon alleine gehen und die Tür finde ich auch." Ich salutierte leicht mit zwei Fingern am Kopf, bevor ich mich umdrehte und durch das Tor ging. Zu meiner Verwunderung folgte der Beamte mir nicht. Vor der 'Haustür' der Clarmonts angekommen legte ich den Kopf in den Nacken, um auch das Ende der Tür sehen zu können.
„Nun denn, let the show begin!", sagte ich zu mir und stieß die gigantischen Flügeltüren auf.
DU LIEST GERADE
Who the heck is Nio? *Teaser*
Ciencia Ficción"Was ist das Leben schon wert, wenn es keinen Spaß macht?"- nach diesem Prinzip lebt Nio, siebzehn, Dieb und Halbwaise obwohl er lieber keinen Vater hätte. Er kommt aus einem der Armendistrikte der letzten großen Stadt, welche einen ganzen Kontinen...