Es war ein Jahr nach dem Tod seiner Eltern. Er lief an der zerrütteten Küste entlang, während die malerische Fassade der Loup Parole hinter ihm wie ein Gefängnis auftragte. Sein Rücken schmerzte, seine Arme und Beine fühlten sich an, als würden sie gleich abfallen und von seinen Hörnern kam ein seltsam ermattendes Gefühl, als hätte ihn jemand in Watte gepackt. Doch trotzdem fühlte er sich an diesem Tag so gut wie schon seit langem nicht mehr. Das erste Mal seit Monaten hatte er nach draußen gehen dürfen.
Er blieb stehen und starrte auf die Wellen. Es war seltsam. Eigentlich war er vom Landesinneren gekommen, trotzdem lockte ihn jetzt nichts mehr, als das Versprechen des tiefen Blau. Ob er einfach in die Wellen gehen und verschwinden könnte? Ging es irgendwann so tief hinab, dass ihn niemand mehr finden würde? Gäbe es irgendwo dort unten einen Weg in die alte Heimat zurück? Er wollte abtauchen, hinein den Lärm der Wellen, wo es nur noch ihn selbst gab und keine anderen Stimmen zu hören waren.
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Balgir trat aus dem Motelzimmer und blinzelte in die kühle Morgensonne. Sie waren jetzt schon drei Tage unterwegs und er hatte sich noch immer nicht an diesen Lebensstil gewöhnt. Das einzige was er bei sich hatte, war das was in seinen Rucksack passte. Wie gut, dass er noch daran gedacht hatte sich im Einkaufszentrum Unterwäsche zum Wechseln zu besorgen. Es war stressig seine Sachen Abends sauberzumachen und zu hoffen, dass sie am nächsten Morgen getrocknet waren. Aber diese Nacht hatte es gut geklappt und Balgir hatte seinen Rucksack schon gepackt und machte sich auf den Weg seinen Zimmerschlüssel abzugeben. Sobald sie das Grüne Meer erreichten, würden sie zwar nicht mehr unterwegs sein, aber er würde weiter mit den wenigen Sachen auskommen müssen die er bei sich hatte.
Auf einer Bank vor dem Bungalow, in dem sich die Rezeption befand, saß Cian und spielte mit einem seltsamen Objekt herum welches Balgir an eine Taschenuhr erinnerte.
„Guten Morgen.", sagte Balgir neugierig, ging aber zuerst in das kleine Gebäude um einer übermüdeten Dame seinen Schlüssel zu überreichen.
„Was ist das?", fragte er, als er wieder draußen war und sich neben den Elfen auf die Bank setzte.
Cian murmelte etwas und drehte an einem Zahnrad. Die Uhr gab ein sehr tiefes Klicken von sich, das ein seltsames Echo nach sich zog. „Ein magischer Kompass.", sagte Cian. „Herkömmliche Navigation funktioniert zuhause nicht. Das Meer blockiert die Satelliten und stört das Magnetfeld. Deswegen benutzen wir welche mit Magie, aber ich glaube meiner ist kaputt." Es klickte erneut, nur tiefer als zuvor und mit verzögertem Echo.
Balgir hatte keine Ahnung von magischen Instrumenten und war daher der Überzeugung, dass er helfen konnte. „Vielleicht musst du es neu aufladen?"
„Das habe ich doch schon längst versucht.", murrte Cian.
„Klemmt etwas?", hakte Balgir nach.
Cian war sichtlich genervt und drückte Balgir den Kompass in die Hände. „Mach du es, aber mach es nicht kaputt."
Balgir drehte es in seinen Händen. Es war aus einem warmen grauen Metall und hatte eine Klappe wie bei einer Taschenuhr. An der Seite waren drei Zahnräder und ein Schalter. Das Ziffernblatt war mit Glas geschützt. Dahinter waren die vier Punkte wie für die vier Himmelsrichtungen angebracht. Die Kompassnadel in der Mitte drehte sich unregelmäßig im Kreis. Bei genauerem Hinsehen fiel ihm auf, dass das Ziffernblatt sich ebenfalls bewegte: Es drehte sich langsam und regelmäßig in die entgegengesetzte Richtung von der Nadel. Er kam gar nicht dazu es irgendwie zu reparieren, weil er zu sehr von der Funktion und dem Aufbau gefesselt war.
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Der Gott unter dem Grünen Meer
FantasyEs sollte nur ein Besuch bei Freunden werden, doch plötzlich findet Balgir sich allein in einem Wald, so tief wie der Ozean. Zwischen den Gefahren des ewigen Grüns wartet eine grausame Gottheit aus einer längst vergangenen Zeit.