34 - Der Kippunkt

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Doro schlenderte gelangweilt durch die Gänge. Sie war gerade oben in den Fraktionsräumen der Union gewesen und hatte dort Julia Klöckner gesucht. Sie hatte eigentlich gehofft, dass ihre Lieblingskollegin noch da war, doch es sah so aus, als ob Julia sich schon auf den Heimweg begeben hätte.

Kaum eine Menschenseele war unterwegs. Naja, es war Freitagnachmittag und die Sitzung beendet. Da verschwanden die meisten ihrer Kollegen so schnell sie konnten aus Berlin. Der Sturm, der vor ungefähr einer halben Stunde aufgezogen war, hatte sicherlich auch dazu beigetragen, dass jeder so schnell wie möglich aus dem Büro hatte verschwinden wollen. Doro sah auf die Uhr. Das hatte die Staatsministerin auch bald vor, doch heute Abend sollte sie noch bei Linda und Katja vorbeischauen.

Linda und Katja. Das hätte die CSUlerin ja nie gedacht! Sie wusste natürlich, dass Katja so eine Neigung hatte, aber Linda? Das hatte sie schon überrascht. Auf Nachfrage hatte Katja nur gesagt, dass das mit Lindas Mann kein Problem wäre. Ob die wohl in so einer polyamoren Sachen steckten? Davon hatte Doro schonmal gelesen. Sie konnte sich allerdings nicht erklären worin da der Reiz bestand. Heiratete man nicht, weil man nur noch diese eine Person wollte? Wieso sollte man da mit anderen Menschen schlafen wollen? Und dann auch noch mit Frauen? Oder vielleicht erlaubte Teutebergs Ehemann nur Seitensprünge mit Frauen! Dass Linda so komplett vom andern Ufer war das konnte sie kaum glauben. Wobei. Einmal, als Doro ein Dirndl im Plenum angehabt hatte, da hatte Linda ihr ganz schön auffällig in den Ausschnitt gestarrt! Allerdings hatte Julia das auch getan...

Doro schüttelte den Kopf. Lag es an ihr? War sie einfach langweilig? Baerbock verheimlichte auch irgendwas, das da zwischen ihr und Linder war. Und zwischen ihr und Habeck. Und Weidel hatte was mit Wagenknecht, während Kipping aber scharf auf diese war. „Warum will eigentlich keiner von denen was von mir?", brummte Doro und blieb vor der Tür zum leeren Plenarsaal stehen. Andererseits war sie ja glücklich mit ihrem Leben und brauchte definitiv keine Affäre! Aber lustig wäre das schon, wenn sich mal jemand in sie verlieben würde...

Dorothee Bär wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie näher kommende Schritte und Stimmen in der leeren Westlobby hörte. Schnell drückte sie sich in eine Ecke und versuchte sich möglichst unsichtbar zu machen. Mit klopfenden Herzen spitzte sie hinter einer Säule hervor.

„...weil ich mir Sorgen mache, Sahra!", rief Alice Weidel. „Ich halte sie nicht gerade für harmlos, ok? Du weißt wozu sie fähig ist!" Sahra schnaubte. „Du hast immer noch keine Beweise dafür, dass Katja wirklich hinter alledem steckt! Ich kenne sie jetzt schon seit Jahren. Sie ist nicht gewalttätig oder so. Vielleicht bist du auf dem Holzweg. Ich meine Brandner und von Storch-" Alice blieb stehen.

„Jetzt hör doch endlich damit auf! Die waren das nicht, die sind doch viel zu beschränkt um wirklich jemanden umzubringen oder es auch nur zu versuchen." Sahra verschränkte die Arme. „Wieso gehst du dann nicht zur Polizei? Wenn du dir so sicher bist?" Weidel trat auf sie zu und seufzte. „Weil ich keinen Beweis habe, abgesehen davon, dass sie mich hasst."

„Wenn das dein einziges Indiz ist, dann erweitert das den Kreis der Verdächtigen wieder um einige Menschen", sagte Sahra trocken. Alice rang sich ein Lächeln ab. „Depp", murmelte sie und grinste. Sahra erwiderte das Grinsen und legte eine Hand an Alice Wange. „Hey, ich weiß, dass dich das fertig macht, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Wir sollten froh sein, dass Katja nicht wirklich so furchtbar ist, wie du immer denkst. Sie würde dir niemals etwas tun. Das ist vollkommen ausgeschlossen."

Alice zog Sahra an der Taille zu sich. „Na, hoffen wir mal, dass du Recht hast." Sahra neigte sich weiter zu ihr herüber und antwortete: „Mhm, meine Menschenkenntnis ist eigentlich recht gut." Alice schüttelte belustigt den Kopf und küsste Sahra.

Wagenknecht rückte noch einen Schritt näher an sie heran und schlang die Arme um Alice Nacken. Leise seufzte sie, als Alice Zunge ihre berührte.
Doro in ihrem Versteck fragte sich derweil, warum sie immer Zeugin solcher Sachen zwischen den beiden werden musste.

Lange hielt der traute Moment jedoch nicht an. Weder Dorothee, noch Sahra und Alice hatten gehört, wie sich eine vierte Person der Szene näherte.

„Störe ich?", fragte die kalte Stimme und Alice und Sahra lösten sich ruckartig von einander. Seit dem Streit in der Kantine einige Stunden zuvor, hatte niemand mehr Katja Kipping zu Gesicht bekommen. Sahra war davon ausgegangen, dass sie sich vor Scham verkrochen hatte und ja, Alice Worte waren mehr als hart gewesen.

„Was schleichst du denn hier herum?", blaffte Alice sie an. Kipping antwortete nicht. „Dann ist es jetzt also offiziell?", stellte sie die Gegenfrage. „Ihr beide gebt euch nichtmal mehr die Mühe es zu verstecken? Mein Gott." Sahra ergriff Alice Hand und sagte ruhig: „Jetzt werden es sowieso bald alle erfahren. Lindner hat die Info bestimmt schon irgendeinem Kontakt bei der WELT gesteckt."

„Ist dir das wirklich alles so egal, Sahra? Unsere Glaubwürdigkeit, dein Ansehen? Die Fraktion, die Partei und... und ich?" Sahra wich Katjas Blick aus. „Darum geht es doch gar nicht, Katja. Es geht um mich. Diesmal muss ich mich an erste Stelle setzen. Weißt du noch worüber wir vor ein paar Wochen gesprochen haben? Ich kann das alles nicht mehr. Ich muss mich für mich entscheiden, nur einmal und mich für mich zu entscheiden, bedeutet mich für Alice zu entscheiden. Es bedeutet, dass ich zu Alice stehen muss - und will." Alice neben ihr nickte triumphierend.

„Und du? Dir ist der Imageschaden egal?", fragte Kipping an Alice gewandt. Diese zuckte mit den Schultern. „Tzz, eine Beziehung zu Sahra ist nicht grade das aufregendste, was man aus meinem Privatleben veröffentlichen kann. Außerdem: die Leute lieben meine Widersprüche."

Wütend schnaubte Kipping auf. „Ich kann das alles nicht mehr ertragen. Ihr - das hier zwischen euch - das macht mich krank. Und ich werde-" Weidel machte einen Schritt auf Kipping zu. „Wirst was? Mir eine Kugel verpassen? Sahra vollends in den Wahnsinn treiben? Die Schuld auf jemand anderen abwälzen? Scheisse, Katja, DU bist krank. Komplett krank. Glaubst du ich wüsste nicht, dass du hinter alledem steckst?"

Kipping zog ihren Rucksack, der über eine Schulter hing ein Stückchen höher. „Das wirst du niemals beweisen können", sagte sie ruhig.
Sahra schnappte nach Luft. Hatte sie das gerade richtig gehört? „Katja du hast nicht wirklich..." Kipping verzog nur unbeeindruckt den Mund. Alice Weidel war knallrot angelaufen. „Ich habe es doch gesagt!", rief sie laut. „Du verdammtes Miststück hast auf mich geschossen! Du scheiß linke Bazill-" Weiter kam Weidel nicht, denn ein dumpfes Geräusch und ein spitzer Schrei aus einer dunklen Ecke der Lobby lenkte sie für eine Sekunde von Kipping ab.

Sahra und Alice drehten sich in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Da auf dem Boden saß Dorothee Bär, einen abgebrochenen Absatz in den Händen. „Scheisse, die waren grade neu!", entfuhr es der Konservativen. Sie hatte sich ein Stück vorgelehnt, um Kipping besser zu verstehen und dabei ihr Gewicht verlagert. Dabei war ihr Absatz wie auch immer abgebrochen.

„Bär!", rief Sahra, sah aber halbwegs erleichtert aus, dass es nur ihre Kollegin war. „Alter, Bär, lauschen Sie etwa? Sie haben so ein Problem!", motzte Alice

Ein metallisches Klicken ertönte. „Ein Problem habt ihr alle drei", sagte Katja Kipping hinter ihnen, ohne die Spur einer Emotion in der Stimme.
Alice und Sahra drehten sich langsam wieder um und Doros Augen weiteten sich.

Alice gab ein ersticktes Stöhnen von sich. Sie sah geradewegs in den Lauf einer Pistole, die Kipping ihr entgegenstreckte.

Aus unserer Mitte - ein BundestagskrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt