Stargazing

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Mitten in der Dunkelheit der kalten Winternacht konnte man die schemenhaften Gestalten zweier Menschen im fahlen Licht der Parkbank erahnen, welche mit sicherem Abstand nebeneinander Platz genommen hatten.

Bei den beiden Figuren handelte es sich um die Umrisse von Jugendlichen, die eine mit Haar aus Seide, welches ihr in glatten, sanften Strähnen das Gesicht umrahmte.
Das andere Mädchen war die Besitzerin natürlich gewellter, neulich gekürzter Haare, die im Gegensatz zu dem der anderen verwahrlost und einen chaotischen Anschein hatten.

Beide trugen warme Jacken bei sich, die sie eng um ihre in dem kalten Nebel, der dicht über dem Boden lauerte, zitternden Körper schlangen, und ein wenig enger zusammenrücken, um an Wärme zu bewahren.

Die Blondine war schlau genug gewesen, ihre langen, dürren Hände in weiche, pechschwarze Handschuhe zu versenken, während die Brünette ihre kürzeren, vor Kälte rot angelaufenen Hände wie Feuersteine aneinander rieb, in der Hoffnung, Wärmefunken zu erzeugen.

Mit ihren dunklen, gebrochenen Augen sah das andere Mädchen ihr dabei zu, packte mit den spinnenbeinähnelnden Fingern ihrer rechten Hand den groben Stoff des linken Handschuhs und zog ihn vorsichtig ab.

„Hier", flüsterte ihre raue Stimme, die gewohnt von einer eisigen Kälteschicht überzogen und von einem aggressiven, genervten Unterton begleitet war, nun mit einer überraschenden Sanft- und Besorgtheit, als sie versuchte, der Brünette das wärmende Kleidungsstück in den Schoß fallen zu lassen, darauf bedacht, jede Form von Berührung zu vermeiden.

Kaja hob den Blick und wandte den Kopf in die Richtung des bildhübschen Mädchens, welches zu ihrer Rechten Platz genommen hatte. Ihre kristallklaren, blauen Augen glänzten auf eine magische Weise im silbernen Mondlicht, als ihre auf die braunen der anderen trafen.

Hier im Licht der Laternen sahen sie so leer und gebrochen aus. Voller Trauer und Last.

Reyas Augen zuckten ein wenig, ehe sie den Blick von dem faszinierenden Blauton löste, sich auf der Parkbank zurücklehnte und den Kopf in den Nacken schob, um einen besseren Blick auf den Nachthimmel über ihnen zu erhaschen.

Sie hatten das Glück, dass es sich um eine klare, wolkenlose Sternennacht handelte, und das Licht, welches sowohl von den Millionen von winzigen Sternchen, aber auch von dem satten, fahlen, weißen Mond abgesandt wurde, ebenso wie die angenehme Stille, die sie umgab, tauchte die Atmosphäre in einen unbeschreiblichen Frieden.

Kaja hatte mittlerweile den Handschuh übergestülpt und beobachtete Reya, wie sie in den düsteren Himmel starrte. Die Spitzen ihrer Strähnen reflektierten das silberne Licht, als hätte das junge Mädchen den Mond verflüssigt, um ihre Haare hineinzutunken.

„Ist es nicht wunderschön?", hauchte Reya vorsichtig, als könnten die Worte ihre Lippen zerbrechen, oder den Frieden, der um sie herum herrschte, zerstören. Kaja nickte, während ein leises Lächeln ihre Mundwinkel nach oben zog.

„Fast magisch", stellte sie fest. Damit zog sie Reyas Aufmerksamkeit auf sich und ihre Augen verschmolzen auf ein neues.

Augenblicklich verlor sich Kaja wieder in dem tiefen, verletzen, entkräfteten Braun, und sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, was hinter ihnen steckte, welche Geschichte Reya so krampfhaft verbarg und mit sich rumschleppte. Es musste ein enormes Gewicht sein, das ihre Seele zerquetschte, sofern es dies noch nicht geschafft hatte. Sie kannte die Blondine nicht sonderlich gut, aber ihr waren Dinge über sie bekannt, die kein anderer jemals zu wissen vermochte.

Reya schloss die Lider und ihre langen schwarzen Wimpern strichen über ihre in der Kälte rosig erscheinenden Wangen.
Kaja war nicht bewusst, dass dieses Rosé auch noch etwas anderem galt.

Etwas, dass sich direkt neben dem Blondschopf befand, und ihren linken Handschuh trug.

„Ich sehe die Sterne gerne als Träume, Hoffnungen und Wünsche an", begann Reya zögerlich.

Augenblicklich hörte Kaja auf zu atmen, in der Angst, ein einzelner Laut könnte Reya dazu bewegen, wieder zu verstummen. Es war selten, dass Worte die Lippen des Mädchens verließen, und sie fragte sich, ob man das ihr beigebracht hatte, oder ob sie einfach lieber mit Taten sprach. Es zogen sich die Sekunden, bis Reya den Mut fand, weiterzusprechen.

„So nah und doch so unerreichbar."

Kaja hob den Blick und schaute in die tiefe Unendlichkeit und Schwärze des dunklen Nachthimmels, an denen lauter kleiner weißer Punkte Platz hatten, und um die Wette strahlten, als wolle jeder einzelne von ihnen der hellste und beste sein.

„Vielleicht wirst du ja mal Astronautin und fliegst zu den Sternen hin, zu den Träumen. Dann sind sie nicht mehr unerreichbar, und du kannst sogar nach ihnen greifen", flüsterte die Braunhaarige aufmunternd.

Reya schüttelte vorsichtig und langsam ihren hübschen Kopf, wobei ihre Strähnen um sie herumwirbelten und einen Tanz aufführten.

„Vielleicht."

Es herrschte erneute Stille zwischen ihnen, und Kaja musste feststellen, wie unnahbar dieses Mädchen neben ihr doch war.

Sie blickte sich etwas im Park um. Die Bäume erschienen unheimlich, weil sie in komplette Finsternis gehüllt waren und ihre dürren Äste wie Arme nach ihnen ausstreckten. Außer ihnen befand sich keine andere Seele draußen in der Winternacht, sie alle hatten sich in ihre warmen, flauschigen Betten gekuschelt, Fenster und Türen verriegelt.

So verlockend diese Gedanken auch seien mögen, gerade wollte sie nirgendwo lieber sein, als auf dem Raster dieser Bank.

Überrascht zuckte Kaja zusammen, als Reya schließlich fortfuhr. Sie war fest davon ausgegangen, dass diese Konversation beendet war, da sie Reya vorher noch nie mehr als drei Wörter in einer Minute hatte reden hören.

„Aber wenn ich zu nahe an sir herabfliege, dann gebe ich ihnen die Chance, mich zu verbrennen", murmelte sie. „Es ist sicherer, sich von ihnen fern zu halten, einen Abstand zu bewahren, ihre Wurzeln zu kürzen und notfalls zu ersticken, bevor sie mich verletzen, wenn sie explodieren."

Diese Worte versetzten einen Stich in das Herz der Brünette, und sie musste sich zurückhalten, um nicht nach der handschuhlosen, kalten Hand ihrer Sitznachbarin zu greifen. Sie dachte einige Zeit über das Gesagte nach, und wollte plötzlich wissen, über welche Träume und Hoffnungen die Blondine sprach.

Ermutigend lächelte Kaja Reya zu, die dies jedoch gar nicht bemerkte, weil sie eine Gefangene ihrer Gedanken war, komplett ausgeliefert, eingesperrt, hoffnungslos.

Und weil ihre Augen geschlossen waren, und sich eine einsame Träne aus ihren Wimpern löste, um ihre Wange hinabzujagen. Vorsichtig nahm Kaja ihre hinter Stoff verborgene Hand, hob sie zu dem perfekten Gesicht und wischte sie sanft weg, wo die salzige Flüssigkeit in dem Schwarz versiegte.

„Aber vielleicht brauchen wir diese Hoffnungen und Träume, müssen uns an sie klammern." Kaja hielt kurz inne, und nahm sich Zeit, Reyas Gesicht zu studieren, die fragend ihre wässrigen Augen aufschlug, und sie ansah.

Das Braun wirkte so beschämt.

Ich konnte nicht anders, als doch meine Finger mit ihren zu verweben, und näher an sie heranzurücken, bevor ich weitersprach.

„Weil sonst unser Nachthimmel nicht mehr leuchtet. Wie sonst sollen wir in der Dunkelheit ein Licht finden, wenn wir es ersticken, und ihm das Leuchten verbieten? Wie sonst soll es uns aus den finstersten Schatten zurück ins Licht leiten?"

Reya zog ihre Hand unerwarteter Weise nicht weg.

„Und was, wenn ich meine Sterne bereits verloren habe?", nuschelte sie verzweifelt, ihre Stimme gebrochen.

„Dann lass mich für dich leuchten."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 10, 2023 ⏰

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