Nottinghamshire - Castle De Burgh
Der nächste Tag
Das Licht der aufgehenden Sonne schickte seine goldenen Strahlen durch die großen Fenster in die Versammlungshalle von Castle De Burgh. Die Hunde lagen träge vor dem steinernen Kamin, dessen Bogen von zwei gewaltigen Hirschen aus Stein flankiert wurde. Auf der langen Tafel, die nahe der Fenster aufgestellt worden war, verströmte frisch gebackenes Brot einen verlockenden Duft. In einer silbernen Schale lagen rotwangige und grüne Äpfel neben ein paar Nüssen und getrockneten Früchten. Schmand und Kräuter in kleinen Schüsselchen, Marmeladen und die Karaffen mit Wein und Milch verwebten ihre eigenen Noten in den ganz besonderen Morgenduft früher Stunden, welcher durch die geöffneten Fenster in das Innere strömte.
Kaum jemand hätte bei dieser harmonischen und stillen Szene erahnt, welches Chaos noch wenige Stunden zuvor in den Mauern dieser Burg geherrscht hatte. Wenn man jedoch genauer auf die Anzeichen achtete, so konnte man erahnen, was geschehen war: Außerhalb dieser Kammer herrschte noch jetzt aufgeregtes Treiben. Die Mägde und Diener tuschelten und nutzten jede Gelegenheit, die Köpfe zusammenzustecken. In der Küche war der Lärmpegel viel lauter als gewöhnlich doch das Geschwätz ertönte selbst über das Klappern der Töpfe hinweg. An jedem Eingang, an jeder wichtigen Pforte standen zwei bewaffnete Wachen, deren Augenringe von einer anstrengenden Nacht zeugten. Sie rieben sich die wundgelaufenen Füße oder versuchten sich irgendwo hin setzten zu können, denn sie waren bis zum Morgengrauen die Burg auf und hinab gelaufen.
Ein jeder sprach darüber, was in der letzten Nacht geschehen war: Der dreiste Dieb Robin Hood hatte dem Sheriff wieder die Steuern unter der Nase gestohlen! Und nicht nur das - Hood vermochte es auch noch einen Gefangenen aus dem Kerker zu befreien!
Auf einem großen und edel beschnitzten Stuhl am Kopfende der langen Tafel, dessen rote Brokatpolster schon leicht durchgesessen waren und davon zeugten, dass wohl schon oft wichtige Herren und Damen hierauf Platz genommen hatten, beugte sich Earl De Burgh über seinen Teller. Die Kruste des Brotes knackte leise, als er sich ein ordentliches Stück davon abbrach und eine Magd indessen seinen Kelch mit Wein auffüllte.
„Du siehst müde aus, Liebes.", erklang die Stimme des alternden Earls. Sein einst volles und dunkles Haar war an ein paar Flecken furchtbar dünn geworden und hatte einen deutlichen Grauton angenommen und auch sein Bart war vom Silber des Alters durchzogen. Vielleicht mochten die grauen Strähnen aber auch von den Sorgen herrühren, die ihm seine eigensinnige Tochter oder gar der lästige Dieb Robin Hood bereiteten?
Seine sonst so aufmerksamen, wachen Augen waren heute klein und gerötet und zeugten von einer Erschöpfung, deren Ursache Marian am heutigen Morgen nicht erraten musste. Ihr ging es nicht anders. Auch sie hatte in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan.
„Ich habe nicht gut geschlafen, Vater. Der Aufruhr und das Geläut hielt mich wach", meinte sie deshalb leise und schaffte es nur, sich ein mattes Lächeln abzuringen.
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Die Königin von Pfeil & Bogen
Ficción histórica[WATTYS 2023-WINNER/Fesselndste Welt] ** Marian, stehlende Adelstochter mit großem Herzen trifft auf Robin Hood, verwegener Dieb mit gewaltigem Ego. Werden sie alten Schmerz, Vorurteile und schließlich den grausamen Sheriff von Nottingham überwinden...