Die nächsten zwei Tage verbringe ich damit, mein Zimmer einzurichten und mit Hailey in die Stadt zu fahren, um die ganzen Läden kennenzulernen. Die meisten Einwohner scheinen meine Tante zu mögen. Sie grüßen sie herzlich, plaudern kurz, dann stelle ich mich ihnen vor und danach geht unsere Einkaufstour weiter. Ich habe beschlossen, Hailey unter die Arme zu greifen und nach einem Nebenjob zu suchen, um ein wenig eigenes Geld dazuzuverdienen. Auch, wenn Hailey meint, ich bräuchte das nicht, weil ich ja noch auf das Konto meiner Eltern zugreifen kann, aber das will ich nicht hören. Ich will selbstständig werden und stolz darauf sein, meinen eigenen Lohn zu bekommen. „Frag am Besten im Wrack nach. Es ist das beste Restaurant hier auf den Outer Banks und liegt direkt im Hafen", schlägt Hailey direkt vor. „Klingt super. Ich habe schon mal ein wenig gekellnert, ich kriege das sicherlich hin." „Ich kann dich direkt auf dem Weg rauslassen." „Super. Dann sehe ich mir noch ein wenig den Hafen und die Stadt an", antworte ich zufrieden lächelnd. Als wir auf dem dazugehörigen Parkplatz neben dem größeren Haus mit dem langen Steg, welcher zum Eingang führt, parken, atme ich einmal nervös durch. Ich hasse es, mich fremden Leuten vorstellen zu müssen. Stühle und Tische stehen auf einem Steg, an welchem Leute sitzen und gerade etwas Essen oder nur einen Kaffee trinken. Direkt vor mir erstreckt sich schon das Meer. „Mike und Anna Carrera sind die Besitzer. Sie haben eine nette Tochter, Kiara. Sie ist auch in deinem Alter, vielleicht versteht ihr euch ja gut." Ich mit einem sarkastischen Gesichtsausdruck zu meiner Tante. „Soll ich mich deswegen hier bewerben? Damit ich Freunde finde?", frage ich skeptisch und grinse schief. „Ich dachte, es wäre vielleicht nicht verkehrt, jemanden zu kennen, der in deinem Alter ist. Ich weiß von deiner Mutter, dass du es nicht wirklich leicht hattest und nie jemanden mit nach Hause gebracht hast. Du warst immer nur für dich." Ich seufze und massiere mir die Nasenwurzel. „War ja klar. Aber dass sie auch nie Zeit für mich hatte, das hat sie nicht zufällig erwähnt, oder?", gebe ich bissig zurück. „Alexandra, gib den Leuten hier wenigstens eine Chance. Du wirst immerhin zwei Jahre hier leben und ich denke, in deinem Alter täte es dir gut, wenn du Freunde findest." „Wow. Das klingt, als wäre ich minderbemittelt und sozial völlig inkompetent. Bisher habe ich nie jemanden getroffen, der auch nur in Frage gekommen wäre. Alle auf meiner Schule waren, eingebildet, arrogant und überheblich. Da ging es nur um Geld." „Tja, dann bist du ja hier richtig aufgehoben. Ich kann dich nicht zwingen, aber ich lege es dir ans Herz." „Als Lehrerin oder als meine Tante?" Sie grinst schief. „Sowohl als auch, Süße. Los jetzt." Hailey scheucht mich aus dem Wagen. „Abendbrot gibt es um sieben, okay?", ruft sie noch aus dem Seitenfenster und ich zeige nur mit den Daumen nach oben, bevor ich den Steg hinaufgehe. Ich schlendere durch die offene Tür hinein und steuere direkt auf die Theke zu, hinter welcher eine dünne Frau mit längerem, rotem Haar steht und irgendwelche Zettel sortiert. Hier drinnen ist es ebenfalls gut gefüllt und relativ laut. „Hi", sage ich geradeheraus und die Frau sieht lächelnd auf. „Hallo. Was kann ich für dich tun?" „Ich wollte nachfragen, ob Sie eine Kellnerin gebrauchen könnten. Ich bin eben hergezogen und würde mir über die Ferien gerne etwas dazuverdienen", erkläre ich direkt. „Oh. Woher kommst du?" „Schwierige Frage. Ursprünglich von hier, aber meine Eltern sind Architekten und mit mir eigentlich durchweg durch die USA gezogen." „Warte mal! Sind deine Eltern zufällig Miranda und Jeffrey Harvelle?" Ich reiße überrascht die Augen auf. „Ja... anscheinend kennt hier jeder meine Eltern", murmle ich leise hinterher. „Sie haben damals geholfen, unser Restaurant zu entwerfen und umzusetzen. Ich habe noch nie ein netteres Paar kennengelernt. Wie ist dein Name nochmal?" „Ich bin..." „Mom, wir brauchen die 17 und 23 und zwei große Cokes", ruft ein Mädchen laut und stellt ein Tablett auf dem Tresen ab. Sie hat lockige, dunkelbraune Haare mit einzelnen, hellbraunen Strähnen dazwischen. Ihre Haut ist gut gebräunt und sie hat schokoladenbraune, große Augen. An sich ist sie echt hübsch. „Klar, Kie. Hier ist die Bestellung für Tisch drei." Kie schenkt mir keinen einzigen Blick, bevor sie schon wieder verschwindet. „Das ist Kiara, meine Tochter. Sie hilft auch mit aus, wenn sie denn mal Zeit dafür findet und nicht ständig mit ihren Freunden im Sumpf auf einem Boot herumhängt", meint Anna Carrera leidvoll und schüttelt den Kopf, bevor sie mich wieder ansieht. „Entschuldige. Wie ist jetzt dein Name?" „Alexandra. Alex reicht aber völlig aus." „Sehr schön. Hast du Lust, dich heute schon mal etwas einzuarbeiten?", fragt sie freundlich und ich hebe abermals überrascht die Augenbrauen. „Ähm... klar! Gerne." „Mike? Komm mal kurz." Aus der Küche tritt ein dunkelhäutiger, groß gebauter Mann. „Das ist Alexandra Harvelle. Die Tochter von Miranda und Jeffrey. Sie hilft uns den Sommer über ein wenig aus." Mike streckt mir die Hand hin. „Freut mich sehr. Hoffe, du kannst mit Stress umgehen." „Sie kriegt das schon hin. Schnapp dir eine Schürze und dann schauen wir mal, was du so draufhast. Kiara, würdest du Alexandra bitte alles zeigen?" Jetzt bekomme ich das erste Mal die Aufmerksamkeit der Brünetten. Sie mustert mich skeptisch. „Wer ist sie?", fragt sie, als würde ich nicht direkt neben ihr stehen. „Das ist Alexandra Harvelle. Sie ist erst hergezogen und sucht einen Job", antwortet ihre Mutter säuerlich. Abermals sieht mich Kie abwertend an. „Und was habe ich damit zu tun? Mom, ich habe keine Lust, auf der Arbeit Babysitterin zu spielen. Und ich bin sicher, sie wird schon wissen, wie man Bestellungen aufschreibt und bringt", entgegnet sie abblockend und verschwindet in der Küche. Anna schüttelt seufzend den Kopf. „Entschuldige. Sie ist in einer schwierigen Phase. Ich wette aber, wenn sie dich erst besser kennt, taut sie auf. Sie und die Jungs mit denen sie sich immer herumtreibt sind... etwas speziell. Sie sind eine Art... Clique oder eingeschweißte Bruderschaft. Wie auch immer." „Keine Sorge, Mrs. Carrera. Ich bekomme das schon hin", versuche ich sie zu beruhigen und aus dem Familiendrama zu entfliehen, was sich gerade um mich herum abgespielt hat. Meinetwegen. Ob es nicht doch besser wäre, mir etwas Anderes zu suchen? Aber jetzt ist es zu spät, denn Mike schiebt aus dem Küchenfenster eine Bestellung durch und ich schnappe mir ein Tablett und beginne meine Schicht. Tatsächlich macht es sogar Spaß. Ich bin immer wieder draußen in der Sonne, unterhalte mich mit den Leuten von hier und lerne sie besser kennen. Sie scheinen mich ebenso neugierig zu mustern und fragen, wo ich herkomme. Was ich später am Tag auf jeden Fall weiß: Gefühlt jeder auf den Outer Banks kennt meine Eltern. Nur eine scheint mich einfach nicht kennenlernen zu wollen: Kiara. Ich spüre ihre abschätzenden Blicke in meinem Rücken; merke, wie sie jeden meiner Schritte genauestens beobachtet, was mich eindeutig nervös macht. Dennoch schlage ich mich gut und Anna ist ziemlich glücklich über meine Leistung. Als ich gerade das dreckige Geschirr in die Spülmaschine in der Küche räume, höre ich lautes Lachen aus dem Restaurant und ich sehe neugierig durch das kleine Fenster nach drüben. Mehrere Jungs sind gerade hereingekommen. Einer ist dunkelhäutig mit kurzen, schwarzen Haaren. Er trägt Shorts und darüber ein einfaches T-Shirt. Der nächste ist blond, versteckt seine etwas längeren Haare unter einem Cap, was er verkehrtherum trägt. Er hat ein Muskelshirt an und ich kann sehen, dass er gut trainiert hat. Er ist der Lauteste von allen dreien. Und der Letzte im Bunde hat lockige, braune Haare, die sein gebräuntes, von ein paar Sommersprossen geziertes Gesicht umrahmen. Er trägt ein Hemd, welches halb geöffnet ist und unter welchem ich ebenfalls eine gute Bauchmuskulatur erkennen kann. „Hey, Kie! Wir suchen uns draußen schon mal einen Tisch, okay?", ruft der Blonde lauthals, wobei sich mehrere in seine Richtung drehen. „JJ, mach mal halblang und hier nicht so einen Lärm", fährt die Brünette ihn an, kann sich aber ein Grinsen dabei nicht verkneifen. JJ? „Bringst du uns wieder was Schönes?", meint der Lockenkopf und lächelt dabei schelmisch anzüglich. „Mach ich, aber verschwindet hier!" Sie scheucht die Jungs hinaus und ich höre, wie Mike sich hinter mir leise aufregt, was meine Aufmerksamkeit weckt. „Sind das... diese speziellen Jungs, von denen Mrs. Carrera gesprochen hat?", frage ich mit einer Mischung aus Unsicherheit und Neugierde. „Kiaras sogenannte Freunde? Ja. Pope Heyward, JJ Maybank und John B Routledge." John B. Big Johns Sohn also. „Warum sind sie denn so furchtbar, wenn ich fragen darf?" Mike muss lächeln bei meinen vorsichtigen Wörtern. „Sagen wir mal so: Sie haben den Hang dazu, ständig irgendwelche Dinge anzustellen und Kiara vernachlässigt sofort ihre Pflichten, wenn sie da sind. Als wäre sie abhängig." Oder verknallt, verbessert mein Unterbewusstsein amüsiert. „An deiner Stelle würde ich mir lieber andere Gesellschaft suchen, bevor du auch in diesen Strudel eingesaugt wirst", rät er mir väterlich. „Ja... naja. Ich bin eigentlich schon immer eine Einzelgängerin gewesen, wissen Sie? Durch das ständige Umziehen ist es nicht möglich gewesen, eine wirkliche Freundschaft aufzubauen." „Ich erinnere mich an deine Eltern. Wir haben das Restaurant gebaut, da warst du gerade geboren. Ich weiß, dass deine
Großmutter, Eliza, sich meistens um dich kümmerte. Gott habe sie selig. Sie war eine liebevolle Frau." An Grandma kann ich mich ebenso wenig erinnern wie an Hailey. Sie starb, als ich fünf oder sechs war und ich erinnere mich nur an die Beerdigung. „Aber jetzt bist du ja eine Weile hier und in unserem Restaurant gehen so viele Leute ein und aus, dass du sicherlich schnell jemanden kennenlernst. Da bin ich überzeugt." „Ihre Tochter scheint mich nicht so sehr zu mögen", gestehe ich, mache die Klappe der Spülmaschine zu und schalte sie an. „Kiara ist allen gegenüber misstrauisch, die nicht zu ihrem Pack gehören. Geschweige denn zu den Pogues. Gerade bei euch Jüngeren wirst du merken, wie Kooks und Pogues sich gerne mal die Köpfe einschlagen. Sei schlau und bleib unparteiisch. Lass dich nicht auf diesen Schwachsinn ein." Anna kommt in die Küche und lächelt breit. „Hier alles okay?", fragt sie nach und Mike nickt bestätigend. „Alex und ich haben nur ein wenig geplaudert. Was sagst du? Ich finde, sie hat sich den Job verdient", meint Mike und zwinkert mir kurz zu, was mich zum Lächeln bringt. „Da sind wir einer Meinung. Willkommen im Team, Alex. Komm doch ruhig nochmal raus, dann besprechen wir deine Arbeitszeiten, okay?" „Klar, danke, Mr. Und Mrs. Carrera." „Nenn mich bitte Mike. Sonst fühle ich mich schon so alt wie mein Vater." „Und mich Anna. Immerhin sind wir praktisch eine Familie hier." Familie. Ein großes, bedeutsames Wort, mit welchem ich bisher nicht viel anfangen konnte. Doch hier, jetzt, merke ich, wie beruhigend es sein kann. Anna winkt mich mit sich und wir setzen uns nochmal kurz an den Tresen. Ich werde drei Tage die Woche für vier Stunden aushelfen. Ein fairer Deal für einen guten Lohn, den ich mir ansparen kann. Vielleicht kann ich sogar noch nach den Ferien hier arbeiten, wenn ich nicht zu viel lernen muss. Ich gebe Anna meine Handynummer, damit sie mich im Notfall erreichen kann. „Ich bin ziemlich flexibel, was die Arbeitszeiten angeht. Also wenn ihr jemanden braucht, ruft einfach an. Meistens habe ich das Handy sowieso bei mir." „Sehr gut. Dann sehen wir uns morgen und am Tag nach dem Surfwettbewerb. Ich bin sicher, dass du dir das ansehen willst. Da gehen alle Jugendlichen hin." „Danke, Mrs... ich meine, Anna." „Gerne. Kommst du nach Hause oder soll dich jemand fahren?" „Nein, schon gut. Ich werde meine Tante anrufen. Sie weiß ja, wo ich bin." „Okay. Dann bis morgen." Ich lege die Schürze ordentlich zusammen und verlasse das Restaurant. Natürlich komme ich dabei an dem Tisch mit Kiara und den Jungs vorbei, die ihre Unterhaltung kurzweilig unterbrechen und mich ansehen. Kiaras Blick spricht Bände. Misstrauen. Verständlich, wenn ich mir so ausmahle, was hier zwischen den Kooks und Pogues regelmäßig abgehen muss. Ich versuche, die starrenden Jungs zu ignorieren, laufe aber dennoch rötlich an und beschleunige meine Schritte. Noch nicht ganz außer Hörweite kann ich vernehmen: „Wer ist die denn?" Und ein von Kiara darauffolgendes: „Irgendeine, die bei uns jetzt einen Job angefangen hat. Ist wohl erst hergezogen, aber kei..." Schnell verschwinde ich um die nächste Ecke, bevor ich mein Handy zücke. Ich hasse es, die Neue zu sein.
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OUTER BANKS - Vor dem Sturm
ФанфикAlexandras Eltern nehmen einen Job in Australien an, woraufhin sie beschließt, zu ihren Wurzel zurückzukehren und zieht zu ihrer Tante in die Outer Banks. Es dauert nicht lange, bis sie auf John B und seine Freunde trifft und bald genießen sie zusam...